Die Zeit verging. Ostern kam und ich bekam von meinen Freunden Schokoladen-Osterhasen, die sich bewegten wie echte, und von Joanne eine ganze Packung Zuckereier, die fast genauso süss und klebrig waren, wie Hagrids Sirupbonbons. Aber nur fast – die Zähne bekam ich jedenfalls wieder auseinander. Von meiner Ma bekam ich nichts – sie feierte kein Ostern, sondern nur Ostara, das keltische Fest, von dem sich Ostern ableitete. Dafür hatte sie mir zur Tag-Nacht-Gleiche ein kleines Päckchen mit einem Schaf aus Marzipan geschickt. Die Lehrer hielten uns im Unterricht und mit den Hausaufgaben mehr denn je auf Trab, denn die Prüfungen rückten näher. Ich nahm mir an den älteren Schülern ein Beispiel und begann ebenfalls damit, das bisher gelernte zu wiederholen. Es war eine ganze Menge und zeitweise zweifelte ich daran, ob ich wirklich den ganzen Stoff wiederholen konnte, bevor die Prüfungen begannen. Geschweige denn, mir alles zu merken. Ich ging nicht wieder in den Wald. Zum einen, weil mir Charlies Reaktion auf meinen letzten Ausflug noch immer lebhaft in Erinnerung war, zum anderen, weil die scharfen Fangzähne des Grimms und sein heisser, stinkender Atem doch eine gewisse Abschreckung waren. Und weil ich schlicht und einfach keine Zeit dafür hatte. Stattdessen traf ich mich mit Jessie in der Bibliothek, wo wir gemeinsam für die Prüfungen lernten. Allerdings war das heute etwas schwierig.
«Na, Mädels? Ohrstöpsel gefällig?», fragte George, der gerade um ein Regal gebogen war und hielt uns eine Schachtel mit Ohrstöpseln unter die Nase. «Wir verkaufen sie für einen Sickel pro Paar.»
«Wieso verkauft ihr Ohrstöpsel?», fragte Jessie misstrauisch und beäugte die kleinen, gelblichen Pfropfen in der Schachtel.
«Oh, um unser Taschengeld aufzustocken und weil man mit Ohrstöpseln gänzlich ungestört lernen kann», sagte George mit einem Lächeln, bei dem sogar der vertrauensseligste Hufflepuff misstrauisch geworden wäre.
«Ich denke, wir verzichten», sagte ich.
«Wie schade. Dann noch viel Spass beim Lernen, Mädels.»
George verschwand hinter dem nächsten Regal und Jessie und ich sahen uns an.
«Was glaubst du, was die Zwillinge diesmal vorhaben?», fragte mich Jessie.
«Keine Ahnung. Ich schau mal nach, was George macht.» Ich stand auf und spähte um das Regal herum. «Er versucht auch den anderen Schülern Ohrstöpsel anzudrehen», berichtete ich.
Jessie runzelte die Stirn, doch schliesslich beschlossen wir, der Sache keine weitere Beachtung zu schenken. Erneut vertiefte ich mich in das Geschichtsbuch vor mir, in dem ich die Geschehnisse, die zum Internationalen Geheimhaltungsabkommen geführt hatten, nachlas. Binns hatte das Thema in seinem Unterricht so dermassen langweilig gestaltet – langweiliger als alle anderen Themen, auch wenn das kaum zu glauben war – dass ich tatsächlich im Unterricht eingeschlafen war. Dabei war es ein wirklich interessantes Thema. Und genau das gleiche, wie auch in dem Geschichtsbuch meiner Mutter, das ich in den Ferien aus Langeweile gelesen hatte, erinnerte ich mich. Nur war das Thema hier aus Sicht der Hexen und Zauberer abgehandelt. Bathilda Bagshot, eine der bekanntesten Historikerinnen der magischen Welt, hatte das Thema in diesem Buch sehr ansprechend aufbereitet. Der Grund für das Geheimhaltungsstatut war – wie konnte es anders sein – die Hexenverfolgung. Interessiert las ich:
Bereits im Mittelalter wurde das barbarische Verfahren der Hexenverbrennung praktiziert. Damals allerdings konnten sich die Hexen und Zauberer damit arrangieren. Die Leute, die die Muggel der Hexerei bezichtigten, waren meist nichtmagisch. Und in den seltenen Fällen, da sie eine richtige Hexe in die Finger bekamen, sprach diese einfach einen simplen Flammen-Gefrierzauber und schrie dann wie am Spiess um den Eindruck zu erwecken, dass sie wirklich verbrannte. (mehr dazu im Kapitel ‚Hexenverfolgung', S. 121)
Im siebzehnten Jahrhundert wurde die Hexenverfolgung allerdings zu einem Problem. In Europa herrschte zu dieser Zeit der dreissigjährige Krieg, der am schlimmsten im Heiligen römischen Reich deutscher Nation tobte. Es war ein Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten – zwei Glaubensgruppen der christlichen Kirche, die beide für sich beanspruchten, dass ihre Auffassung der Lehre ihres Gottes die richtige war. (Im Anhang, S. 583, finden Sie eine ausführlichere Definition.) Zumindest war das der äussere Anstrich, den der Krieg erhielt und der ihn rechtfertigte. Den meisten Herrschern dieser Zeit ging es allerdings hauptsächlich um eines: Macht. Sie schürten die Angst ihrer Untertanen vor dem Teufel – eine Kreatur mit Hörnern und Ziegenfuss, die bei den Muggeln dieser Zeit für das Böse stand – und liessen verlauten, dass die jeweils andere Glaubensgruppe ihm diente. Sie bezichtigten diese, mit dem Teufel gemeinsame Sache zu machen. Jegliche Art von Hexerei und Zauberei war ihrer Meinung nach ein Zeichen dafür, dass man dem Teufel diente, weshalb sie grausam dagegen vorgingen.
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Unausgesprochene Geheimnisse - Adrienne Seanorth (HP FF)
FanfictionEine Harry Potter Fanfiction (Überarbeitet) Adrienne Seanorth hat nicht an Magie geglaubt, bis sie ihren Hogwartsbrief erhalten hat. Nun muss sie sich in einer völlig neuen Welt zurecht finden. Darüber hinaus verhält sich ihre Mutter ausgesprochen s...