14. Kapitel

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«Miss Seanorth? Wo sind Sie? Kommen Sie sofort her!» Die wütende Stimme drang durch den Nebel des Schlafes. Und dann: «Oh Merlin! Miss Seanorth? Können Sie mich hören?» Es war die gleiche Stimme. Neben mir hörte ich das Rascheln von Stoff. Jemand rüttelte mich an der Schulter. Ich wollte etwas sagen, mich beschweren, weil ich geweckt wurde, doch ich war so müde. Mir fehlte die Kraft, um etwas zu sagen, um gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Haare kitzelten mein Gesicht, dann tasteten warme Finger an meinem Handgelenk nach meinem Puls. Ein erleichtertes Seufzen. Ein Arm wurde unter meine Schultern geschoben, mein Oberkörper angehoben. Die Öffnung eines Fläschchens wurde mir an die Lippen gedrückt und Flüssigkeit floss in meinen Mund. Automatisch schluckte ich. Sofort breitete sich Wärme in mir aus, die Müdigkeit verschwand und Angst, Entsetzen und der Schmerz in meinem Knöchel kehrten mit solcher Wucht zurück, dass ich schrie. Schrie und schrie. Es tat so höllisch weh!

«Alles gut, alles gut», sagte eine tiefe, dunkle Stimme.

Alles gut?! Es tat weh! Schmerzte unendlich! Nicht gut!

Mein Kopf fuhr herum und prallte gegen einen anderen. Es tat verdammt weh, wenn auch nicht ganz so fest wie mein Knöchel und ich rieb mir mit der Handfläche über die schmerzende Stelle. Dann sackte mir das Herz in die Hose. Die Stimme gehörte Snape, der sich jetzt ebenfalls die Stirn rieb.

«Können Sie aufstehen?», fragte er mich. Seine Stimme war so emotionslos wie eh und je. Keine Wut, keine Besorgnis, kein beruhigender Klang.

«Ich glaube nicht, Sir», antwortete ich. «Mein Knöchel ist gebrochen.»

Snape besah sich den Knöchel und schiente ihn dann mit einem Zauber. «Fehlt Ihnen sonst noch etwas?»

Ich schüttelte den Kopf. Das Einzige, was mir sonst noch fehlte, war die Antwort auf die Frage, weshalb dieser Monsterhund von mir abgelassen hatte. Snape beschwor in der Zwischenzeit eine Trage aus dem Nichts herauf und half mir, mich darauf zu legen.

«Wieso sind Sie hier, Professor?», fragte ich. Wir waren mitten in der Nacht im Verbotenen Wald. Obwohl der für die Lehrer wahrscheinlich nicht verboten war.

Snapes Lippen kräuselten sich. «Ihre Freunde sagte, dass sie Sie hier verloren hätten. Was mich dazu bringt, dass ich Ihnen jetzt leider fünfzig Punkte abziehen muss. Und Sie dürfen Ihren Freunden bei deren Strafarbeiten Gesellschaft leisten», sagte Snape und der hämische Zug um seinen Mund verstärkte sich. Wenigstens wusste ich jetzt, dass es meinen Freunden gut ging. Und immerhin waren es nur fünfzig Punkte pro Kopf und nicht einhundert Punkte wie letztes Mal, als uns McGonagall aufgegabelt hatte.

Meine Trage schwebte neben Snape her. Keiner von uns sprach ein Wort und ich verfiel in Grübeleien über den Monsterhund. Was war er für ein Wesen? In Verteidigung gegen die Dunklen Künste hatten wir ihn nicht durchgenommen. Und wieso hatte er mir nichts getan? Wieso hatte er sich so seltsam verhalten, gewinselt und seine Schnauze auf den Boden gedrückt? Irgendwann musste ich wieder eingeschlafen sein.

Kathleen eilte den Weg zu Schloss Hogwarts hinauf. Sie hatte sich so schnell wie möglich auf den Weg gemacht, nachdem sie Severus Nachricht erhalten hatte. Er hatte Adrienne im Wald gefunden, wo sie sich – schon wieder – herumgetrieben hatte. Doch diesmal war sie nicht so glimpflich davongekommen, wie das letzte Mal. Kathleen war wütend auf Adrienne, weil sich diese schon das zweite Mal aufgemacht hatte, um ein Monster zu jagen, und wütend auf sich selbst, weil sie es nicht geschafft hatte, ihrer Tochter nach dem letzten Ausflug deutlich zu machen, dass es eine grosse Torheit war, nach einem Monster zu suchen. Wieso dachte ihre Tochter nicht einen kurzen Moment nach, bevor sie sich in eine lebensgefährliche Situation begab?

Am Schlossportal angekommen, drückte Kathleen dagegen und wand sich durch den Spalt. Trotz der schweren Lederkluft bewegte sie sich so geschmeidig und leichtfüssig wie eine Katze. Sicheren Schrittes eilte sie im Dunkeln durch die Korridore, denn sie sah auch genauso gut. Kathleen musste Schmunzeln. Sie wusste, dass Adrienne ihre Augen immer mit denen einer Katze verglich. Wenn ihre Tochter wüsste, wie Recht sie hatte. Doch auch Katzenaugen konnten nicht um Ecken sehen und um so eine bog Kathleen gerade und – BANG – knallte mit jemandem zusammen.

Unausgesprochene Geheimnisse - Adrienne Seanorth (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt