Kapitel 7

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Auf dem Weg beschlossen wir, dass Thomas, Newt und ich mit Gally gehen würden, doch vorher musste sich Gally noch umziehen.
Wir alle standen zusammen und warteten, während sich Brenda und Thomas ein wenig unterhielten, ebenso wie Newt, Pfanne und Jorge. Gally stand in einiger Entfernung und entledigte sich seines Gurtes, damit man ihn nicht sofort erkennen würde. Mir fiel wieder ein, dass ich noch sein Messer hatte, also trat ich zu ihm, als er den Gurt gerade auf der Ablage ordentlich hinlegte.
Mit einem Räuspern machte ich auf mich aufmerksam und er fuhr herum. „Was ist?", fragte er und griff in eine Kiste hinein. Er holte einen blau-grauen Sweater hervor.
„Ich habe noch dein Messer..." Ich streckte ihm meine Hand entgegen, wo das Messer lag. Er runzelte kurz die Stirn und sah dann zu seinem Gurt, wo das Messer nun fehlte. „Ich habe vergessen es dir wiederzugeben, nachdem... nach vorhin..." Unsicher sah ich überall hin, nur nicht zu ihm. Er trat einen Schritt auf den Gurt zu. „Stimmt..."
Verwundert sah ich, wie er die Hülle aus der Halterung holte und sie mir zuwarf. Ich hätte beinahe das Messer fallen gelassen, als ich sie auffing.
„Behalt es. Vielleicht kannst du es ja gebrauchen..." Seine Mundwinkel zuckten leicht. „Aber vielleicht wärst du das nächste Mal so nett und bedrohst nicht mich damit." Schnell steckte ich das Messer in die Hülle. „Auch, wenn es mir so scheint, als würdest du das gerne machen..." Verwirrt sah ich auf.
„Was?"
„Mich mit Messern bedrohen. So wie damals, als du aus der Box kamst." Er lächelte mir wissend zu und zog sich dann den Pullover über. Ich musste auch grinsen und nickte gedankenverloren.
„Das Messer solltest du vielleicht etwas verstecken... Wir werden unter Menschen sein." Ich nickte schnell und verstaute es in der Innentasche meiner Jacke. „Danke."
Er sah mich nur kurz an. „Bedank dich besser nicht zu früh bei mir. Noch haben wir ihn nicht."
Wir kamen zu einem Raum, der ziemlich leer war, jedoch etwas eingestaubt. Auch Lawrence und sein Berater, Jasper, standen dort und warteten auf uns. Vermutlich wollte er nochmal sicher gehen, dass nur drei mitgingen.
Am Boden befand sich eine große Platte, die Gally wegschob. Darunter verbarg sich ein großes Loch, das tief runter führte. Misstrauisch warfen wir einen Blick hinein. Gally holte eine Leiter, die er langsam nach unten ließ.
„Sei vorsichtig, Thomas.", meinte Jorge, als er ebenfalls einen Blick nach unten warf. Nervös stand ich neben Thomas und versuchte Lawrence zu ignorieren, der bei uns stand. Gally hatte die Leiter nun ordentlich verankert und machte sich bereit in das Loch zu klettern.
„Gally,", begann Pfanne, der neben ihm hockte, „pass auf die drei auf." Gally nickte kurz. „Okay." Dann kletterte er weiter nach unten und Thomas folgte ihm.
Nun war ich an der Reihe. Unsicher sah ich nach unten und setzte dann zögerlich meinen Fuß auf die erste Sprosse. Ich sah mich nochmal zu Newt um, der nachdenklich auf seinen Arm starrte. „Newt, alles okay?" Sofort sah er auf und nickte schnell. „Ich komme gleich nach." Er machte noch schnell seinen anderen Schuh zu.
„Viel Glück, Kleine." Jorge nickte mir aufmunternd zu und so kletterte ich Thomas hinterher. Newt folgte direkt. Unten erwartete uns Dunkelheit.
Sobald meine Füße den Boden berührten, platschte es. War hier etwa Wasser?! Ein wenig Licht fiel noch durch das Loch und so konnte ich sehen, wie Gally eine Taschenlampe hervorholte und sie anschaltete. Tatsächlich: Wir befanden uns in einem Tunnel, an dessen Boden Wasser stand. Nun kam auch Newt neben mir auf und erneut spritzte Wasser. Wir liefen einige Meter und der Gestank nahm zu.
„Eh... ist das eklig!", meinte Newt, als er das dreckige Wasser von seinem Schuh tropfen sah. Gally übereichte auch Thomas eine Lampe, mit der er ebenfalls den Tunnel erhellte. An den Rändern lag etwas, vermutlich tote Ratten.
„Ja, ist echt großartig hier...", stimmte ich sarkastisch zu. Angewidert verzog ich das Gesicht und versuchte am Rand zu gehen, wo das Wasser nicht war.
„Na, bereust du es jetzt mitgekommen zu sein?", fragte Newt, während wir Gally folgten. Ich blieb stehen und sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Was genau erwartest du denn als Antwort? Was bezweckst du mit dieser Frage? Ich bin jetzt schon so weit, dass es keine Rolle spielt, ob ich es bereue oder nicht!" Newt hob abwehrend die Hände und lächelte schief. „Ich meinte es doch nicht so..." Schnaubend drehte ich mich wieder nach vorne und ging weiter, ohne Newt zu antworten.
Zu Anfang hatte es noch Sinn gemacht, doch was erwartete er jetzt als Antwort? Wenn ich bejahen würde, würde er mir dann vorhalten, dass er es gewusst hatte? Ich verstand einfach nicht, warum er das noch wissen wollte. Und egal, wie sehr ich es bereuen würde, so knapp vor Minhos Rettung würde ich nicht umdrehen! Auch nicht, wenn man bedacht, dass wir uns nur noch mehr dem Ort näherten, an den ich auch beinahe gebracht worden wäre.
Gally leuchtete mit seiner Lampe auf einen Kasten, der an der Wand hing. Dreck klebte daran und ich bezweifelte, dass er noch funktionierte, doch als Gally den Hebel umlegte, gingen kleine Lampen im Tunnel langsam an. Erst jetzt merkte ich, wie weit der Tunnel noch ging. Gally und Thomas machten ihre Lampen aus und Gally steckte sie beide wieder ein.
„Bleibt bei mir, ist ein ziemlich weiter Weg!", sagte er und folgte ohne zu zögern dem Gang. Nach einer Weile, die wir durch den Gang liefen, begann Newt zu reden: „Hey, Gally, wie kam es eigentlich dazu, dass du mit diesem Crank als Zimmergenossen geendet bist?" Erstaunt sah ich Newt an. War das sein Ernst? Das war definitiv nicht die Frage, die ich gestellt hätte.
„Ehlich gesagt schulde ich diesem Crank sogar mein Leben.", kam die Antwort nach einiger Zeit. „Als Lawrence und seine Crew mich gefunden haben, hätten sie mich wieder an WICKED verkaufen können, mein Leben gegen eine Box des Serums eintauschen können, doch stattdessen bot er mir einen Platz an. Und jetzt habe ich etwas, für das es sich lohnt zu leben." Er blieb langsam stehen und holte seine Taschenlampe hervor. Wir befanden uns an einer Kreuzung. Der erhellte Gang führte noch weiter, aber Gally ging auf einen kleinen und dunklen Tunnel zu.
„Was ist das?", fragte Thomas und musterte sowohl den Tunnel als auch Gally misstrauisch. „Wartet hier. Ich bin gleich wieder zurück.", antwortete Gally nur und ging geduckt in den Tunnel hinein. Neugierig trat Thomas bis zum Eingang und spähte in die Dunkelheit, wo man nur gelegentlich das Licht von Gallys Taschenlampe sehen konnte. Dann drehte er sich wieder zu uns beide um. „Denkst du, wir können ihm trauen?", fragte er an Newt. „Nach allem, was er getan hat?"
„Was für andere Optionen haben wir denn?" An Thomas Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, dass es ihm widerstrebte. „Ich weiß, dass es schwer für dich zu verstehen ist, aber", begann Newt und sah an Thomas vorbei, „es gab mal eine Zeit, da war Gally ein echter Freund für mich..." Darauf antwortete Thomas nicht.
„Ich vertraue ihm." Sofort lagen beide Blicke auf mir und Newt runzelte leicht die Stirn. „Ich weiß, dass er damals Fehler gemacht hat, aber... Menschen ändern sich. Thomas, wir selbst sind ein Beweis dafür. Früher haben wir noch für WICKED gearbeitete und jetzt wollen wir sie zerstören! Wenn wir von den anderen eine zweite Chance bekommen haben, dann ist es auch fair, wenn er ebenfalls eine bekommt!"
Bevor überhaupt jemand antworten konnte, kam Gally wieder zurück. „Hey, es ist alles sicher. Weiter!" Und mit den Worten verschwand er wieder in den Tunnel. Ich war die erste, die ihm ohne groß zu zögern folgte. Ich verstand Thomas, doch während er noch wütend auf Gally war, versuchte ich das Beste daraus zu machen. Er hat Fehler in der Vergangenheit gemacht, aber das habe ich auch. Und wenn mir verzogen wird, wäre es selbstsüchtig ihm nicht auch zu verziehen. Ich vertraute ihm nicht blind, aber im Gegensatz zu Thomas sah ich nicht jedes Wort, das aus seinem Mund kam als Lüge an.
Wir gingen den Gang eine Weile gebückt, entlang, bis Gally ein Loch in der Wand anleuchtete. „Hier lang.", sagte er und kletterte schon hinein. Es war so niedrig, dass wir auf den Knien krabbeln mussten, um uns nicht den Kopf zu stoßen, doch direkt vor uns war nochmal so ein Loch, an dessen Rand sich Gally nun setzte. „Wartet kurz.", befahl er und wir hockten uns hin. Er spähte hinaus und wenig später hörten wir ein Poltern und der Boden begann zu Beben. Erstaunt sahen wir uns um, doch Gally saß noch immer am Loch und sah vorsichtig hinaus. Ein starker Wind zerrte an seiner Kleidung, als schon im nächsten Moment ein Zug vorbeiraste. Noch während der Zug vorbeiraste, wandte sich Gally uns zu. „Wir müssen uns gleich beeilen, also haltet euch an mich. Wir haben nicht viel Zeit!" Verwirrt wechselte ich mit Thomas und Newt einen Blick. Als der Zug vorbeigefahren war, streckte Gally kurz den Kopf hinaus und nickte uns zu: „Los geht's!" Er sprang hinaus und wir folgten ihm.
Wir konnten sogar noch den Zug wegfahren sehen. Während Gally das Loch wieder verdeckte, sah ich mich im Tunnel um. Wir befanden uns direkt auf den Gleisen.
„Toll. Tommy liebt Züge, nicht wahr, Kumpel?" Beiläufig strich Newt seinen Arm entlang, vermutlich um den Dreck zu entfernen.
„Das ist doch toll, denn ihr werdet noch einen sehr bald sehen.", meinte Gally, während er zu laufen begann. Wir sahen uns verwirrt an, doch als Gally uns zurief, dass wir uns beeilen sollten, begannen wir ebenfalls zu laufen. Wir versuchten zu Gally aufzuholen, während wir über die Gleise liefen. Ich konzentrierte mich darauf nicht zu stolpern.
„Gally, was zur Hölle machen wir?!", fragte Thomas, der ganz hinten lief.
„Weniger reden, mehr laufen!", kam es nur von ihm. Er lief nicht langsamer, im Gegenteil sogar, er verschnellerte sein Tempo sogar. Die Gleise begannen leicht zu zittern und als ich aufsah, konnte ich ein helles Licht sehen, das auf uns zuraste. Das musste wohl auch Thomas bemerkt haben, denn er rief alarmiert nach Gally.
„Kommt schon! Wir sind fast da!", brüllte dieser über seine Schulter. Ich warf einen kurzen Blick über meine Schulter und sah, dass Thomas Newt nun überholte. Nun kam der Zug um die Kurve gefahren, direkt auf uns zu. Panisch beschleunigte ich. Es war doch absurd! Wir rannten gerade auf einen Zug zu!
Da sah ich das Ziel. Eine kleine Leiter am Rand, die aus dem Tunnel führte. Ich folgte Gally und auch Thomas stieß zu uns, als Gally schon die ersten Stufen hinaufkletterte. Vom Zug kam nur ein lautes Hupen. Wir sahen uns alle nach Newt um, der noch immer nicht bei uns stand und ich sah, wie sich gerade aufrappelte. Er war gestolpert! Und noch zu weit von den Treppen weg!
„Newt!", rief ich panisch aus, als der Zug immer näher raste. Er würde es nicht schaffen, denn so wie es aussah, hatte er sogar Probleme sich aufzurichten. Ich wollte gerade zu ihm laufen, doch da sprang Gally von der Leiter und rannte, wobei er mich schnell gegen die Wand drückte.
„Nein, bleibt zurück!", befahl er mir und Thomas, während er auf Newt zuhetzte. Ich hörte nicht auf Gally und rannte ebenfalls zu Newt, doch Thomas, der sah, dass der Zug gerade auf uns zukam, riss mich von den Gleisen weg und drückte mich gegen die Wand. Ich konnte gerade noch sehen, wie Gally Newt erreichte, bevor der Zug mir die Sicht versperrte. Ohne zu halten fuhr er einfach weiter. Ein ohrenbetäubender Lärm entstand, doch das hinderte mich nicht daran zu schreien. Geschockt starrte ich zur Seite und konnte nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen traten. Fassungslos starrte ich auf die Stelle, die gerade vom Zug überrollt wurde. Das Blut rauschte mir in den Ohren und mein Herz schlug schnell, aber ich hatte das Gefühl, dass es gleich zerspringen würde.
Als das Zugende immer näherkam, schloss ich verzweifelt meine Augen. Ich wollte nicht sehen, was mit Newt passiert war. Ich konnte einfach nicht! Ich klammerte mich an die Wand, doch als ein Stöhnen ertönte, schlug ich meine Augen schnell auf. Was ich dort sah, hatte ich nicht erwartet.
Auf den Gleisen lag Gally auf Newt und richtete sich mühsam auf. Ohne zu zögern rannte ich zu beiden, gefolgt von Thomas, der mich zum Glück auffing, als ich überstürzt zu ihnen sprang und dabei stolperte. Newt lag noch immer auf dem Rücken.
„Wir waren nie gute Läufer, nicht wahr, Newt?", fragte er und ein kleines Lachen kam von ihm.
„Nun, ich habe eben nur ein gutes Bein..."
„Ja, ich habe nur eine gute Lunge.", meinte Gally, als er Newt auf die Beine half. Beide atmeten noch hektisch. Ich ging auf Newt zu und schloss ihn direkt in meine Arme. Erleichterung überströmte mich, als er die Umarmung erwiderte, bis er sich wieder von mir löste.
„Ich dachte...", begann ich, doch meine Stimme zitterte zu sehr, um weiterzusprechen. Er Griff sanft mit seinen Händen nach meinem Gesicht und küsste mich. Doch der Kuss dauerte nicht lang, da er noch immer außer Atem war und Luft brauchte. Er lehnte seine Stirn an meine und seufzte erleichtert.
„Und, bereust du es mitgekommen zu sein?", fragte ich mit einem Grinsen. Er antwortete nicht, stattdessen schloss er grinsend die Augen.
„Ich liebe dich!", hauchte er, was mein Herz schneller schlagen ließ. Er öffnete seine Augen wieder und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Nun kam auch Thomas zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Alles in Ordnung bei dir?" Newt nickte nur hustend. Thomas warf Gally nur einen Blick zu, ehe sich Gally umdrehte und zur Leiter ging.
Gally führte uns über einige Treppen zu einer Tür, die er vorsichtig öffnete. Wir folgten ihm und landeten direkt auf einer Art Bahnhof. Unauffällig versuchten wir uns unter die vielen Menschen zu mischen, die ihrem Weg folgten. Niemand beachtete uns. Die meisten Menschen hatten Anzüge oder anderen saubere Kleidung an. Also waren wir nun definitiv hinter der Mauer. Einige von ihnen trugen dennoch Masken über dem Mund. Eine Lautsprecheransage ertönte, die ankündigte, dass ein Zug bald abfahren würde. Eine Melodie ertönte und eine große Anzeige leuchtete über unseren Köpfen auf und eine weitere Durchsage ertönte: „Noch 15 Minuten bis zu Ausgangssperre. Bitte begeben Sie sich ruhig und ordnungsgemäß nach Hause" Sie haben hier eine Ausgangssperre?! „Das ist alles zu Ihrer Sicherheit. Und merkt euch immer: WICKED ist gut." Damit war die Durchsage beendet.
Neugierig sah ich mich um. An einigen Orten standen Soldaten von WICKED und an manchen Türen standen mehrere Menschen in einer Schlange, während sie von den Soldaten untersucht wurden.
„Infektionschecks.", informierte uns Gally, da wir alle neugierig hingesehen hatten. Ich versuchte nicht zu auffällig hinzusehen, während wir Gally folgten, doch neugierig machte es mich doch. Hieß das etwa doch, dass es Cranks in der Stadt gab? So wie es aussah hatte Gally recht behalten: WICKED kann sich nicht ewig hinter diesen Mauern verstecken.
Wir verließen den Bahnhof und Gally führte uns eine Treppe nach oben. Der Anblick, der uns dort erwartete, ließ uns alle innehalten. Eine gewaltige Stadt erstreckte sich vor uns. Hochhäuser, wohin man sah und alles leuchtete hell. An einigen Häusern waren auch riesige Bildschirme angebracht, die hell und deutlich die verschiedensten Dinge ausstrahlten.
„Das ist mal was anderes als die Lichtung!", staunte Newt. Bei meiner Zeit bei WICKED hatte ich schon vieles gesehen, aber diese Stadt war dennoch mehr als nur eindrucksvoll. Ich fühlte mich winzig.
Erneut ertönte die Durchsage: „Noch 15 Minuten bis zu Ausgangssperre. Bitte begeben Sie sich ruhig und ordnungsgemäß nach Hause." Noch immer bewunderten wir die Stadt vor uns.
„Wir müssen runter von der Straße.", informierte uns Gally. „Ich weiß, ist nicht ganz einfach, aber.... Schaut nicht allzu beeindruckt."

Broken Dreams (Newt ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt