Kapitel 9.2 - Die Uhr schlägt zurück

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Wie der rote Faden des Schicksals durchbrach das Band, das zuvor noch im endlosen Nichts verschollen gewesen zu sein schien, die immerwährende Schwärze und breitete seine majestätischen Schwingen aus. Sanft lag ein Schleier über uns, als könnte er die Welt von all dem Übel befreien und genau die Sicherheit schenken, die ich meiner Familie geben wollte.

»Schließen wir den Pakt«, ich nickte dem Gott zu. Ein freundliches und aufmunterndes Lächeln, das letztendlich nur eine Geste war, um meine Entschlossenheit zu verdeutlichen. Ich war bereit mein Leben für das meiner Familie zu verschenken. Sobald wir die Soldaten besiegt hatten, würde ich mit Cyrian losziehen, raus in die große, weite Welt und ein Abenteuer erleben, von dem ich wahrscheinlich nie wiederkommen würde. Zwar wurde mir bei dem Gedanken mehr als unwohl, mein Herz begann zu schmerzen und mein Magen drehte sich um, doch ich durfte nicht an meiner Entscheidung zweifeln. Es war richtig, auch wenn die möglichen Szenarien meine Seele gewaltsam entrissen. Sie spalteten diesen lebhaften Geist wie ein Fluss zwei Landstriche.

Cyrian erwiderte meinen Blick mit einem nahezu aufgeregten Funkeln in seinen Augen: »Wir werden Gott und Verwandte. Gleichgestellte.«

Doch entgegen seiner Aussage verneinte ich die einzige Bedingung. Zwar war es nicht so, dass mir Gleichberechtigung zuwider war, doch letztendlich brauchte ich Vertrauen zu diesem unbekannten Mann, denn eine derartige Bindung galt bis zum Ende meiner Tage. Allerdings kannte ich Cyrian kaum, geschweige denn genug, um zu behaupten, dass wir Freunde waren. Mittlerweile war ich mir der Wahrheit seiner Worte sicher, doch um von Vertrauen zu reden, fehlte noch ein gewaltiges Stück.

Über dem Kopf des Zeitgottes tauchte ein Fragezeichen auf: »Ich fürchte, ich versteh nicht.«

»Ich will die Macht, zumindest bis ich dir restlos vertrauen kann«, forderte ich und obwohl ich mich bei diesen harschen Worten schlecht fühlte, brauchte ich einfach diese Gewissheit, um für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass Cyrian doch log, passend handeln zu können.

Doch zu meinem Überraschen fasste er es nicht als Beleidigung auf. Im Gegenteil, er schien sogar meine Beweggründe zu verstehen und protestierte nicht im geringsten.

»Solange du nichts Unmögliches verlangst«, fällte er schließlich einen Kompromiss, bevor er zustimmend nickte und mir ein Stein vom Herzen glitt. Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht gewusst, wie ich hätte reagieren sollen, wenn er abgelehnt hätte. Er war wirklich ein gutherziger Kerl. So großzügig, dass er mir die Gewalt über ihn gab, zumindest in einem bestimmten Rahmen.

Mit einem langen Atemzug bereitete sich Cyrian vor. Magie sammelte sich in ihm an und sofort baute sich seine Gestalt wieder auf. Die zuvor noch verschwommen Umrisse wurden klar und sein Körper nahm die altbekannte Farbe an. Im selben Moment spürte ich das gleiche Prickeln, das ich auch im Abyss vernommen hatte. Seine Magie floss in mich über wie in einem Strom des Lebens. Stark, impulsiv und beständig, verfestigte sich seine Kraft in meinen Genen.

Immer deutlicher wurde das Band, das zwischen uns erneut aufflammte und das Mal, welches unseren Vertrag besiegelte, formte sich auf meinem linken Oberarm. Erst klein und schwarz, nicht viel größer als ein zarter Bleistiftstrich, bis es sich in die Länge zog und in eine schmuckvolle Kette formte. Am Ende der Kette entstand eine Uhr, dessen Zeiger genau auf die fünf deuteten. Zur vollen Stunde schlug sie ein und das gewaltige Donnern der Glocken tauchte meinen Kopf in eine sinnliche Melodie.

»Was ist das?«, fragte ich, während mich abermals ein wohliger Schauer durchflutete. Mein Herzschlag kehrte zur Normalität zurück und auch das Blut der Diavis ließ sich besänftigen.

»Es zeigt, dass du meine Verwandte bist«, antwortete er wahrheitsgetreu und fuhr mit seinem Zeigefinger die Umrisse entlang. Seine Berührung war nur federleicht, doch kaum hatte er seine Hand zurückgezogen, erstrahlte das Mal in fahlem Licht, nur um sofort wieder zu erlöschen. Das einzige, was blieb, war ein seltsames Gefühl der Geborgenheit und Wärme.

»Das haben alle Verwandte«, fügte er hinzu, während sich seine Magie erneut erhob und schließlich fiel, wie ein glorreiche Symphonie, »Meins ist leider nicht so kreativ.«

Die letzten Worte des Silberhaarigen entlockten mir tatsächlich ein leichtes Lächeln, doch noch in derselben Sekunde wurde mir klar, dass der Stillstand nicht ewig halten konnte, selbst wenn unser Pakt Cyrians Magie regeneriert hatte. So viele Personen einzufrieren, musste deutlich an seinen Kräften zehren, trotzdem war es beeindruckend, wie lange er durchhalten konnte.

Schließlich vollendete der fünfte Gott unseren Vertrag durch eine geheime Formel, dessen Worte alt und ehrwürdig durch Akelicis schallten. Sie brannten sich in mein Gedächtnis und nochmals wurde mir bewusst, was dieser Schritt für mich bedeutete.

»Bereit?«, zerrte mich Cyrian aus meinen Gedanken, noch bevor ich anfangen konnte zu bereuen, und drückte meine Hand. Eine nette Geste, die ich zu schätzen wusste und mich auf irgendeine skurrile Art und Weise beruhigte.

Ein letztes Mal ging ich in mich und brachte meinen Geist in Einklang mit seiner Magie. Zum dritten Mal in kurzer Zeit pumpte Stärke durch meinen Körper, umschlang meine Muskeln wie ein hauchdünnes Tuch und zeigte mir die wahre Macht eines Gottes in Verbindung mit seiner Verwandten.

Entschlossen nickte ich ihm zu, befreite meine Hand aus seinem Griff und starrte zu der Masse von Soldaten, die sich allmählich zu regen begannen. Erst langsam und dann immer mehr, bis es dem ersten gelang seinen Kopf zu wenden. Es war der Befehlshaber, dessen Schwerthieb mich natürlich verfehlt hatte, und mich nun mit einem zornigen Blick durchstach. Seine Iriden schienen sich geradewegs in meine Seele zu bohren und hinterließen das Gefühl von tausenden Nadelstichen.

»Dann geht es los«, noch während der Silberhaarige sprach und ich mir ein Schwert besorgte, hob er seine Hand und löste den Zauber. Schneller, als ein Blitz den Himmel spalten konnte, floss die Zeit wieder und jeder erwachte aus seiner Starre.

Zuerst schienen sich die meisten zu wundern, was soeben passiert war, denn auch, wenn sie während des Stillstands nichts mitbekommen hatten, so wussten sie doch, dass etwas passiert war. Allerdings legte sich die Verwirrung schnell, immerhin waren sie allesamt geschulte Kämpfer, so fassten sie den Faden wieder auf.

»Was zur Hölle?«, brüllte der Befehlshaber und seine Stimme donnerte wie das Gebrüll eines Drachen. Auf seinem Gesicht spiegelte sich blanker Zorn wider und ohne überhaupt einen Befehl zu geben, lösten sich ein paar Soldaten von der Bewachung der Geiseln ab und schlossen sich seinem Trupp an. Grob geschätzt zählte ich dreißig Männer, dessen Schwerter allesamt nach unserem Blut dursteten.

»Wie bist du entkommen und wer genau ist das?« Zuletzt deutete er mit der Klingenspitze auf Cyrian, der mit seinem Schauspiel nicht gerade glänzte. Obwohl er zuvor noch die Ruhe in Person war, zwang er sich nun zu einem Lächeln, das schief und mehr als falsch seine Lippen kräuselte.

»Ein Kamerad«, knurrte ich zurück und begab mich in eine Angriffsposition. Unser gewagter Wortwechsel war nicht viel mehr als ein Anstacheln vor dem eigentlichen Kampf. Schon bald würden Schwerter erklingen und Blut den Boden benetzen.

Der Diavo kniff die Augen zusammen, sodass sie sich zu einem Spalt breit verengten: »Ich spüre seltsame Magie, die von ihm ausgeht.«

Im Hintergrund sah ich, wie der Zeitgott schluckte, bevor er mir zu zischte: »Lenke du sie ab, ich helfe dir mit meiner Magie und mache sie langsamer. Währenddessen befreie ich deine Familie.«

Kaum hatte das letzte Wort seinen Mund verlassen, ertönte der stumme Startschuss unseres Kampfes. Das Zeichen, das unseren Puls in die Höhe schießen ließ und schon bald war Akelicis ein Schlachtfeld, auf dem ein unerbittlicher Krieg wütete.

Der fünfte GottWo Geschichten leben. Entdecke jetzt