Fremdgehen

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Eigentlich ist das überhaupt kein Thema, über das ich hier schreiben wollte. Aber indirekt hat es nun auch mit dem Schreiben und den Medien zu tun, also tue ich es doch.

Ich glaube, man begegnet, ob man es will oder nicht, Frauenzeitschriften recht häufig. Ob nun durch die/den Verwandten/Bekannten, der sie im Wohnzimmer am Tisch rumliegen hat oder wenn man gefühlt eine Ewigkeit im Wartezimmer des Arztes sitzt.

Normalerweise lese ich sie auch nicht, aber wenn ich schon mal drüber stolpere, dann entdecke ich ein Thema ziemlich oft. Oder einfach nur zu oft.

Fremdgehen.

Was könnte hinter dem Artikel stecken, frag ich mich dann jedes mal, hoffnungsvoll, dass es vielleicht doch einen Mehrwert hat. Tipps, wie man in einer Beziehung Fehler ausbügelt, wie man über Bedürfnisse redet, wie man schlichtweg das tut, was man STATT einem Seitensprung tun sollte.

Was lese ich jedes Mal?

Tipps wie man richtig fremdgeht.
Zitat: "Vergessen Sie die Moral. Jeder Zweite ist schon mal Fremdgegangen!"

Ist das ein Kriterium? Ist das, wie die Gesellschaft heute läuft?

Vergiss die Moral - Jeder dritte hat schon mal geklaut.
Vergiss die Moral - Jeder fünfte hat schon mal jemanden gemobbt.
Vergiss die Moral - Jeder dritte Mann des Landes XY schlägt seine Frau.
Vergiss die Moral - Jeder zehnte US Bürger hat schon mal jemanden erschossen.

Seht ihr, was ich meine? Dieses Gedankengut ist dumm, egal worauf man es anwendet.
Was ist das für eine Einstellung? Nur weil andere es machen, soll der ganze Rest auch noch seine Moral über Bord werfen? Wäre es nicht besser mit gutem Besipiel voran zu gehen und die Welt positiv zu verändern statt nach dem Prinzip "die Welt ist eh schon scheiße, auf ein Arschloch mehr kommts nicht an" zu handeln?

Mal abgesehen von dem Thema überhaupt. Seit wann ist es bitte in Ordnung, ja salonfähig, seinen Partner zu betrügen? Wieso stellt man das auch noch wie eine tolle Sache dar?

Beziehungen bauen sich auf gemeinsamem Verständnis und Offenheit auf. Und wenn irgendetwas bröckelt, wenn der Alltag vielleicht irgendwann die großen Gefühle und den Reiz von früher verschwinden lässt, dann redet man darüber. Denn dafür sind die zwei genannten Punkte da. Dass man offen und ehrlich über alles reden kann.

Ich weiß, das Leben kann unglaublich kompliziert sein - und so auch Beziehungen. Ich weiß sowas kann passieren.

Dieser Artikel will mir allerdings sagen, dass ich mich in dem Fall nicht fürs Fremdgehen schämen oder was ändern sollte. Nein, nein, stattdessen gibt er mir tolle Tipps wie ich damit munter weitermachen kann.

Tut mir leid, aber ja, eigentlich solltest du dich dafür schämen.
Weil du die Prinzipien einer Beziehung missachtest. Und weil du die Person, von der du behauptest sie zu lieben, von hinten bis vorne belügst.

Wenn sowas einmal, sturzbetrunken auf eine Party passiert, ist das ziemlich scheiße. Aber es ist ein Fehler, der menschlich ist.
Wenn du aber über Monate hinweg planst, dich mit jemand anderem zu treffen, Beweise versteckst und deinem Partner regelmäßig ins Gesicht lügst - und dich dafür kein bisschen schämst - gratuliere, dann bist du ein Arschloch.

Seit wann ist es besser einfach drauf loszulegen und dich heimlich mit anderen zu vergnügen, statt über manches zu reden?
Und wenn es gar nicht mehr klappt - dann ist der Person sicher besser mit einem Schlussstrich getan, als wenn sie irgendwann rausfinden muss, dass sie über Jahre hinweg belogen und betrogen wurde.
Wenn du keine monogame Beziehung führen kannst, dann such nicht nach einer. Mach von Anfang an klar, dass du daran nicht interessiert bist.

Ich weiß nicht, warum ich auf das Thema so empfindlich reagiere, denn eigentlich hab ich keine Erfahrungen damit gemacht. Aber jedes Mal, wenn ich sowas lese, dreht sich mir der Magen um. Weil ich, als ansatzweise empathischer Mensch, nicht verstehen kann, wie man sowas in der Öffentlichkeit als gut verkaufen kann - als etwas völlig legitimes, das deiner Beziehung im Endeffekt sogar hilft.

Beziehungen sind kompliziert genug und oft spielen sich Dinge in einer Grauzone ab, aber muss man denn auch noch stolz drauf sein, den anderen zu belügen? Seine Gefühle möglicherweise zutiefst zu verletzten? Nur damit man im Bett mal bekommt, was man will? Für manche Menschen bedeutet so ein Vertrauensmissbrauch, dass er Probleme bekommt sich zu binden, dass er vielleicht nie mehr einem Partner richtig vertrauen kann und gerade jemand, der eine empfindlichere Psyche hat, würde extrem darunter leiden.

Wieso zur Hölle sollte ich stolz drauf sein, dass ich riskiere jemamdem das anzutun?

Die Vorstellung eine Affäre nebenher zu haben, bei voller Zurechnungsfähigkeit gewollt den anderen Tag für Tag zu belügen, mit jemand anderem zu schlafen und und und - ich glaube, ich würde nach fünf Minuten einknicken und könnte mich nie wieder im Spiegel sehen.

Und so sollte es auch sein.

Noch viel trauriger ist, wie normal solche Artikel zu sein scheinen, denn ich hab nie gemerkt, dass sich jemand darüber beschwert.

In einer Zeit, die sich mehr und mehr sexueller Freiheit, Individualität und Akzeptanz zuwendet, ist es da denn wirklich noch nötig sowas zu unterstützen? Wir finden mit einem Klick, mit einer einzigen App tausende Menschen, die unsere Interessen und Wünsche teilen. Wieso sucht man sich dann jemanden, der es nicht tut?

Es ist ja nicht so wie früher, als eine Ehe nicht nur eine Bindung, sondern irgendwo ein Zwang war, weil eine gewisse Abhängigkeit bestand. Du, als Frau (denn an Frauen richten sich diese Artikel ja) bist nicht finanziell von deinem Freund/Mann abhängig.
Wir sind frei und uns steht alles offen.

Wieso nutzen wir das nicht positiv?

Und um noch eine Frage in den Raum zu stellen: Wenn sowas in einem Männermagazin gäbe, würden dann die Feministen von heute aufschreien?
Ich denke nämlich, ja. Denn anscheinend bedeutet Feminismus für viele heute die Freiheit der Frau, die über die der Männer hinaus geht.

Wenn ein Mann etwaw macht, ist es ach so schlimm. Bei Frauen? Ganz was anderes!
Ist es aber nicht. Denn ob mans glaubt oder nicht, Männer leiden auch unter Betrug. Zumindest würde ich das nach dem heulenden Typ, dem seine Freundin mit Fremdgehen das Herz gebrochen hat, mal vermuten.

Diese Gesellschaft verstört mich manchmal echt.

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