Es war ein lauer Sommerabend und die Wärme war noch deutlich zu spüren, als die Sonne in das Wasser eintauchte und diesem einen goldenen Glanz gab. Emilia fühlte sich wie in Eldorado, der goldenen mystischen Stadt und beobachte das malerische Licht der Insel, als sie den Strand passierte und den aufgeregt schnatternden Stimmengewirr am Hafen folgte. Die hell erleuchteten Lampions tanzten wie Glühwürmchen in er Luft und zogen sie an wie Motten, die dem Licht nicht Wiederstehen konnten. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass sie sich wirklich hat überreden lassen zum Strandfest zu gehen und auch wenn sich ihre Beine wie in Trance von selbst bewegten, war sie froh über ihre Entscheidung. Sie hatte diesen letzten Schups mehr als gebraucht, auch wenn sich ihre verschwitzten Hände vor Nervosität, was sie dort erwarten würde, verkrampften. Normalerweise verstand sie sich ganz hervorragend darauf den Leuten um sie herum eine fröhliche und lebenslustige Frau vorzuspielen, weil sie absolut keine Lust hatte tiefgehende Gespräche zu führen, die anderen nur eines beweisen würden und zwar wie verkorkst sie war. Also, machte sie lieber gute Miene zum bösen Spiel. Doch auf Myr gelang es ihr nicht. Es war dieser zauberhafte Ort mit seinen so freundlichen Bewohnern, der es ihr schwer machte ihre Fassade aufrecht zu erhalten und vor allem gerade jetzt, wo sich ihr Leben im Chaos befand, fiel es ihr noch schwerer. Am liebsten würde sie sich jetzt wieder zurück in die Sicherheit ihres Strandhäuschens verziehen und war gerade dabei auf dem Absatz kehrt zu machen, als sie aus Menschenmasse jemanden eifrig winken sah und erkannte den freundlichen Buchhändler.„Ahh Emilia, Sie haben es also geschafft.", begrüßte er sie freundlich, „Darf ich Ihnen meine reizende Frau vorstellen? Das ist Alva."Emilia erkannte Alva sofort wieder als die Dame von heute morgen aus der Bäckerei und auch Alva schien sie wieder zu erkennen, als sie sich einander vorstellten. „Wie lange sind Sie schon auf Myr, Emilia?", begann sie das Gespräch. „Etwa eine Woche.", antworte sie artig. „Dann wohnen sie bestimmt in einer der Wohnungen von den Jensons oder?"„So ist es. Ich darf die neuen Strandhäuser im Osten testen.", sagte sie sichtlich glücklich und verschwendete keinen Gedanken daran, dass sie das Thema für den nächsten Inselklatsch werden könnte. Sie bemerkte auch nicht, wie Tore und Alva verheißungsvolle Blicke tauschten, denn eine Kellnerin kam vorbei und lenkte sie ab, indem sie ihre Bestellung aufnahm. Zur Feier des Tages konnte sie sich ruhig mal ein Glas Wein gönnen, beschloss sie zufrieden, als sie der blonden flinken Kellnerin ihren Wunsch mitteilte.„Wir wußten gar nicht, dass Keno und Sie sich so gut kennen.", warf Tore ein.„Tun wir auch gar nicht. Wir sind uns erst vor Kurzem begegnet."„Da haben Sie aber ein Glück, was? Dann stoßen wir darauf am besten gleich an. Prost!"Emilia prostete den beiden mit ihren gerade erhaltenen Wein an und nippte entspannt an den erfrischend kühlen Getränk. Jetzt war sie doch froh gekommen zu sein und sich unter diesen netten Menschen gemischt zu haben. Sie lauschte den angeregten geschnattere über den neusten Inselklatsch, der vor allem nicht abzureißen schien, als Tyra dazukam, Alvas Freundin und dessen Mann Anders. Spätestens jetzt fragte Emilia sich, wie sie sich die ganzen wunderlichen Namen merken sollte. Anscheinend waren sie hier oben völlig normal und irritierten keinen, außer sie. Die Zeit verging wie im Flug und irgendwann zwischen den 3. und 4. Wein waren sie zum Du übergehangen. Emilia genoss die fröhliche Runde und war froh sich noch noch überreden gelassen zu haben. Tore hatte recht. Das hätte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen dürfen. Neben den Getränkestand gab es noch weitere Stände mit Essen und auf der Bühne direkt am Strand spielte die Inselband Schlagermusik, zu der jung und alt jauchzend tanzten. Emilia musste bei dem Anblick schmunzelnd. Niemand in Berlin in den Zwanzigern hätte wohl so ausgelassen zu Schlagermusik getanzt als gäbe es kein morgen. Es sei denn, es gab irgendeine angesagte Veranstaltung, auf der man nicht fehlen durfte. „Ach, hier bist du!", hörte sie ihn hinter sich und bemerkte seine Wärme, noch bevor er sich dicht neben ihr gesellte und ein Bier bestellte. Ihr Herz pochte unentwegt und wieder einmal versuchte sie es einfach zu ignorieren. Keno hingegen schien total entspannt zu sein und plauderte mit ihren Begleitern. „Tja, ich kann eben sehr überzeugend sein.", lächelte Tore spitzbübisch und zwinkerte mir zu, „..oder Emilia?"„Ich konnte einfach nicht nein sagen.", stimmte sie ihn mit einem gespielten ergebenen Seufzen zu und alles brüllte vor Lachen.Daraufhin prosteten sie sich noch einmal zu und schwatzten den ganzen Abend. Sie erfuhr darüber, wie Familie Jenson nach dem 2. Weltkrieg die Insel wieder neu aufbaute und dass er gerade in die Fußstampfen seines Vaters getreten war. Über den Ursprung ihres Feriendomizils, das vor wenigen Monaten noch ein halb heruntergekommenes Lagerhäuschen war und Keno mit mühseliger Planung in ein gemütliches Reich für Touristen umgebaut hatte. Sie konnte sich gar nicht satt hören und beobachte angeregt seinen Enthusiasmus, der in jeden seiner Erzählungen lag und fragte sich selber, ob sie ihren Job jemals so geliebt hatte. Zum Glück löcherte er sie nicht mit Fragen, sondern ließ sie so viel von sich selber erzählen, wie sie wollte und hörte aufmerksam zu. Sie war so dankbar über die Ablenkung und nichts über ihre aktuelle Jobsituation sprechen zu müssen. Allmählich wurde es kühler und Emilias Augenlieder wurden immer schwerer, sodass sie entschied so langsam aufzubrechen. Keno bot ihr freundlicherweise an sie nach Hause zu bringen, was mit einem neugierigen Blick von dem Rest der Truppe quittiert wurde. Sie verabschiedeten sich und gingen in Richtung Touristeninformation, wo Kenos Auto stand. Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Jetzt, wo sie sich aus den Trubel der Massen zurückzogen, wußte keiner mehr so recht, was er sagen sollte. Verlegen schaute sie auf das Meer, das nun links von ihnen beruhigend rauschte und eine frische Prise zu ihnen herüberprustete. „Ich hab dich noch gar nicht gefragt, was ich dir für meine Unterkunft schulde.", durchbrach Emilia die Stille.„Ach das frisst kein Brot.", winkte er entspannt ab und sie runzelte die Stirn.„Heißt das, du möchtest dafür etwa nichts?"„Du kannst mich ja zum Essen einladen.", grinste er schelmisch, „Am liebsten mag ich die gute und altbewährte Hausmannskost."Im Gedanken an seine Lieblingsspeisen rieb er sich genüsslich den Bauch bis sie in leicht mit den Ellenbogen anstieß. „Nein, jetzt mal im Ernst Keno, ich kann da doch nicht für Lau wohnen!"„Warum nicht? Es würde doch sonst auch leer stehen und das bisschen Strom und Wasser, ist nicht der Rede Wert."Sie blieb abrupt stehen und schaute ihn ungläubig an, was er erst bemerkte, als er ihr ein paar Schritte voraus war. „Wieso?", setzte sie an, „Wieso tust du das für mich?"Er zuckte mit den Achseln, „Du wirktest so, als könntest du Hilfe brauchen und mir macht das wirklich nichts aus. Du weißt ja, hier auf der Insel greift man sich nun mal unter die Arme. Eine Hand wäscht die andere."Berührt von seinen Worten blickte sie an und er ging näher auf sie zu. Er legte ihr seine Hände auf die Schultern, was ihr augenblicklich einen elektrisierenden Schlag versetzte und sie leicht erröten ließ.„Mach dir keinen Kopf.", sagte er ruhig und sie atmete schwer ein. Seine Berührung war so tröstend und warm. Es erfüllte ihr Herz und ihr fiel auf wie wenig menschliche Nähe sie in der letzten Zeit hatte zugelassen. Es tat gut zu wissen, dass da jemand war, der sich um sie kümmerte, auch wenn sie ihn eigentlich gar nicht kannte und sich über so viel Nächstenliebe wunderte. Dennoch irgendwie schaffte er es ihre Mauern zu Fall zu bringen. „Okay.", brachte sie ganz leise hervor und er hob ihr Kinn an, damit sie ihn in die Augen sehen konnte. Ihr ganzer Körper kribbelte von der Berührung und ihre Knie unter ihr drohten unter ihr zu versacken. Seine Wärme, sein Geruch, all das schien eine Woge nie da gewesener Gefühle in ihr auszulösen. Noch nie hatte sie so etwas empfunden, weil sie ihre Gefühle tief in ihr vergrub und stets unter Kontrolle behielt. Ihr Job bot ihr Schutz und Ventil zugleich, doch jetzt war dieses letzte bisschen Sicherheit weg und sie stand ihm schutzlos gegenüber. Sie musste sich jetzt mit ihren tiefsten Inneren befassen und wehrte sich vehement dagegen. „Sag mir einfach nur, falls du polizeilich gesucht wirst?", witzelte er, um die Stimmung aufzulockern und entlockte ihr ein leichtes Lächeln.„Nein, nein, das nicht. Ich habe nur... ach das ist eine lange Gesichte."Sie wandte sich ab, während sich die zwei wieder in Bewegung Richtung Touristeninformation setzten, wo sich Kenos Auto befand. „Ich mag Geschichten.", ermunterte er sie und in seiner Stimme schwankte so eine unglaubliche Leichtigkeit mit, die ihr alles mit einem mal von den Schultern hieven konnte und sie wollte genau diese Leichtigkeit auch für sich. Wie mühselig hatte sich ihr Leben bisher angefühlt und sie fragte sich, ob sie selber sich viele Dinge mit ihren Gedanken verkomplizierte. Sie hatte die Nase voll vom verstecken spielen und wollte sich endlich Luft machen. Der Wein, der wohlig ihren Bauch erwärmte, gab ihr Mut und so gab sie sich einen Ruck. Was hatte sie schließlich zu verlieren und außerdem war sie nicht genau deshalb hier, um sich über ihre Zukunft Gedanken zu machen?„Na schön.", sie seufzte und blickte in sein überraschten Gesichtsausdruck. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass er sie so schnell überzeugen konnte. „Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst, das weißt du oder?", sagte er leicht skeptisch.„Wenn ich es jetzt nicht tue, dann platze ich und das wäre bestimmt unschön."„Das wäre ganz sicher nicht die Reaktion, die ich mir von meinem ersten Feriengast vorstelle. Mal abgesehen von der schlechten Publicity für Myr."Er schloss die Tür zur Touristeninformation auf und servierte ihnen beiden eine Tasse Tee, mit der sie es sich in einer der Sessel gemütlich machten und Emilia atmete tief ein. Sie musste sich kurz sammeln, um zu überlegen, wo sie bloß anfangen sollte zu erzählen. Bei ihren ersten Job? Bei Lisa? Bei der Beförderung? Schließlich entschied sie sich ganz am Anfang zu beginnen. Laut seiner Aussage mochte er Geschichten und wenn sie sich schon jemand anvertraute, dann machte sie es wenigsten richtig. Ganz oder gar nicht. Und so erzählte sie Keno von ihren Job, von Lisa, ihrer Kündigung und ihre Sorge, was als nächstes kam. Er hörte ihr aufmerksam zu und nickte hier und da zustimmend. Als sie ihm von Lisa erzählte, schüttelte er entrüstet den Kopf und unterstützte sie zufrieden, als sie ihr die Meinung gesagt hat.„Das hast du nicht nötig!", entgegnete er ihr, „Ich hätte auch keine Lust für so eine verlogene Person zu arbeiten."„Tja, und genau da liegt das Problem. Ich bin mir nur so unsicher, was ich als nächstes tun soll. Zurückgehen geht nicht. In einer neuen Agentur wieder von Null anfangen erscheint mir auch nicht sonderlich attraktiv und eine andere wirkliche Alternative habe ich nicht. So lange ich nicht weiß, was ich tun soll, verkrieche ich mich hier. Es ist so frustrierend."Keno nickte verständnisvoll.„Weißt du was da nur hilft?"„Was?"„Ablenkung."Sie zog die Augenbrauen hoch.„Aha, und was genau soll mich ablenken?"„Lass dich überraschen.", lächelte er jungenhaft und rieb sich die Hände, „Ohja, das wird dir bestimmt gefallen."„Ähm, okay?"
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Ein Sommertraum
RomanceEmilias mühevoll erarbeitete Karriere erlebt einen unerwarteten Wendepunkt, sodass sie kurzerhand ihre sieben Sachen packt und auf die Ostseeinsel Myr reist. Doch kaum auf der Insel und völlig erschöpft, muss sie feststellen, dass alle Unterkünfte r...