;;000 Prologue

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Der junge Hengst läuft in einer ungewöhnlichen Schrittfolge — eine Gangart, für die seine Rasse bekannt ist. Und das soll dem jungen Mann, der komplett in schwarz gekleidet ist, recht sein. Denn der Tölt ist um einiges schneller und trotzdem verbraucht er nicht viel Energie des Pferdes, dessen schwarzes Fell wegen der untergehenden Sonne glitzert und dessen weisse Mähne sich pink und orange färbt, während die Sonne ihre letzten Strahlen über das Land schickt.

Der Mann, der schon seit dem Morgengrauen auf dem Rücken des energiegeladenen Hengstes sitzt, bringt das Tier durch ein leichtes Ziehen an den Lederzügeln zum Stehen. Dem Pferd scheint seine momentane Position nicht zu gefallen, aber er vertraut dem Schwarzgekleideten. Und so kommt es, dass Pferd und Reiter beide auf die Grossstadt heruntersehen, die sich unterhalb der Hügel erstreckt, auf denen sie geradestehen.

Rifthold, die neu ernannte Hauptstadt von Erilea, erstreckt sich, an den Great Ocean geschmiegt, mehrere Kilometer nach Norden und Süden. Der Glasanbau des Schlosses, der einfach auf das alte Schloss gesetzt wurde, fängt die Farben der untergehenden Sonne ein und reflektiert sie in alle Richtungen. Der junge Mann kneift leicht seine Augen zusammen, um erkennen zu können, dass noch immer viele Menschen auf den Strassen unterwegs sind.

Es ist Anfang Frühling. Die Einwohner gehen gut gelaunt durch die Strassen, begrüssen sich oder verhandeln mit den einfachen Bauern, die sich keinen Platz auf den grossen Märkten ergattern konnten. Die Kinder spielen mit einander und die Erwachsenen gehen nebeneinander oder umarmen sich.

Das ist eine Geste, die der schwarzgekleidete Mann nie verstehen wird. Die Menschen suchen die körperliche Nähe von anderen, die sie mögen. Aber vielleicht kennt der junge Reiter das Gefühl der körperlichen Nähe einfach nicht, weil er niemanden ausser seinem Hengst hat. Der Mann beschliesst, nicht darüber nachzudenken. Er ist glücklich allein und ausserdem möchte wahrscheinlich keine einzige Menschen Seele freiwillig Zeit mit ihm verbringen.

Der Mann wendet seinen Hengst durch eine leichte Berührung seines einen Unterschenkels und reitet den Berg hinab, um in die Stadt zu gelangen. Er sieht ein letztes Mal zu seinem Ziel — das Schloss, von dem man mittlerweile nur noch die Turmspitzen sehen kann, die so aussehen, als ob sie versuchen, das Sonnenlicht so lange wie möglich behalten zu können, um weiter so schön wirken zu können. Danach zieht sich der Mann die Kapuze seines Umhanges über die schwarzen Haare.

Er möchte seine Identität nicht preisgeben. Denn die Menschen von Rifthold wissen sehr wohl, wie der meistgesuchte Assassine von Erilea auftritt — immer komplett in schwarz. Ein anderes markantes Detail an seinem Dasein ist, dass er auf einem Wildpferd sitzt, die eigentlich dafür bekannt sind, sich von niemandem berühren zu lassen. Aber der junge Assassine und sein Hengst haben eine tiefe Bindung, die Jahre zurückreicht. Und tatsächlich. Sobald der Assassine die Stadttore passiert, bildet sich eine Schneise, durch die er in aller Seelenruhe reiten kann.

»Mama, wer ist das?«, fragt ein kleines Mädchen, das an der Hand seiner Mutter läuft. Das Mädchen mustert den Mann auf dem Wildpferd mit grossen Augen, wird aber von der Mutter weitergezogen. »Sieh ihn jah nicht mehr an!«, mahnt die Mutter und das Kind gehorcht. Der Assassine grinst leicht — das ist nicht das, was er wollte. Aber es ist das, was er bekommen hat und darum fügt er sich seinem Schicksal.

Als der Mann über einen der belebten Marktplätze reitet, rollt ein kleiner Ball aus Holz vor die Hufe seines Pferdes, das direkt auf seinen Befehl reagiert und stehen bleibt. Keine Sekunde später rennt ein kleiner Junge mit einer zerschlissenen Tunika dem Ball nach. Er scheint nicht zu verstehen, was er gerade gemacht hat — dass er gerade dem Teufel höchst persönlich über den Weg gerannt ist.

Auf dem Marktplatz liegt plötzlich ein eisernes Schweigen und auch der Junge scheint bemerkt zu haben, dass die ganze Aufmerksamkeit auf ihm liegt. Langsam sieht der Braunhaarige von seinem Ball auf und starrt die schwarze Gestalt auf dem Pferd an, vor dem er vorher gerade hindurch gerannt ist. In dem Moment ist sich der junge Reiter seiner ganzen Waffen sehr gut bewusst — er ist bis auf die Zähne bewaffnet.

Unter seinem Umhang befindet sich ein Schwert in einer Scheide, das gestern erst zum Einsatz kam. Darüber hängt ein flacher Köcher und der zusammenfaltbare Bogen. Unter seinen schwarzen Lederschuhen schmiegen sich sechs scharfe Wurfmesser an sein Hosenbein. Im anderen Stiefel steckt ein Kampfmesser. Unter seiner Tunika hat der junge Mann jeweils ein Unterarmschutz angebracht — für den Fall, dass er sich verteidigen müsste. Und zu guter Letzt baumelt ein glänzender Dolch — auch in einer Scheide — an seinem Gürtel.

Er könnte jeden einzelnen auf diesem Marktplatz innerhalb von zehn Minuten umbringen — auf die verschiedensten Arten. Das ist sein Job. Er wird von reichen Leuten angeheuert, damit er dessen Gegenspieler umbringt. Oder von einem Bauern, der das Land des Nachbarbauern will. Aber er ist nicht wegen einem Auftrag hier in Rifthold — nein, heute nicht. Ein Elf hat ihm einen Brief gebracht. Der König hat ihn eingeladen. In seinem Brief hat er versprochen, dass es keine Falle sei.

Jeder andere wäre wahrscheinlich auf der Stelle umgedreht oder hätte den Brief verbrannt — wieso sollte man sich in die Höhle des Löwen begeben? Aber der Assassine ist neugierig. Und für den Fall, dass der König sein Versprechen nicht halten wird, weiss er, dass er trotzdem entkommen kann — das weiss jeder. Es wäre einfach nur dumm, wenn man ihn in eine Falle locken würde. Er ist der Beste. Er kann am besten mit Waffen umgehen. Er ist am unauffälligsten. Er wird erst sterben, wenn er es will.

Der Assassine treibt sein Pferd wieder an und lässt die Menschen stehen. Er bringt keine Kinder um. Das hat er sich noch vor seinem ersten Auftrag geschworen. Also reitet er weiter zum Schloss. Er passiert die grosse Brücke, die den Südteil mit dem Nordteil der Stadt verbindet und hält sich danach an den grossen Avery River, von dem aus ihn einige Fischer erschrockene Blicke zuwerfen. Er passiert eine zweite Brücke, die den Nordteil der Stadt mit dem Schloss verbindet, das allein auf einer Insel steht.

Die Wachen, die am Front Tor des Schlosses stehen und darüber entscheiden, ob die Person vor ihnen passieren darf oder nicht, starren den Schwarzgekleideten so an, als ob sie ein Gespenst gesehen haben. Der Reiter bringt sein Pferd zum Stehen, greift wortlos in eines der vielen geheimen Fächer seines Umhanges und überreicht einem der Wachen schlussendlich den Brief, der der König ihm geschickt hat.

Die Soldaten tauschen nervöse Blicke und der eine verschwindet daraufhin, nur um nach ein paar Minuten mit einem ziemlich durchtrainierten Typen wieder um die Ecke zu joggen. Der durchtrainierte Typ wirft dem jungen Reiter immer wieder misstrauische Blicke zu, bevor er sich den Brief durchliest. Schlussendlich kann er sich aber doch nur den Befehlen des Königs beugen und er lässt den Assassinen passieren, der sich den Brief elegant wieder zurückerobert, bevor er das Tor passiert.

Im grossen Innenhof angekommen, lässt sich der Assassine von seinem Pferd gleiten, um es danach an einem Pfosten anzumachen. Nein, der Hengst würde nicht wegrennen. Aber es soll kein Pferde Pfleger kommen und versuchen, sich um den Hengst zu kümmern. Denn der Hengst ist mindestens genauso blutrünstig wie sein Reiter — vor allem gegenüber fremden Menschen. Der junge Mann tätschelt nochmals den Hals des Hengstes und geht danach mit wehendem Umhang auf die grosse Eingangstür zu.

Ein älterer Diener wird ihm zugewiesen und so folgt der Assassine mit wehendem Umhang dem Diener, der mit jedem Schritt schneller zu werden schien — verständlich. Denn der junge Mann in schwarz sieht mit seinem wehenden Umhang und der Kapuze, die er tief ins Gesicht gezogen hat, aus wie der Teufel höchstpersönlich. Vor einer Milchglastür im Glasanbau des Schlosses bleibt der Diener stehen und verbeugt sich so tief, dass seine Haare fast den Boden berühren.

Der junge Reiter reisst die Türen auf und geht über den roten Teppich auf die sieben Stühle zu, die sich am anderen Ende des Saales befinden. Dabei sieht er sich genau um und merkt sich, wo wie viele Soldaten stehen. Er scheint die Adeligen wohl zu stören, da sie anscheinend schon Feierabend hatten, denn eine Frau in grau gehüllt eilt vor einem Mann in Rot durch eine Nebentür auf einen der thronartigen Stühle zu.

Als der Assassine vorne ankommt, umhüllt ihn sein Umhang, der ziemlich viel Schwung draufhatte. Er sieht so auf, dass er alle sieben Personen vor sich ansehen konnte, ohne dass sie mehr als seine Mundpartie erkennen. Ein Mann in violett, eine Frau in hellem türkis, eine Frau in blau, die Frau in grau und der Mann in Rot. Die Vertreter der fünf Adelshäuser von Erilea. Und zwischen ihnen der König, in weissen und roten Samt gehüllt und mit einer protzigen Krone auf seinem Kopf.

Und neben dem König? Ja, dort sitzt tatsächlich ein zierlicher Junge, etwa in dem jungen Alter des Assassinen, und starrt den Schwarzgekleideten mit leicht geöffnetem Mund an. Der Kronprinz von Erilea — aber was zur Hölle macht er denn hier?

Killer 💫a yoonmin story 💫Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt