9. Kapitel

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Die Katze war übel zugerichtet. Sie war über und über zerkratzt. Das Blut stammte aus den Kratzwunden und einer Wunde am Bein, respektive von dort, wo ihr Bein gewesen wäre. Doch genau wie bei Limuel war es abgebissen worden.

Sanft schob ich meine Hände unter das Tier und hob es hoch. Anfangs wehrte sich die Katze, doch ich hielt sie fest im Arm und redete beruhigend auf sie ein, bis sie aufhörte zu zappeln.

Snape hatte mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Nun bedeutete er mir, ihm zu folgen – hoch zum Schloss und dann in den Krankenflügel.

«Was führt Sie beide zu dieser späten Stunde hierher? Gabe es einen Unfall?», fragte Madam Pomfrey, die aus ihrem Büro gewuselt kam.

«Wir haben draussen diese Katze gefunden», erklärte ich und hielt sie der Krankenschwester entgegen.

«Oh, das arme Tier! Was ist mit ihm geschehen?», fragte Madam Pomfrey entsetzt. Sie nahm mir die Katze ab und untersuchte sie. «Sie sagten, Sie haben sie draussen gefunden? Jetzt?»

Ich nickte. Ein tadelnder Blick der Krankenschwester traf Snape, der die Lippen zusammenkniff.

«Nun, wie dem auch sei. Ich werde diese arme Katze erst einmal verarzten, morgen hole ich dann Professor Kesselbrands Meinung ein. Er hat mehr Ahnung von Tieren als ich. Miss Seanorth, Sie gehen jetzt am besten ins Bett. Es ist schon sehr spät und Sie sollten längst schlafen. Immerhin haben Sie morgen wieder Unterricht.» Ein weiterer strenger Blick traf Snape, der jetzt die Augen verdrehte.

«Kommen Sie, Miss Seanorth. Ich bringe Sie hoch zu Ihrem Gemeinschaftsraum», sagte er.

Beide schwiegen wir, während wir durch die Korridore gingen und die Treppen hinaufstiegen. Vor dem Portrait der fetten Dame blieben wir stehen. Ich wollte ihr gerade das Passwort sagen, aber Snape hielt mich zurück.

«Miss Seanorth, wegen vorhin –», begann er.

Ich unterbrach ihn: «Ich werde niemandem davon erzählen, Professor, wenn es das ist, was Sie sagen wollten. Versprochen.»

Professor Snape nickte leicht, dann wünschte er mir eine gute Nacht und verschwand mit wehendem Umhang um die nächste Ecke. Schweigend sah ich ihm nach. Das war schon seltsam gewesen, da draussen im Wald. Niemals hätte ich Snape zugetraut, dass er so viele Emotionen zeigen konnte, so viel Trauer in sich trug. Er wirkte immer so distanziert.

Am nächsten Morgen musste Alicia ein Glas kaltes Wasser über meinem Kopf auskippen, damit ich aufwachte. Ich fluchte laut, was sie mit einem Lachen quittierte, in das auch Angelina einstimmte.

«Aufstehen, Schlafmütze! Sonst kommst du zu spät!», wies mich Alicia an und verlies dann zusammen mit Angelina den Schlafsaal, den wir drei uns teilten.

Grummelnd zog ich mich an und ging dann ins Bad. Dunkle Schatten lagen unter meinen Augen und verkündeten aller Welt, dass ich hoffnungslos übernächtigt war, aber dagegen konnte ich nicht viel machen. Hastig kämmte ich mir die Haare, band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen und machte mich dann, laut gähnend, auf den Weg. Unten im Gemeinschaftsraum stiess ich mit einem Rotschopf zusammen und fiel hin.

«Oh, tut mir leid! Hab' dich nicht gesehen! Ah, Adrienne, guten Morgen, hast du auch verschlafen?»

Es war Charlie Weasley. Er hielt mir die Hand hin und zog mich hoch.

«M-hm», nuschelte ich, nachdem ich wieder auf den Beinen stand.

Charlie lachte. «Hast dir die Nacht um die Ohren geschlagen, was?», fragte er mich und liess am Portraitloch den Vortritt.

«Kann man so sagen», antwortete ich grummelig. «Ich habe gestern Nacht draussen eine Katze gefunden. Wie Limuel hat auch ihr ein Bein gefehlt, aber sie war noch viel übler zugerichtet.»

Unausgesprochene Geheimnisse - Adrienne Seanorth (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt