Kapitel 1 Emilia

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Emilia

"Mit der Versetzung in eine neue Abteilung begann das ganze Dilemma", dachte Emilia, als sie unruhig mit ihren Fingern auf der Tastatur trommelte, ohne wirklich etwas zu schreiben. Die sechs Tassen Kaffee hielten sie jetzt irgendwie wach, obwohl sie sich tief müde fühlte und am liebsten in ihr Bett gekrochen wäre. Die anklagenden Zeiger einer Uhr an der Wand verrieten ihr warum. Es war kurz vor Mitternacht. Das taghell erleuchtete Büro nahm ihr jegliches Zeitgefühl, auch wenn es draußen stockfinster zu sein schien. Viel sah sie nicht mehr, weil das Neonlicht gegen eine dunkle verglaste Wand prallte und ihr jegliche Sicht versperrte. Lediglich ein paar lichterumrissene Ameisen waren noch vom zwölften Stock zu erkennen, die im Gegensatz zu ihr vermutlich ausschwärmten, um den Freitagabend zu feiern. Emilia seufzte, "Wo war bloß schon wieder die Zeit hin?" Jetzt war es eindeutig bewiesen, sie war ein unverbesserlicher Workaholic. Eine Bezeichnung, die sie wohl vor einem Jahr niemals für sich ausgewählt hätte. Talentiert, fleißig, vielleicht noch eifrig, aber Workaholic? Das ging ihr eindeutig zu weit. Das klang für sie irgendwie mechanisch, wie ein Roboter, ohne Emotionen und Bedürfnisse und spiegelte so gar nicht ihre Liebe für das Schreiben wieder.Schon als Kind mochte Emilia Geschichten und hing an den Lippen ihrer Eltern, als sie ihr die schönsten und märchenhaftesten Bücher vorlasen. Kaum hatte sie lesen und schreiben gelernt und einen Stift zwischen die Finger bekommen, begann sie selber fantasievolle Welten zu erschaffen. "Die verträumten Gedanken eines 9 jährigen Kindes", dachte sie mit einem Lächeln auf den Lippen und fühlte sich noch einmal in die Vergangenheit versetzt.Sie war so glücklich gewesen, als sie nach dem Studium bei der June die Möglichkeit bekam, mit dem Schreiben Geld zu verdienen. Mehr noch. Sie lernte durch Interviews viele spannende Persönlichkeiten kennen, war auf den angesagtesten Events als Presse unterwegs und hatte jeglichen kreativen Freiraum. Wie sehr sie es genoss. Wie so oft im Leben, tat man die Dinge besonders gut, die man liebte. Es war also kein Wunder, dass man sie kaum ein Jahr später in eine neu gegründete Abteilung versetzt wurde, in der, so hieß es, nur die talentiertesten von ihnen aufgenommen wurden. Von einem Tag auf den anderen fand sie sich als Mitglied eines sechsköpfigen Teams wieder und zu ihrer Freude wurde sie nun Ernst genommen, wenn es um Themenvorschläge oder neue Formate ging. Nicht zuletzt, weil ihre neue Redakteurin, nur zum Übergang eingesetzt wurde und nach Nachwuchs Ausschau hielt. Ihre Nachfolgerin, so munkelte man, sollte aus den eigenen Reihen kommen. Emilias Versetzung war also kein Zufall, sondern die Eintrittskarte in die ganz große Karriere. Eigentlich hatte sie sich nie mit dem Gedanken auseinandergesetzt Karriere zu machen und konnte es sich gar nicht so richtig vorstellen. Dass ihr eine so großartige und einzigartige Chance geboten wurde, erfüllte sie deshalb ganz besonders mit Stolz und so begann sie ihre unglaublich aufregende berufliche Reise. Von dem Gefühl berauscht, strengte sie sich nun doppelt so sehr an, meldete sich ständig freiwillig und schob Überstunden, auch am Wochenende. Ihre Vorsetzten nickten ihren neuen Streber anerkennend zu und sie wurde von Lob überschüttet. Diese Anerkennung war wie Balsam auf der Seele und sie wollte immer mehr davon."Das war der Anfang vom Ende", dachte sie bitter and die Anfangszeit zurück. Wie naiv sie doch damals war zu glauben, dass sie die Karriereleiter erklomm. Nicht mal ein Jahr hat es gebraucht, bis diese strahlende Leiter als Hamsterrad entpuppte, in das sie nun unermüdlich strampelte und sich zu überschlagen drohte. Sie sah die Katastrophe kommen und konnte nichts dagegen tun. Sie fühlte sich regungslos, machtlos, gelähmt. Wie ein Tier in der Falle. Sie fühlte sich ständig müde und krank, ihre Schreibqualität ließ langsam nach und aus Lob wurde Kritik. Doch jetzt so kurz vor dem Ziel aufzugeben, kam einfach nicht in die Tüte. Dafür hatte sie zu viel investiert, zu hart gearbeitet. Sie musste sich zusammenreißen und ein bisschen noch durchhalten. Ihr Handy vibrierte und sie war sich nicht sicher, ob sie die Nachricht wirklich lesen wollte. Es war ihr Freund, Niklas, der wahrscheinlich zum wiederholten Male mit ihr reden wollte. Sie ging ihn sehr erfolgreich aus dem Weg und wußte eigentlich gar nicht warum. „Na toll", kommentierte sie seine Nachricht, „jetzt will er auch noch über das Wochenende verreisen, um in Ruhe über ihre Beziehung nachzudenken. Ganz prima." Sie entschied sich es für heute gut sein zu lassen und fuhr nach einem letzten Blick auf ihr Werk den Computer herunter. Endlich fertig. Sie streckte sich ausgiebig und gähnte herzhaft. Ihr Körper schien sich sofort zu entspannen und übermannte sie mit einer nie da gewesenen Müdigkeit. Sie blinzelte. Du meine Güte, sie sah tatsächlich alles ganz verschwommen. Schlimmer noch, sie fühlte sich ganz benommen. Ihre Hände zitterten, als sie ihr Handy in die Tasche packte und den Reißverschluss schloss. Am besten ist es, wenn sie sich nur ein paar Minuten auf das Sofa im Büro setzt und sich kurz zurücklehnt. Sie schloss die Augen und schlief ein.

Ein SommertraumWhere stories live. Discover now