Kapitel 3 Zeit für Zukunftspläne

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Im Aufzug atmete sie tief durch und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen die kalte metallische Wand. Sie war alleine und versuchte nach den Geschehnissen von eben einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr einziger Sinn und Mittelpunkt im Leben hatte sich soeben in Luft aufgelöst und die vorher noch empfundene Verzweiflung und Trauer über das Verlorene, wich einer Leere, die schon seit einiger Zeit gespürt und immer wieder verdrängt hatte. Während sie versuchte sich daran zu erinnern, wann sie das letzte mal mit ihrer besten Freundin in ihrem Lieblingscafé über Gott und die Welt getratscht hatte, merkte sie, wie Leid sie es hatte ihr Privatleben auf einen unbestimmten Zeitpunkt in die Zukunft zu verschieben und das Bedürfnis nach menschlicher Nähe zu verdrängen. Sie hatte es so Leid eine Marionette im Spiel um die nächste Story zu sein, sich kampflustig mit ausgestreckten Ellenbogen zu behaupten und dann eine Schleife durch den Teufelskreis zu drehen. Damit war nun endgültig Schluss. Niemals würde sie zurückkehren und unter Lisas selbstsüchtigen Regiments nach ihrer Pfeife tanzen. 

Damit war nun endgültig Schluss. Sie schlug die Augen auf und drückte hastig auf den Knopf, der sie in den 12. Stock zurückführte. Viel zu lange hatte sie sich ihre Meinung verkniffen, nur um anderen zu gefallen und ihre Chancen auf die Beförderung nicht zu gefährden. Sie hatte es so satt zu sehen, wie andere, insbesondere Lisa, ihr Lob einkassierten und sie sich aufopferte, während andere Kollegen ein entspanntes Leben auf ihren Kosten führten. Es war Zeit ihr Schweigen zu brechen und endlich das auszusprechen, was ihr schon lange auf der Zunge lag. Während sie beobachte, wie die Zahl 12 in der Anzeige des Aufzugs aufleuchtete und sich der Fahrstuhl mit einem Bing öffnete, ballte sie die Fäuste und lief zielstrebig auf ihr Büro zu, wo sich eben noch eine Traube Menschen befunden hatte. Eine mit sich zufriedene Lisa hatte sich dort mit einem weiteren Glas Sekt gerade ans Werk gemacht ihren Umzug ins Einzelbüro vorzubereiten. Ohne zu klopfen stürmte Emilia ins Büro und starrte sie einen Moment zu lange wutentbrannt an. Aus Lisas Gesicht wich das Lächeln. 

„Ich habe es so verdammt satt", platzte es wutentbrannt aus ihr heraus. Lisa hatte sich mittlerweile hingesetzt und schaute sie mit verdutzter Miene an. Diese Situation war ihr neu. Normalerweise war Emilia die Ruhe in Person und hielt sich bei hitzigen Diskussionen eher zurück. Ihr Geduldsfaden war unendlich lang und riss nur selten.

„Ich habe es satt, ...", wiederholte sie betont langsam, bevor sie ihre sorgfältig zurückgelegten Worte mit einer Genugtuung ihrer Kollegin an den Kopf warf, „..dass du dir meine Storys klaust und sie als die eigenen ausgibst. Du hättest ruhig mal erwähnen können, dass ich die ganze Vorarbeit geleistet habe und nein, ich habe es dir nicht gegönnt. Dieses zufriedene zuzwinkern, hat mir nicht gereicht.", sie holte tief Luft und setzte erneut an, bevor Lisa, die gerade ihren Mund geöffnet hatte, etwas erwidern konnte. Mechanisch klappte Lisa ihren Mund wieder zu und ließ die Schimpftirade weiter über sich ergehen, die ihr sichtlich unangenehm war. 

„Ich bin auch nicht gerne eingesprungen oder habe dich gedeckt, damit du mal wieder auf eine deiner Tinder-Dates gehen konntest und es hat mich auch überhaupt nicht interessiert, ob Martin oder Luka oder wie sie nicht alle heißen endlich der richtige wäre. Deinetwegen musste ich alle die Überstunden machen und falls du es nicht gemerkt hast, ich habe seit neuerdings im Büro geschlafen, nur, damit ich für uns beide die Arbeit erledigen konnte und selber vorankomme.", sprudelten die Worte nur aus sie heraus und merkte in ihrer Rage nicht einmal, dass sich ein paar Kollegin inklusive Judith um sie versammelt hatten. Es fühlte sich so befreiend und richtig an. Es war als würde ihr eine riesen Last von den Schultern fallen. 

„Niemals", brüllte sie nun fast, „Niemals, werde ich für dich arbeiten. Du kannst dir jemand neuen suchen, der für dich die Dreckarbeit macht."„Ähm...", stotterte Lisa und wagte sich vorsichtig ins Gespräch, „heißt das, heißt das etwa du gehst?"

„Genau, das heißt es.", klatschte Emilia die Hände auf den Tisch, der ein paar ihrer Kollegen aufgeschreckt hochfahren und Lisa in Deckung gehen ließ. Durch den Adrenalinstoß bemerkte sie nicht einmal die Wucht, mit der sie ihre Hand auf die Glasplatte feuerte und der eintretende Schmerz in ihrer Hand, dessen Zeigefinger sie nun auf Lisa richtete. „...und du kannst der Redaktion erklären, warum ich nicht mehr da bin. Viel Spaß dabei eine deiner tollen Ausreden zu erfinden."

Mit einem zufriedenen Lächeln drehte sie sich um und Blickte in neugierige Gesichter, die ihr Gespräch mit verfolgt hatten und darauf warteten den neusten Büroklatsch zu verbreiten. „Viel Spaß mit eurer neuen Königin.", schleuderte sie ihnen verheißungsvoll entgegen.

Als sie sich gerade durch die sich gebildete Menge mit erhobenen Hauptes abrauschen wollte, fiel ihr noch was ein, „Ach, und noch was. Ich weiß von deinen Schönheitsoperationen letzten Sommer in der Schönwaldklinik. Mein Vater ist Chirurg, falls du das vergessen hast. Von wegen du bist zur Kur!", donnerte sie triumphierend, während Lisa theatralisch nach Luft schnappte. "Das wäre also erledigt.", sagte sie zu sich selber mit einem Lächeln und fühlte wie ihr ganzer Körper mit Stolz erfüllte. 

Zufrieden mit sich selbst verließ sie das Gebäude in einen heißen Sommertag. In der Fußgängerzone herrschte um die Uhrzeit schon reger Betrieb. Im Anzug gekleidete Männer, die sich wohl totschwitzen mussten, redeten geschäftig mit jemanden über Kopfhörer und verzogen dabei keine Miene. Touristen mit Rucksäcken und Fotoapparaten bewaffnet zogen aufgeregt schwatzend von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Studenten saßen in Cafés und brüteten über Lernstoff für die nächste Klausur und runzelten konzentriert die Stirn. Eines stand mit absoluter Sicherheit fest. In Berlin würde es nie langweilig werden. Was jedoch nicht feststand war, wie es mit ihr weiterging. 

Plötzlich meldete sich ihr Selbstzweifel, der sich endlich an die Oberfläche gekämpft hatte und ihr mit bittersüßer Stimme ein schlechtes Gewissen einreden wollte. Sie hatte gerade ihren Job gekündigt und war arbeitslos. Was würden ihre Eltern sagen? Und überhaupt, was sollte sie jetzt machen? Sie konnte ja wohl schlecht von Luft und Liebe leben. Oh Gott, was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Eigentlich hatte sie gar nicht gedacht, sondern sich voll und ganz ihren Rachefeldzug hingegeben und es genossen ihre monatelang aufgestauten Gedanken herauszuschleudern. Sie brauchte jetzt erstmal einen kühlen Kopf und den bekam sie am besten bei einer Tasse Kaffee und einem frisch belegten Brötchen dazu.

Ein SommertraumWhere stories live. Discover now