Mondmädchen

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-Chrissi
"Äh, schon gut. Man trägt das jetzt so, oder? Schon lustig. Dein feuerroter Pulli schlägt das Feuer aus, ja.  Ja. Total Lustig. Wow. Spast. Sorry. Das war überhaupt nicht lustig. Schöner Pulli. Ich hoffe, dein Ärmel ist immer noch so schön wie vorher."
Mein Blick wandert auf eine widerspenstige Locke in ihren Gesicht. Mit meinem Handrücken schiebe ich sie hinter ihr Ohr.
"Die... Die sah aus, als hätte sie dich gestört. Sorry. Willst du noch ein Bier?" Was ist das? Eine Narbe? Nur ein Kratzer?

-Chloe
Ich blicke gebannt in seine Augen. Er hat seine Fingerknöchel immer noch nicht von meinem Gesicht genommen. Sanft fährt er die Linie meiner Narbe nach. Fuck.
,,I-ich...", ich räuspere mich, "Ein Bier reicht, danke."
Er legt seine Hand um mein Gesicht, nur sein Daumen fährt in filigranen Bewegungen die Sichel auf meiner Wange nach.
,,Sie sieht aus wie ein Mond." Ich schlucke. Was kommt jetzt? Er lächelt mich total lieb an.
,,Kommst du vom Mond, hübsches Mädchen?" Ich bringe immer noch kein Wort heraus. Wir befinden uns wie in einem gemeinsamen Film. Nur wir beide. Die Welt scheint stillzustehen. ,,Ein Mondmädchen." Er nimmt seine Hand aus meinem Gesicht. Unsere kleine Blase platzt.

-Chrissi
"Ma..manchmal lasse ich mich sehr treiben. Ich hoffe, das war jetzt nicht zu viel. Ich... Ich sag halt das, was ich denke." Ihre Narbe. Sie scheint sie nicht zu mögen. OK. Wer tut das schon?
"Dann vielleicht eine 'Das muss ich jetzt erstmal sacken lassen, was für ein Idiot'-Zigarette?" Ich schüttle mit einem verführerischen Blick die Zigarettenschachtel, bin mir aber schon ziemlich sicher, dass sie sagen wird: "Nein, danke. Ich rauche nicht." Malte und Sevi sind mittlerweile in eine Knutscherei vertieft, während Henning müde in der Ecke sitzt und die Leute in der Kneipe beobachtet.

-Chloe
,,Ähm..." Ich kann nicht anders, als ihn anzustarren. ,,Danke... Nein. Ich rauche nicht." Er nickt, aber zündet sich selbst eine weitere Zigarette an. Seine Augen zucken über mein Gesicht. Er bleibt bei der Narbe hängen.
,,Tu-Tut mir echt leid. Ich wollte nicht so über dich herfallen."
,,Ist OK. Alles gut." Dass es mir sogar gefallen hat, muss er ja nicht wissen... Auf diese Weise hat noch nie jemand meine Narbe betrachtet. Ich lächle ihn schüchtern an und zupfe an dem Saum meines Pullis. Ist jetzt irgendetwas anders zwischen uns...? "Hübsches Mädchen..." Er räuspert sich verlegen.
,,Also, wenn es dich gestört hat, musst du es nur-"
,,Hat es nicht. Wirklich. Ich mag den Gedanken, dass es ein Mond ist." Er nickt und starrt auf den Tisch.
,,Wenn das Probleme mit deinem Freund oder so geben sollte, dann-"
,,Chrissi..." Ich lächle ihn an. ,,Es ist wirklich alles gut, hör auf dich die ganze Zeit zu entschuldigen, außerdem habe ich keinen Freund." Ich erahne ein kurzes Funkeln in seinen Augen.

-Chrissi
Kein Freund? Wie kann jemand wie sie keinen Freund haben? Sind die alle blind?
"Oh okay, sorry. Na dann kann ich ja weitere solch peinliche Aktionen starten." Der Rauch strömt durch meine Zähne als ein riesiges Grinsen mein Gesicht ziert. Malte und Sevi sind mittlerweile so vertieft, dass sie wohl vergessen haben, dass sie nicht zu Hause sind. Alleine. Henning reicht's wohl.
"Alter. Ist gut jetzt. Sucht euch 'nen Zimmer." Auch er zündet sich eine Zigarette an und verdreht die Augen. "Seine Freundin hat grad nicht sonderlich viel Zeit. Arbeit und so. Ihm fehlt wohl die ganze Knutscherei." Ihr Blick fällt immer wieder auf meine glühende Zigarette. Ich beschließe, sie im gläsernen Aschenbecher auszudrücken. "Was hat dich eigentlich nach Köln gezogen?" Haken wir unsere Liste mal ab. Sie hat keinen sportlichen, gutaussehenden Freund, der sie auf Händen trägt. Und so eingebildet scheint sie gar nicht zu sein. Vielleicht doch nicht so 'ne Tussi, wie ich es erwartet habe.

-Chloe
Ich starre auf die Wand hinter ihm. ,,Ähm... Endlich leben?" Er schaut mich verwundert an.
,,Hast du vorher nicht gelebt?"
,,Nein.", erwidere ich stumpf.
,,Äh... Okay... Ich-"
,,Ich bin in meinem Kaff versauert, habe mich von einem Arschloch einlullen und ficken lassen und geglaubt, dass der Zustand vom Highsein meinen toten Vater wieder zurückbringt." Stille kehrt zwischen uns ein. Maltes Hand streichelt Sevis Seite. Wie es wohl ist, von jemandem berührt zu werden, den man wirklich liebt?

-Chrissi
"Oh." Wow. Mitgefühl ist dein Ding. Du konntest dich schon immer gut ausdrücken.
"Ich hätte diese Frage nicht stellen sollen, oder? Ich.. ich habe ein Talent dafür." Idiot. Ich spüre glatt, wie sehr ihr Herz schlägt, nachdem sie mir das erzählt hat. Als würde es in meiner Brust auf und ab springen.
".. Als Wiedergutmachung kannst du mir jetzt eine Frage stellen. Egal welche. Ich mach mich auch zum Affen für dich." Ihre Mundwinkel zucken und ziehen sich langsam wieder nach oben. Ihr Puls scheint sich beruhigt zu haben. Da ist wieder diese Strähne. Diese verdammt... schöne.. lockige Haarsträhne, die immer wieder in ihr Gesicht springt und mir die Sicht auf ihre Augen nimmt.

-Chloe
,,Grinst noch jemand aus deiner Familie so süß und verpeilt wie du?" Er lächelt mich genauso an.
,,Jep." Er kramt ein zerknittertes Foto aus seinem Portemonnaie. Es ist verblichen und wurde schon oft gefaltet und wieder glatt gezogen. Eine Großausgabe von Chrissi grinst darauf genauso wie Kleinchrissi in die Kamera. Mein Lächeln reicht bestimmt von meinem einen Ohr zum anderen. Zaghaft fahre ich mit dem Finger über das verschlissene Bild.
,,Ihr seht echt glücklich aus." Ein Kloß bildet sich in meinem Hals beim Gedanken an meinen eigenen Vater. Er nickt verträumt. Seine Finger wollen gerade beiläufig das Bild einstecken, als sie meine, die noch immer auf dem Foto verharren, streifen. Ein Schauder durchfährt meinen Körper. Er streichelt schüchtern über meine Finger. Fast von alleine umschließt meine Hand seine und zeichnet Kreise auf seinen Handrücken. Wir halten Händchen. Unsere verschränkten Finger liegen auf dem Tisch. Er betrachtet mich fasziniert von der Seite. ,,Deine Hände haben auch rote Stellen... Passt zu deinen Haaren." Er streichelt meine rötlichen Gelenke. ,,Mondmädchen..." Mein Herz beginnt zu rasen.

-Chrissi
Ehrlich gesagt verstehe ich noch nicht so ganz, warum ich ihre Hand halte. Warum sie mich so fasziniert. Auf diese... wirre Weise. Was bist du nur für ein Poet?! Sevi und Malte scheinen sich bereits verabschiedet zu haben und auch Henning ist weg. Moment mal. Wir sitzen hier die ganze Zeit alleine rum?
"Ähm.. die anderen sind gar nicht mehr da. Wollen wir auch gehen..?" Ich stopfe das Foto in meine Geldbörse und lasse diese in meine Hosentasche gleiten, nachdem ich etwas Geld herausgerupft habe. "Wenn du nicht alleine gehen willst, kann ich dich auch nach Hause bringen..."

-Chloe
,,Ich will dir auf gar keinen Fall irgendwelche Umstände machen."
,,Machst du nicht." Er lächelt mir zu und hält immer noch meine Hand. Für Außenstehende müssen wir aussehen wie ein Paar. Er legt den Preis für unsere Getränke auf den Tisch und zieht mich dann nach draußen in die kühle Nachtluft. Die Temperatur hat sich überraschend abgekühlt. Mein Atem steigt in zarten Rauchwölkchen in die Höhe. ,,Du musst mir zeigen, wo wir lang müssen... Ich weiß nicht mehr genau, wo du wohnst..." Grinsend übernehme ich die Führung und schwenke unsere Arme zwischen uns hin und her.

-Chrissi
Frühlingsnächte sind doch kälter als erwartet und ich in Erinnerung habe. "Hier. Nimm meine Jacke. Nicht, dass du dich erkältest. Ein Umzug macht sich schließlich nicht von selbst." Ich reiche ihr meine etwas abgeranzte Jacke. Wir haben uns heute morgen unter gänzlich dummen Umständen getroffen und jetzt latschen wir Händchen haltend durch die Straßen. Was? Als wir das rote Backsteingebäude erreichen, bleiben wir am selben Punkt stehen, wie heute morgen. "Ja.. also.. da sind wir." murmelt sie, während sie ihre Hände in die Taschen meiner Jacke gräbt. Vermutlich schwingt sie grad Feuerzeug, Zigaretten und Kleingeld hin und her.

-Chloe
Meine Finger streifen die Zigarettenpackung in seiner Tasche. Die Jacke ist mir viel zu groß. Ich fühle mich irgendwie geborgen. Unschlüssig stehen wir vor meiner Wohnung herum. Meine Haare sind inzwischen trocken und der rote Pulli hat einen dunklen Fleck am Ärmel. Verrückt. Seine Augen glänzen smaragdgrün im dämmrigen Licht der Straßenlaterne.
,,Du-Du brauchst deine Jacke. Sorry." Ich bin gerade dabei die alte Lederjacke auszuziehen, als er mich am Arm festhält. Verwundert blicke ich auf.
,,Behalt sie... Bis nächstes Mal."
,,Nächstes Mal?" Er kritzelt eine Nummer auf meine Hand.
,,Schlaf schön, Mondmädchen..." Mit diesen Worten und einem flüchtigen Lächeln verschwindet er in der Dunkelheit. Grinsend renne ich nach oben.

my moon, my sun & all my stars [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt