Kapitel 2

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Emilia„Guten Morgen, hast du etwa hier geschlafen?", riss sie eine Frauenstimme aus dem Schlaf.Emilia sah noch ganz verschwommen in zwei paar dunkelblaue Augen, die sie belustigt und neugierig musterten. Die Frau, die vor ihr allmählich Gestalt annahm, trug ein knallpinkes Oberteil und balancierte einen Starbucks-Kaffee in ihrer Hand. Lisa. Was machte die denn schon hier? Sonst kam ihre Kollegin doch nie vor 8 Uhr.„Wie spät ist es?", fragte Emilia verschlafen und konnte sich ein Gähnen gerade so verkneifen.„Punkt 8 Uhr." Wie zur Bestätigung tippte sich Lisa auf ihre goldene Armbanduhr und hielt sie ihr demonstrierend hin. Über ihr Gesicht rutschte ein triumphierendes Lächeln.„Oh Gott.", jammerte Emilia. Sie hatte ganz eindeutig verschlafen.Eigentlich hatte sie Übung darin im Büro zu übernachten und dabei ihre Nomadenaktivitäten gut zu verbergen. Sie stellte sich jeden morgen präzise um 6 Uhr den Wecker und schlich dann schnell ins Bad, um sich frisch zu machen und ihre Klamotten zu wechseln. Pünktlich bevor die ersten Kollegen eintrafen, saß sie wie aus dem Ei gepellt an ihrem Schreibtisch und setzte ein fröhliches Lächeln auf. Es war ihre Geheimwaffe, wie sie es schaffte jeden Tag die erste und letzte im Büro zu sein und dass obwohl sie die weiteste Anreise hatte. Emilia lebte noch bei ihren Eltern in Eichwalde und wäre am liebsten so schnell wie möglich ausgezogen. Doch dazu müsste sie erst einmal die Zeit aufbringen nach einer Wohnung zu schauen. Ein Umzug passte gerade gar nicht in ihren bald platzenden Terminkalender und so schob sie es, wie viele andere Dinge in ihren Leben, vor sich her. Zwischendurch quartierte sie sich unter der Woche bei Niklas ein, dessen Gastfreundschaft sie aber nicht überstrapazieren wollte, vor allem seitdem bei den beiden dicke Luft wegen ihrer Arbeit herrschte. Niemand wußte von ihrer außergewöhnlichen Schlafsituation und es ging auch wirklich keinen etwas an, wann und wo sie nächtigte. Schon gar nicht Lisa, ihrer perfekte Kollegin, die das Ebenbild dessen war, was Emilia noch vor ein paar Monaten war und ihr vor Augen führte wie sehr sie versagt hatte. Am meisten ärgerte es Emilia jedoch, dass es Lisa irgendwie schaffte noch ein Privatleben zu führen. Sie ging immer pünktlich um 18 Uhr und trotzdem kassierte sie ständig Lob für ihre Arbeit. Also blieb Emilia keine andere Wahl als Überstunden zu schieben und im Büro zu schlafen.Sie wollte gerade ihren Mund öffnen, um etwas abfälliges zu erwidern und schloss ihn sogleich wieder, als die Assistentin der Chefredakteurin ihren Rotschopf in die Tür steckte. Ihre Augen tasteten das Büro ab bis sie entdeckte, was sie suchte. „Ahh Lisa, dich habe ich gesucht.", stellte sie zufrieden fest. Dann fügte sie mit einem vielsagenden Zwinkern hinzu: "Einmal mitkommen bitte."„Ach, quatsch, echt? Ich?", spielte Lisa die überraschte und Emilia rollte mit den Augen. Es kam nicht allzu oft vor, dass man in oberste Etage eingeladen wurde. Doch wenn dem so war, dann hieß es entweder etwas ganz positives oder eben etwas ganz schlechtes. Emilia ertappte sich dabei, wie sie auf letzteres hoffte und kam sich dabei vor wie die böse Hexe von Oz. Während sie abwog, ob sie dafür in die Hölle kam, schweifte Judiths Blick zu ihr und sie verzog missmutig das Gesicht.„Du weißt schon, dass es verboten ist im Büro zu schlafen oder? Besser du gehst nochmal kurz auf die Toilette, mhm?", blaffte Judith rechthaberisch und schaute angewidert. Ohne ein weiteres Wort, verschwand sie so schnell, wie sie erschienen war. Lisa tänzelte aufgeregt im Büro umher und kramte in ihrer Louis Vuitton nach einen Handspiegel. Sie schminkte sich ausführlich ihre angeblich nicht aufgespritzten Lippen und friemelte minutenlang eine Haarsträhne ihres ohnehin perfekt geglätteten blondierten Haars zurecht. Schließlich brachte sie sich in Position und präsentierte sich mit ausgestreckten Händen.„Wie sehe ich aus?"Oh nein, jetzt wollte sie auch noch ein Lob. Emilia stöhnte innerlich auf. Konnte der Tag heute noch schlimmer werden?„Super.", war alles was Emilia zustande brachte. Doch anscheinend war es für Lisa völlig ausreichend. Zufrieden machte sie sich auf dem Weg und hinterließ eine starke Parfumewolke, als sie den Raum verließ.Mürrisch ging Emilia mit ihrer Schminktasche unter den Arm geklemmt ins Bad und hatte das Gefühl den Walk of Shame hinter sich zu legen.  Die verglaste Wand zu den anderen Büros und Besprechungsräumen bot den perfekten Blick zum Flur, wo Emilia sich versuchte so unauffällig wie möglich ans andere Ende zu bewegen. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie mitleidserregend angestarrt und über sie kopfschüttelnd getuschelt wurde. Es war eindeutig Höhepunkt von Emilias bisherigen Karriere und sie schwor sich, doch ihre Wohnsituation schnellstmöglich in Angriff zu nehmen. Tiefer konnte sie nicht mehr sinken.Der große mit Neonlampen beleuchtete Wandspiegel zeigte deutlich, was ihr Judith zwei Minuten zuvor hatte deutlich machen wollen. Ihre langen schwarzen Haare, die sie gestern sorgfältig in einen Dutt hochgesteckt hatte, standen ihr zu allen Seiten ab und auch ihr Mascara zog Augenringe, die es durchaus mit ihren Natürlichen aufnehmen konnte. Sie fühlte sich wie nach einer durchtanzten Party und ihr Spiegelbild gab ihr mehr als recht. Seufzend griff sie nach ihren Schminktäschchen und bereitete sich darauf vor, Wunder zu vollbringen. Ein bisschen Rouge hier, ein bisschen Concealer da und schon sah es gar nicht mehr so schlimm aus, munterte sie sich auf. Doch die Müdigkeit wollte ihr einfach nicht aus dem Gesicht weichen. Sie kämmte sich die Haare und knotete es wieder in einen sorgfältigen Dutt zusammen. Immerhin konnte sie das retten. Ihr schwarzes, etwas über knielanges Kleid, das ihre kurzen Beine optisch streckte, hatte zum Glück keine größeren Knitterschäden davon getragen und schmeichelte nach wie vor ihrer schmalen Figur. Sie hatte definitiv abgenommen und wirkte trotz des vielen Sports zerbrechlich. Sie warf noch einmal einen Blick in den Spiegel und tigerte wieder zurück ins Büro. Eine strahlende Lisa begrüßte sie mit einer großen Flasche Schampus.„Ich bin die neue Redakteurin!", platzte es aus ihr heraus, "Kannst du das glauben? Hach, eigentlich wollte ich nie groß Karriere machen, aber ist das nicht wunderbar? Natürlich konnte ich nicht ablehnen. Ich muss unbedingt meinen Freund anrufen. Ja, du hast richtig gehört, wir sind jetzt zusammen! Ich könnte platzen vor Glück, aber erstmal, lass uns anstoßen.", drückte sie Emilia ein Glas in die Hand. Während sie in einen endlosen Monolog selber wortreich Hymnen auf sich lobte, nippte Emilia geistesabwesend an ihren Sekt. Sie fühlte sich wie in einem schlechten Film. Wie konnten bloß Lisa Redakteurin werden. Wieso? Sie verfloss in Selbstmitleid und beobachtete, die strahlende Lisa, die  inzwischen von der ganzen Abteilung umzingelt war, wo sie hätte eigentlich stehen sollen. Ein paar mitleidige Blicke streiften Emilia und schauten sie wissend an.„Mach dir nichts draus", hörte sie jemanden sagen und machte sich nicht mal mehr die Mühe zu schauen, von wem es kam.Ja klar, natürlich machte sie sich nichts draus. Ist ja nicht so, als hätte sie ein Jahr ihres Lebens verschwendet. Tag und Nacht schwer geschuftet. Ihr Privatleben an den Nagel gehangen. Im Büro geschlafen. Oh Gott. Sie vergrub ihre Gesicht in einen Ellenbogen und musste ein Heulkrampf unterdrücken. Alles drehte sich um ihr herum und sie wußte nicht, ob er schwindelig von der Situation oder von dem Sekt war, den sie auf nüchternen Magen trank. Sie wollte nur noch weg. Einfach raus hier. Sie konnte es einfach nicht ertragen Königin Lisas Thronbesteigung zu beobachten. Klamm heimlich machte sie sich aus den Staub mit der Ausrede noch einen Termin zu haben und überließ Lisa einer Traube schnatternder Kollegen.

Ein SommertraumWhere stories live. Discover now