Kapitel 4.2 - Blutrote Schatten

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Urplötzlich durchströmte mich ein Gefühl von Macht. Rohe Stärke, die von jeder Faser meines Körpers Besitz ergriff. Sie durchzog meinen Körper, verband sich mit meinen Knochen und plötzlich war der Schmerz weg. Verschwunden, als ob man die Flamme einer Kerze mit einem sachten Windstoß ausgelöscht hätte.

Es handelte sich um rohe, ungeformte Energie, die erst eine Gestalt annahm, als sie meine Seele umschlang. So kräftig wie eine Rüstung und doch so weich, wie ein seidenes Tuch, zog sie sich über meine Haut. Von meinem Kopf, bis hin zu meinen Zehen. Alles war mit einem Prickeln erfüllt. Es war warm und angenehm.

Urplötzlich packte mich neue Hoffnung. Ich sammelte all meine Kräfte und ließ erneut das Blut der Diavis in meinen Adern explodieren. Pure Macht pumpte durch meine Muskeln, während ich mich gegen den Griff des Monsters wehrte.

Dicke Schweißperlen rollten von meiner Stirn. Zeitgleich zogen sich meine Lungenflügel schmerzhaft zusammen und mein Herz raste noch immer, als wäre es einen Marathon gelaufen, dennoch schaffte ich es die Klauen von meinem Körper zu schieben.

Der Schatten brüllte empört. Dunkel, erzürnt und voller Grausamkeit schallte der animalische Schrei durch den Wald, allerdings ließ ich mich nicht davon aufhalten. Mit all meiner Kraft entzog ich mich dem Griff und entkam den Fängen des Todes. Unsanft landete ich auf dem Boden und obwohl ich deutlich hörte, wie jeder Knochen in meinem Körper zu bersten schien, spürte ich nur weiter, wie diese Macht zunahm.

Erst als ich wieder festen Boden fand, konnte ich meine Gedanken ordnen, jedoch rauschte derart viel Adrenalin durch meinen Körper, dass es ein einziges Durcheinander blieb. Als hätte ein Wirbelsturm durch meinen Kopf gefegt, erkannte ich nur eine Wahrheit. Diese Stimme hatte mir Kraft verliehen. Eine Macht, die sowohl meinen Körper, als auch meine Sinne stärkte. Kein Zaubertrank kam dagegen an. Man könnte glauben, dieser Moment war ein Geschenk der Götter.

Binnen weniger Sekunden nahm ich das Kampfgeschehen wieder auf. Wo auch immer diese Kraft herkam, ich war dankbar dafür.

Mit einem schnellen Sprung wich ich nach links aus, während der Angriff des Schattens ins Leere ging. Erde und Staub wirbelte auf, dennoch schaffte ich es unversehrt zu meinem Schwert. In höchster Arlambereitschaft hielt ich den geformten Stahl vor mich. Obwohl es einen heftigen Schlag zu spüren bekommen hatte, war das Schwert größtenteils heil. Mit dieser Waffe könnte ich den Kern der Bestie mühelos durchstechen.

Mein Gegner startete eine Serie von Angriffen, die mich immer mehr in die Verteidigung drängten. Obwohl der Schatten nicht danach aussah, lernte er mit jeder Sekunde dazu. Er passte sich meinem Muster an und erfasste mich immer öfter um Haaresbreite. Deutlich spürte ich den Luftzug, den seine Klauen hinterließen, so scharf, so spitz, dass selbst Diamant perfekt in zwei Teile gespalten werden könnte.

Meine Instinkte sprudelten wild. Wie eine heiße Quelle, die im Mittelpunkt etlicher Geysire thronte. Immer mehr Energie durchströmte mich, als würde ihr Ursprung niemals erschöpft sein. Zwar knackte jeder Knochen in meinem Körper, während wir uns gegenseitig tödliche Wunden zufügten, uns gegenseitig anfielen, wie ausgehungerte Löwen in einem Kampf des Überlebens, doch der Adrenalinrausch ließ mich toben.

Immer schneller, immer stärker, dass selbst Götter vor unserem blutigen Kampf erschaudert wären. Mit einem kräftigen Hieb, trennte ich die Klauen von ihrem Stumpf. Dieses Mal spritzte mir dunkles Blut entgegen. Kalt und schwarz, wie die Finsternis der Nacht. Die verdorbene Flüssigkeit tropfte auf den Boden, von kleinen Lauten begleitet. Die Hand fiel auf den Boden, als die verkrümmte Haut sich kräuselte. Ein grässliches Stück weißer Knochen ragte aus dem Gewebe von Fleisch und Muskeln. Blut umspülte die Gewalttat und schnell wurde mir bewusst, dass mein Hieb den Kern des Monsters nur knapp verfehlt haben musste.

Zugegeben war der rechte Unterarm ein außergewöhnliches Versteck für einen Kern, der mit dem menschlichen Herz vergleichbar war, doch das sollte mich nicht stören. Hoffnung packte mich. Mit Zuversicht, die neu entflammt war wie ein Lagerfeuer, hob ich abermals die Klinge.

Das Licht des Mondes spiegelte sich auf dem Metall wider und ließ es silbern erstrahlen. Immer schneller ging mein Atem, während ich mich um meine eigene Achse drehte. Ich nahm Schwung und pumpte jegliche Kraft, die mir gegeben wurde in diesen letzten Angriff.

Es bot sich mir der perfekte Moment, als der Schatten erneut einen Schrei von sich stieß. Lauter, gequälter, als der davor und er riss sein scharfes Maul auf, aus dem eine blaue, reptilienartige Zunge zeigte. Die blutroten Augen verengten sich, die Wirbelsäule streckte sich durch und Schmerz durchschoss den Körper meines Feindes.

Im selben Moment zielte mein Schwert auf den Kern. Meine Augen fixierten die Stelle, die ich zu treffen erhoffte und immer mehr Druck baute sich in meinem Inneren auf. Ein Wirbelsturm tobte in meiner Seele, dennoch durfte ich nicht versagen. Die Angst zu sterben wurde verdrängt und die Entschlossenheit zu Siegen überwog. Es konnte nicht mit einer Niederlage enden. Was würden meine Freunde ohne mich tun? Den Schatten durfte ich nicht frei umherlaufen lassen. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn wegen meiner Schwäche, meine Familie starb. Egal, was es kosten würde. Selbst, wenn dieses Biest meinen Tod bedeutete.

Während diese Gedanken meinen Kopf zerrissen, näherte sich ein Ende. Meine Klinge bahnte sich ihren Weg und doch schien der Moment wie in Zeitlupe zu vergehen. Ein Ruf, der all meine Entschlossenheit zeigte, drang aus meiner Kehle, während jede Sekunde im Gefüge von Raum und Zeit unendlich schien.

Mit einer Erschütterung traf ich auf Fleisch. Der Schatten schrie und Blut benetzte den Boden. Ein beißender Geruch stieg mir in die Nase und im selben Moment vernahm ich das grässliche Knacken des Kerns. Spitz, als würde Glas zerschellen und doch läutete es einen Tod ein. Ein Beben erfasste den Körper des Monsters. Seine Gelenke zuckten, als würde sein Inneres explodieren. Alles wütete und seine Augen drehten sich um, bevor der Schatten einen Schwall Blut erbrach. Mit einem dumpfen Geräusch klappte das Monster zusammen. Sein dunkles Blut zierte den Waldboden und schon bald verhüllte der Duft des Todes den Moment.

Allerdings war der Erfolg nur von kurzer Dauer. Kaum war ich mir meines Siegs bewusst geworden, verschwand die Macht, die von mir Besitz ergriffen hatte. Urplötzlich überkam mich ein Gefühl der Schwäche. Wie ein Fluch, der mich all meiner Kraft beraubte. Sofort kam auch all der Schmerz wieder und ich spürte, alles dreimal so intensiv. Die Qual kam Flammen gleich, die meinen Körper verzehrten. Alles pulsierte, alles schmerzte und nahm kein Ende, als würde der Teufel selbst meinen Körper befallen.

Zitternd blickte ich an mir hinunter und reflexartig riss ich die Augen auf. Blut quoll aus jeder Wunde, färbte meine Kleidung scharlachrot und das Bild brannte sich in mein Gedächtnis. Ein Zittern packte mich und ich presste die Lippen aufeinander. Andernfalls wäre mir ein Schrei entkommen. Ein spitzer, greller Schrei, der nur ein Bruchteil der Qual widerspiegelte, die ich verspürte.

Langsam taumelte ich los und hinterließ eine Spur von Blut. Jede Bewegung war wie ein weiterer Schlag, der tief in mein Herz traf, doch egal, wie weh jede Faser meines Körpers tat, egal, ob ich die Hölle auf Erden erlebte, als ich die fernen Schreie weiterer Monster hörte, wusste ich, dass mein Schicksal besiegelt war.

Ich wollte nicht sterben. Nein, ich wollte leben, doch auch mit der Angst, die sich wie ein Parasit in meine Seele schlich, ich konnte nicht zurückkehren. Mit Sicherheit hatten die fernen Biester längst die Fährte meines Blutes aufgenommen. Sie jagten mich, wie ich zuvor den Hasen. Ich war ihre Beute, ihr Futter. Sie würden mich mit ihren Zähnen zerreißen und in diesem Zustand könnte ich mich noch nicht mal mehr wehren. Ich war ihnen schutzlos ausgeliefert und wenn ich zurück nach Akelicis ging, würde ich das Verderben geradewegs zu meiner Familie führen.

Tränen begannen meine Augen zu füllen, mein Herz schlug nur noch seicht und ein Schauer lief über meinen Rücken. Es war zu spät. Ich würde sterben. Einfach so. Warum musste es jetzt schon vorbei sein? Warum musste diese verdammte Welt nur so ungerecht sein? Ich wollte nur glücklich sein. Ich wollte nicht viel, nur freudig durch mein Leben gehen. War das wirklich zu viel verlangt? Ein harmonisches Leben zusammen mit meiner Familie?

Ich wusste, dass es zu spät war, deswegen nahm ich meine letzten Atemzüge und meine Worte verklungen in der nächtlichen Stille.

»Ich liebe euch alle.«

Der fünfte GottWo Geschichten leben. Entdecke jetzt