Bitte bleib

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-Chrissi
"Es tut mir leid, OH GOTT! Ich... Ich wollte dich eigentlich nur fragen, inwiefern ich dir helfen kann, ich äh.. Faszinierend, wie sich ihre Sommersprossen über ihren ganzen Körper ziehen. Das Sternenbild wird größer, Mondmädchen. Es tut mir leid."
Zurück im Wohnzimmer fällt es mir sichtlich schwer, nicht über das nachzudenken, was ich gerade gesehen habe. Nervös fällt mein Blick auf all die Kartons, die sehnsüchtig darauf warten, ausgepackt zu werden. Alles ist fein säuberlich beschriftet und es scheint auch alles seine Ordnung zu haben. Irgendwie. Auch Chloe betritt das Wohnzimmer. Rot. Peinlich berührt steht sie im Türrahmen und beobachtet, wie meine Augen durch den Raum wandern. Du siehst wunderschön aus, so.. rot. "Du.. du kannst bei den CD's anfangen, wenn du willst. Die musst du nur in das Regal da einräumen." Sie zeigt auf ein großes, weißes Regal in der Ecke des mit Sonnenlicht gefüllten Raumes. "Ja. CD's. Natürlich. Schön siehst du aus. Hast du eine gewisse Ordnung für deine Sammlung?"

-Chloe
Schön siehst du aus...
,,Ähm.. Ich hatte sie vorher nach dem Alphabet. Also... Könntest du sie ja wieder so einordnen. Also A oben und Z unten... Von den Künstlern. Die Namen. Also... Ich meine... Ach, du weißt schon." Peinlich berührt streiche ich mir ein nasse Haarsträhne hinters Ohr. Wenn die Mähne erstmal trocken ist, wird sie komplett eskalieren. Er nickt und fängt an, die CDs auszuräumen und in das Regal zu ordnen. Er wirkt so, als wäre es für ihn völlig normal, nackte Mädchen im Bad zu erwischen... Zumindest lässt er sich nichts anmerken. Ich beobachte seine geschickten Hände, während sie flink die CDs einsortieren. Er hat schöne Hände... Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass irgendein spöttischer Spruch zu meinem Körper fällt, wie bei den Jungs in meinem ehemaligen Viertel. Aber eigentlich sollte ich wissen, dass Chrissi nicht der Typ dafür ist. Ich weiß selber, dass ich nicht die Schlankste bin. Da etwas zu viel Speck, hier ein bisschen. Nicht fett, aber eben etwas beleibter... Meine Mama nennt es immer ,,kurvig". Ich selber nenne es ,,pummelig". Die Jungs aus meinem Viertel haben es ,,fett" genannt und Jay ,,den Typen, der die rote, fette Sau fickt".
Ich beginne damit, Bücher auszuräumen, um die Gedanken an meine Vergangenheit zu verdrängen. Neustart. Das war das Ziel.

-Chrissi
"..Ich hoffe, du machst dir jetzt nicht allzu viele Gedanken darüber. Natürlich macht sie sich Gedanken. Idiot. Wenn man in einer WG wohnt und so weiter, trifft man öfter mal unfreiwillig auf nackte Frauen. Nicht, dass das jetzt hier irgendwie schlimm, oder peinlich, oder.., ach du weißt, was ich meine. Ich rede mal wieder zu viel. Jedenfalls wollte ich wohl damit sagen, dass ich null verstehen kann, warum du nicht in festen Händen bist." Gerettet? Während ich all die Ich muss schon zugeben, sie hat einen guten Musikgeschmack. CDs ins Regal einräume, kann ich es nicht lassen, sie mir immer wieder anzusehen. Kleine Wassertropfen laufen wegen ihrer noch nassen Haare auf ihrem Rücken herunter. Diese widerspenstigen Locken. Sie machen mich verrückt. Ihr Kleid weht im Zug des offenen Fensters, während sie jedes einzelne ihrer Bücher lang genug betrachtet, bevor sie es sorgsam ins Bücherregal stellt. Ihre Hände ihre äußert schönen Hände fahren über jeden Buchumschlag, über die Überschrift, als würde sie Erinnerung daraus lesen. Mein Sortieren ist mittlerweile zur Akkordarbeit geworden. Ich pfeife eine Melodie vor mich hin und erreiche den nächsten Buchstaben. M. M wie Mondmädchen. Die erste CD Hülle ist rot. Uff.

-Chloe
Warum du noch nicht in festen Händen bist... Mein Puls beschleunigt sich und ich konzentriere mich lieber auf die Bücher vor mir, um mich von seiner unfreiwilligen Anmache zu erholen. So wie ich ihn kenne, war es zumindest ausversehen... Du kennst ihn seit einem Tag..
Ich lausche seiner gepfiffenen Melodie. Von den ganzen Klängen eingelullt, vergesse ich beinahe, meine Arbeit fortzusetzen. Lächelnd stelle ich das letzte Buch in das Regal vor mir.
,,Und bist du auch-" Mit Schwung fahre ich zu ihm herum. Seine Augen ruhen auf meinem mittlerweile angekleideten Körper. Trotzdem fühle ich mich in dem Moment vollkommen entblößt. Mein Atem stockt. Seine Augen tasten sich von meiner Taille zu meiner Hüfte und den Oberschenkeln, bis sie hoch zu meinem Dekolleté wandern und anschließend in mein Gesicht blicken. ,,Du... Du..." Er verstummt.

-Chrissi
Ich ziehe wieder Kreise auf meinem Bauch. Ich muss Zeit gewinnen. Ihr Anblick hat mir irgendwie den Atem verschlagen. Ihre Augen schauen mich fast beschämt an. Dabei habe ich eher das Gefühl, ich sollte mich für irgendetwas schämen.
"Ich beende jetzt mal deinen Satz. Und bist du auch single?" Peinlich, wenn es diese Frage nicht gewesen ist.
"Ja. Single. Sehr. Naja, aber ist ja auch nicht so... wichtig." Ein Lächeln lässt sich in ihrem Gesicht erahnen. So schön.
"Du.. du solltest öfter lächeln. Das steht dir nämlich ganz gut." Meine Hände landen wieder in ihrem Gesicht und fahren die rot gewordenen Wangen nach. Sie hat unglaublich weiche Haut.
"..Siehst du. Viel schöner so."

-Chloe
Ich blicke in diese ehrlichen, lieben, grünen Augen. Er schaut mich an, als wäre ich das Schönste, was er heute zu Gesicht bekommen hat. Es gibt so viele hübschere Mädchen als mich... Mein Lächeln scheint verrutscht zu sein, denn er hört auf, meine Wangen zu streicheln.
,,Was ist los?"
,,Ach nichts.." , erwidere ich und lächle ihn wieder an. Sein Daumen zeichnet die Kontur meiner Wange nach. Ich bin so gefesselt unter seinen liebevollen Berührungen, dass ich dem Drang ihn ebenfalls zu fühlen, nicht nachkommen kann. Er gelangt mal wieder bei meiner Narbe an. Seine Augen mustern mein Gesicht. Er kräuselt eine meiner Locken um seinen Finger.
,,Darf ich...?", flüstert er und steckt sie mir, ohne auf eine Antwort zu warten, hinters Ohr. Dabei zieht er mich näher an sich heran. Ich pralle gegen ihn. Seine rechte Hand schiebt sich in meine feuchten Haare. Ich wollte mich doch nicht wieder verlieben.

-Chrissi
Meine andere Hand streift ihr Bein. Sie ist unglaublich warm, trotzdem überfährt sie eine unglaubliche Gänsehaut. Sie sieht so schön aus in diesem Licht. In diesem Augenblick. Ich zucke zurück, als sich eine immer stärkere Gänsehaut auf ihren Beinen bildet.
"Tschuldigung. Ich wollte nicht.. also.. ich wollte schon, verdammt." Ich ziehe ihren Kopf an meine Brust und fahre weiter durch ihre Haare. Komische Entschuldigung, Chrissi. Ihr Atem streift mein Shirt. Immer wieder. Immer wieder. Ich kann aber nicht entziffern, ob sie sich wohl fühlt, oder nicht.
"..Chloe? Diese Narbe.. darf ich fragen..?" Sie räuspert sich und entzieht sich meiner Umarmung.

-Chloe
Etwas in mir, was er gerade durch seine Berührungen so weich gemacht hat, wird hart. Und eiskalt.
,,Nein, darfst du nicht.", zische ich böse und verenge meine Augen zu Schlitzen. Ich will ihn eigentlich gar nicht so anmotzen, er ist so lieb, aber... Ich kann nicht anders.
,,A-aber du.. Du meintest, dir gefiele der Gedanke, sie sei ein Mond..." Sein ängstlicher Blick trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube. Er hat Angst. Vor mir.
,,Ja... War es auch. Weil ich dann nicht daran denken musste, woher ich sie habe."
,,Und woher hast du-"
,,Ich will nicht darüber reden..."
,,Aber manchmal hilft reden..."
,,Mir nicht." Ich weiche immer weiter vor ihm zurück. Die Zärtlichkeit zwischen uns ist verflogen. Die Chloe, die geliebt und berührt werden will, hat der anderen Chloe Platz gemacht. Der, die vom Leben mit Arschlöchern und Menschen, die sie hintergehen, abgehärtet ist. Die, die sich schon in Prügeleien gestürzt hat. Die Chloe, die Chrissi nicht kennt, weil sie bei ihm nie zum Vorschein kam. Nur ganz am Anfang...
,,Sicher?"
,,Kannst du nicht einmal... Einmal erkennen, was Worte anrichten? Ich- ich... Kann nicht darüber reden..." Mein Gesicht verzerrt sich zu einer gequälten Maske.

-Chrissi
".. Gut. Dann rede nicht darüber." Warum will sie nicht darüber reden? Wegen mir? Weil nur ich es bin und niemand.. besonderes? So schlimm wird's schon nicht sein.. oder? Ich verstumme. Sie scheint wieder dieselbe zu sein wie gestern Morgen. Als wir uns das erste Mal gesehen haben. Aber welche Seite von ihr ist die Richtige? Ich raff's nicht. Chloe hat sich inzwischen auf die Couch gesetzt und schaut grummelnd durch die Wohnung. Sie wirkt wie eine Katze auf der Jagd.
Bestimmt.
Auf einem festen Punkt fixiert. Der ich jetzt definitiv nicht mehr bin.
Voller Wut.
Kraft.
Diese Kraft fehlt ihr aber. Die letzten CD's sind im Regal verstaut. Was jetzt? Ihr Blick verwirrt mich. Schreit er nun "GEH.", oder "BITTE! GEH NICHT." Ich dachte, ich hätte sowas drauf. Die Gefühle anderer zu deuten, aber nie deine eigenen. Ich stütze mich vom Boden und komme ihr ein Stück näher. Sie verschränkt ihre Arme. "Ich geh dann wohl besser.... Oder?"

my moon, my sun & all my stars [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt