Kapitel 7.1 - Morgenröte im Schlund

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Morgenröte im Schlund

Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Peinliche Stille, denn niemand wusste, was etwas zu erwidern.

Cyrian sah einfach nur zu Boden, als hätten meine Worte ihn getroffen wie einen Schlag. Er wagte es nicht auch nur ein Geräusch von sich zu geben. Nicht einmal den sanften Laut seiner Atmung vernahm ich. Der Zeitgott stand lediglich da, in mitten dieses riesigen grünen Feldes und die bedrückende Atmosphäre, die um uns herrschte, verteilte sich nicht nur in unseren Herzen, sondern im gesamten Abyss.

»Cyrian?«, hob ich vorsichtig die Stimme. Bittend sah ich in seine Richtung, nur um abermals mit Schweigen bestraft zu werden. Zwar fühlte sich ein kleiner Teil von mir schlecht, ihm all seine Hoffnung zunichtegemacht zu haben und gerne tat ich es nicht, doch ich würde meine Meinung nicht noch einmal ändern. Ich konnte meine Familie nicht wahllos irgendwelchen Risiken aussetzen. Nicht zu denken, was passieren würde, wenn Monster, während meiner Abwesenheit, in das Dorf einfallen würden. Es wäre ein leichtfertiges Spiel mit ihren Leben, eine Verantwortung, die ich nicht tragen konnte.

»Ich verstehe«, murmelte er erstmals und obwohl er mir mit Verständnis entgegentrat, wusste ich genau, wie schmerzhaft meine Absage sein musste, »Aber ich kann das nicht akzeptieren.«

Misstrauisch runzelte ich die Stirn. Cyrian konnte mich nicht dazu zwingen zu seiner Verwandten zu werden, dazu besaß er, eingesperrt im Abyss, nicht die Mittel. Aus seinen vorherigen Worten hatte ich gefiltert, dass er seine Magie kaum oder nur begrenzt einsetzen konnte, wodurch er auch nicht von hier fliehen konnte, was schonmal ein riesiger Vorteil war. Andernfalls hätte ich vermutlich nicht auch nur den Hauch einer Chance.

»Ich will es mir mit dir keinesfalls verscherzen, aber du lässt mir keine Wahl«, erläuterte er seine Situation weiter.

Mit einer flüssigen Bewegung, strich er sich das Haar hinters Ohr und sah erneut auf, dennoch blickte er mir nicht direkt in die Augen, sondern starrte zielgenau in die endlose Weite hinter mir.

»Willst du mich zwingen?«, sprach ich meine Vermutung aus, während mein Blut langsam in Wallung geriet. Es brodelte in meinen Adern auf und unterbewusst machte ich mich auf einen Angriff gefasst.

»Ein böses Wort, aber du hast recht. Irgendwie zumindest«, erwiderte der Zeitgott, »Als du in den Abyss gefallen bist, ist eine gewaltige Menge an Energie freigesetzt worden.«

Ich hob eine Augenbraue: »Und?«

Dass bei meinem Fall in den Abyss eine gewaltige Menge an Energie im Spiel gewesen sein musste, hatte ich mir bereits gedacht, immerhin war das hier ein Ort, der einem Gott als Gefängnis diente. Trotzdem erkannte ich keinen Sinn hinter seinen Worten, denn letztendlich hieß das bloße Austreten von Magie nichts.

»Es war aber nicht irgendeine Energie«, fuhr Cyrian fort und seine Stimme wandelte sich in ein kehliges Flüstern, »Es war meine. Eine fremde Göttermagie. Eine potenzielle Bedrohung.«

Es dauerte keine Sekunde, bis ich verstand. Wutentbrannt packte ich den Gott am Kragen und riss ihn zu mir. Hass flammte in meinem Herzen auf, zeitgleich mit dem Blut der Diavis, das kalt und verschlossen durch meine Adern rauschte.

»Werden sie angegriffen?«, knurrte ich. Zeitgleich blitzte das Rot meiner Iriden auf und unterbewusst bohrten sich meine Blicke in seine Seele, ebenso wie mein Griff immer stärker wurde, bis er die Kraft erlangte Holz zu spalten.

Mit einem gequälten Gesichtsausdruck packte Cyrian nach meinen Händen. Er wollte meinen Griff lockern, doch der Silberhaarige war überraschend schwach, so schnitt der Stoff seiner Kleindung unsanft in seinen Rücken, das von einem erschrockenen Röcheln begleitet wurde.

Als ich keine Antwort bekam, drang ein animalisches Knurren aus den Tiefen meiner Kehle. Wenn ich Cyrian richtig verstand, spielte er darauf an, dass Soldaten der vier Götter, durch den plötzlichen Magieausbruch, auf unser Versteck aufmerksam geworden waren und wie ich die Schergen kannte, würden sie Akelicis nicht verschonen, so nah wie es zum Eingang des Abyss' lag.

»Wahrscheinlich«, brachte Cyrian ein schwaches Fiepen von sich. Beim Klang meiner Drohung zuckte er zusammen und verkrampfte sich unmenschlich. Deutlich vernahm ich den Klang seines Herzens, wie es wild in seiner Brust klopfte.

»Warum hast du mich dann nicht einfach sterben lassen?«, brüllte ich und mein Schrei fegte über das gesamte Feld.

Mehr und mehr Panik kroch in meine Seele. Lautstark hob und senkte sich mein Brustkorb, während ein eiskalter Schauer über meinen Rücken lief. Ein schreckliches Szenario kroch in meinen Schädel und offenbarte mir ein Bild, das mein Herz in tausende Scherben zerspringen ließ.

Ich durfte meine Familie nicht sterben lassen und schon gar nicht der Grund dafür sein. Mit dieser Schuld könnte ich nicht weitermachen. Ich würde gnadenlos zerspringen, zerbersten wie ein Spiegel, auf den man eingeschlagen hatte. Ich wäre nur falsches Abbild meiner selbst, das aus glanzlosen Scherben bestand.

Immer mehr Druck baute sich in meinem Inneren auf. Wie ein Vulkan, der zu explodieren drohte, tobte alles und hinterließ ein einziges Chaos der Verzweiflung.

Sie durften nicht sterben. Nicht Galcha, nicht Avril, nicht Tirion. Niemand sollte von den Soldaten ermordet werden. Das wollte ich nicht glauben; das durfte ich nicht glauben. Ohne sie, wäre mein Leben nur ein tristes Dasein ohne Freude und Wünsche. Ich wäre eine leere Hülle, die längst ausgelebt hatte.

Einen weiteren Verlust könnte ich nicht ertragen.

Gerade wollte ich erneut Cyrian anschreien. All der Angst und Wut, die in mir aufloderte, Luft machen und das, obwohl ich ganz genau wusste, dass nichts die Situation ändern könnte. Genauso wie Cyrian saß ich eingesperrt im Abyss, ohne eine Möglichkeit auf Flucht oder Hilfe. Ich konnte nichts tun, außer die Zeit langsam und qualvoll vergehen zu lassen und diese Tatsache raubte mir die Luft zum Atem.

Schließlich quetschte der Zeitgott eine Antwort heraus, als er erkannte, dass er handeln musste: »Weil du es genauso verdient hast, zu leben. Außerdem ist es noch nicht zu spät. Wir können sie noch immer retten.«

Auch wenn Cyrian mehr oder weniger schuld an meinem Dilemma war, konnte ich nicht anders, als eine riesige Erleichterung zu spüren. Zwar war noch nichts geregelt, doch diese ersten Worte zügelten die Panik allmählich.

»Und wie?«, brachte ich atemlos hervor und unterdrückte das Brennen in meinen Augen, »Falls du es noch nicht bemerkt hast, wir stecken hier fest!«

»Das weiß ich«, antwortete der Zeitgott und seine Stimme schwang zu einem beruhigenden Ton über, ganz so, als wüsste er, was in mir vorging, »Du musst nur den Deal eingehen und meine Verwandte werden.«

Ich stockte. Es war eine durchtriebene Masche, die er mit mir spielte. Er erpresste mich mit meiner Familie, damit er aus dem Abyss fliehen konnte und das schlimmste daran war, dass es funktionierte.

»Ich weiß, was du gerade denkst«, griff der Silberhaarige das Gespräch erneut auf, während ich dem Schweigen verfallen war, »Ich will dich nicht dazu zwingen, deswegen schlage ich was anderes vor. Du wirst meine Verwandte, bis wir aus dem Abyss sind. Danach gehen wir getrennter Wege.«

Zugegeben überraschte mich dieser Vorschlag, doch vielleicht bewies dies auch nur, dass Cyrian nicht absichtlich den Bösen spielte.

Derweil nahm der Zeitgott vorsichtig meine Hände in die seinen und lockerte somit den Griff, den ich ohnehin zu lösen begann.

»Meinst du das ernst?«, stammelte ich planlos. Es war einfach zu gut um wahr zu sein.

»Sonst würde ich dir das nicht vorschlagen, immerhin kann ich dich nicht zwingen.« Ein kurzes, seichtes Lächeln huschte über seine Lippen, bevor er seine Haltung richtete und mir entschlossen seine Hand entgegenstreckte.

Eine letzte Sekunde starrte ich auf seine ausgebreitete Handfläche, doch eigentlich gab es nichts zum Überlegen, so ergriff ich sie und ein unsichtbares Band der Macht verwebte unsere beiden Schicksale unwiderruflich miteinander.

Der fünfte GottWo Geschichten leben. Entdecke jetzt