Was folgte im Anschluss? Rebecca fand am besagten Nachmittag doch noch Zeit und Robert lud sie auf einen Kaffee ein. Im Grunde genommen war Robert kein Kaffeetrinker. Er mochte die Brühe schlichtweg nicht, wusste jedoch nicht, was er sonst hätte sagen sollen. Es brauchte nicht sehr viel Zeit, damit die beiden entdeckten, dass sie zueinander passten. Die beiden trafen sich oft, hatten eine enge Verbindung miteinander aufgebaut und sogar mehr als das, begannen sie ein gemeinsames Leben, in dem sie sich Freuden und Sorgen miteinander teilten. Eigentlich enden viele Geschichten mit genau solchen Momenten oder das sollten es zumindest – doch nicht diese. Die Weatherby Brüder hatten eine lange und grausame Nacht hinter sich. Ereignisse aus der Vergangenheit wurden für Robert in diesen Momenten wieder zum Leben erweckt. Benjamin würde erkennen müssen, dass seine Freunde – die Menschen, mit denen er über die letzten Jahre hinweg durch dick und dünn gegangen war - nicht mehr waren. Er würde nach dem Aufwachen nur noch seinen Bruder an seiner Seite haben. Doch Robert musste feststellen, dass es für Benjamin weitaus schlimmer sein musste. Nach dem Tod von Roberts Eltern, hatte dieser Rebecca, die ihm seelische Unterstützung bat und das rund um die Uhr. Sie war ein vollwertiger Teil seines Lebens geworden war. Doch für Benjamin gab es da niemanden. Er hatte nur Robert. Becca war schnell ins Krankenhaus gekommen. Es war etwa 6 Uhr. Sie kam den Gang entlang gelaufen, erkannte Robert und sah ihm seinen äußerst besorgten Gesichtsausdruck an.
>>Becca.<<
Gab der junge Mann erleichtert von sich. Sie umfasste seine Hand, spürte wie aufgeregt war. Sein Körper bebte, er zitterte förmlich. Weatherby hatte Angst um das Leben seines jüngeren Bruders.
>>Es gab ein Feuer. Ben konnte nur um Haaresbreite entkommen.<<
Dann erlaubte sich Rebecca einen forschenden Blick durch das Glas, dass sie von Ben trennte. Benjamin lag auf der Intensivstation.
>>Wie geht es ihm.<<
Robert zögerte kurz, sah zu Benjamin und gab ihr dann eine spannungslösende Antwort.
>>Der Doc meinte er wird es überstehen. Doch ich glaube nicht, dass er es verkraften wird. Er war der Einzige, der aus dem Flammenmeer entkommen konnte.<<
Becca musterte ihren Gegenüber überprüfend ansehen. Sie wusste nicht wer die Opfer waren und es kam ihr so vor, als wollte Robert das mit Absicht vor ihr Verstecken. Am Telefon hatte er nichts gesagt und hier kam auch keine richtige Antwort aus ihm heraus.
>>Wer?<<
Hakte sie leise nach. Robert schüttelte mit verschlossenen Augen leicht den Kopf.
>>Ich kenne jemanden von ihnen?<<
Sie wurde ungeduldig. Sie wusste, dass einige ihrer eigenen Freunde Benjamin kannten und auch hin und wieder mit ihm unterwegs waren.
>>Becca...<<
Begann Robert als würde er gleich etwas Schreckliches verkünden wollen.
>>Sag es mir.<<
Verlangte sie erneut mit Nachdruck, während und Robert wusste, dass er ihr eine Antwort schuldig war, nachdem er sie so lange auf die Folter gespannt hatte. Roberts ernster Gesichtsausdruck war für Rebecca wie eine schwere Last, die erst mit seiner Antwort von ihr fallen würde.
>>Cliff, Richard, Dillon und Clara.<<
Binnen eines vergehenden Moments wurden Beccas Augen glasig. Roberts ernüchternde Worte waren wie ein Stich, welcher mitten durch das Herz der jungen Frau ging. Wie bereits angemerkt, kannte Rebecca Clara äußerst gut. Natürlich kannte sie auch die anderen Freunde von Benjamin. Man sah sich zufällig, saß hin und wieder in der Gruppe zusammen, trank etwas oder unternahm die eine oder andere Sache. Clara war ihr eine gute Freundin gewesen. Mit so etwas hätte Becca nicht gerechnet als sie Roberts Anruf entgegengenommen hatte. Robert war auf diese Situation nicht vorbereitet. Doch wann ist man das in solchen Situationen schon?
>>Rebecca...<<
Ohne groß zu überlegen schaffte Robert Körpernähe zwischen sich und Rebecca und ließ ihr die Obhut in seinen Armen. Er hörte das leise, zweifelnde und äußerst unsichere Seufzen, spürte die Tränen, die auf seinen Hals tröpfelten. Für die junge Frau war diese Nachricht ein plötzlicher und äußerst harter Schlag.
>>Es tut mir so leid.<<
Hauchte Robert ihr nur leise ins Ohr hinein, während er ihren Kopf hielt und vorsichtig mit der Hand das Haar entlang, nach unten strich. Robert wusste wie miserabel sich Rebecca in diesem Moment fühlen musste, konnte Empathie für diese ganze Situation aufbauen. Doch das bestätigte seine Annahme bezüglich Benjamins Empfinden nur noch mehr.
Er würde innerlich zusammenbrechen, wenn er in Erfahrungen bringen würde, dass keiner seiner Freunde überlebt hatte. Becca verblieb auch weiterhin nahe bei Robert, rührte sich nicht, schluchzte und brachte schwerfällige Worte aus sich heraus.
>>Warum sie?<<
Doch er konnte ihr keine genaue Antwort darauf geben.
>>Warum lässt Gott so etwas zu?<<
Robert seufzte schwerfällig, hatte sich bereits vor Jahren selbst eine Antwort darauf gegeben – die er nun verbal verlautbarte.
>>Weil er sich nicht um uns schert.<<
Mit Gott und der Kirche hatte Robert abgeschlossen. Für ihn gab es so etwas wie einen Gott nicht und wenn doch, dann wusste Robert, dass Gott sich nicht für ihn oder jemand anderen interessierte.
Robert war nach diesen Worten ruhig, er sagte nichts mehr, ließ Becca Zeit, wollte ihr Gemüt nicht unnötig aufwirbeln. Sie brauchte diesen Moment und Robert ließ sie mit seiner Stille selbst entscheiden, wie viel Zeit sie dafür benötigen würde. Er streichelte ihr lediglich etwas über das samtweiche Haar und zeigte ihr, dass er für sie da war.
Einem jeden Menschen ergeht es früher oder später so. Menschen die die Lücken im Leben anderer Menschen gefüllt haben, werden irgendwann nicht mehr sein und sie werden dazu gezwungen, sich an diese drastische Veränderung zu gewöhnen. Oft wird erst dann den Menschen bewusst, welchen Platz diese Personen in ihren Leben einnahmen.
Es vergingen einige langandauernde Momente. Es tat sich etwas in Bens Zimmer. Er erlangte langsam wieder das Bewusstsein, sein Puls war stabil und er hatte das Schlimmste überwunden – zumindest in körperlicher Hinsicht. Verschwommen registrierte er die Umgebung um sich herum, erkannte eine sterile Umgebung und einige Aperturen. Das dumpfe und piepende Geräusch des EKGs, das ihm seinen eigenen Herzschlag präsentierte, verriet ihm schlussendlich, wohin ihn das ganze Ereignis gebracht hatte.
Die Bilder wurden deutlicher und Ben erkannte jemanden, der auf einem Stuhl am Fenster saß und nach draußen blickte.
Benommen wusch er sich mit der rechten Handfläche über die Augen, stellte er mit seiner schwachen Stimme eine unmissverständliche Frage.
>>Wo bin ich hier, was ist passiert.<<
>>Du bist in Sicherheit.<<
Ertönte Jeffreys Stimme vom Stuhl am Fenster.
>>Dad?<<
Drang es erstaunt aus Ben heraus, der es nicht fassen konnte was er da gerade hörte.
Jeffrey erhob sich, schob den Stuhl unter den Tisch und wandte sich schließlich zu seinem Sohn um.
>>Es tut mir so leid mein Junge.<<
Man hörte die tief in der Stimme sitzende Schuld, die Jeffrey mit sich herum trug.
>>Aber wie kann das sein?<<
Ben war verwirrt und war sich über das Ableben seines Vaters völlig bewusst.
>>Das mit deinen Freunden tut mir leid mein Junge.<<
Erst jetzt erinnerte sich der Junge an die jüngsten Ereignisse und versetzte sich in senkrechte Lage ins Bett.
>>Wo sind sie? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?<<
Jeffrey sah seinen Sohn in Ruhe verweilend und mit trauriger Mimik an und das eine ganze Weile.
>>Dad, was passiert hier?<<
Forderte Ben eine Antwort. Doch Jeff schüttelte lediglich ein wenig den Kopf, schloss kurz die Augen. Benjamin war sich gerade in diesem Moment nicht wirklich darüber im Klaren, dass seine Eltern bei dem Autounfall gestorben waren. Er war immer noch irritiert, müde und körperlich geschwächt.
>>Sie haben es nicht geschafft.<<
Das Gesicht des Jungen wurde kreidebleich. Er konnte die Worte nicht wirklich verarbeiten. Zu viele Gedanken durchkämpften seinen Kopf.
Der Tod aller Freunde würde für ihn bedeuten, dass er nun fast alleine auf dieser Welt verweilen müsste. Gleichzeitig dachte er daran, wie egoistisch dieser Gedankenzug doch war und wie er es sich denn erlauben konnte, in einem solchen Moment nur an sich selbst denken zu können. Weiter dachte er, dass er wohl nie wieder lachen hätte können, wenn Jeffreys Nachricht wirklich die Wahrheit war. Dann musste er an die Eltern und Geschwister seiner Freunde denken. Sie würden das Gleiche durchmachen müssen, was Ben bereits hinter sich hatte. Ja, er erinnerte sich daran, dass Jeffrey und Elizabeth Weatherby tot waren. Er schloss die Augen fest und trotzdem fanden die Tränen einen kleinen Spalt zwischen den Augenlidern, durch welchen sie hindurch konnten.
>>Warum das alles? Womit habe ich das verdient?!<<
Drang es lauter geworden aus ihm heraus.
>>Erst Mum, dann du und jetzt so etwas.<<
Seine Stimme wirkte wieder etwas schwächer, als wäre jegliche Hoffnung in ihm verblasst.
>>Samael wird nicht aufhören mein Junge.<<
Warnte Jeffrey seinen Jungen dann vorsichtig. Nach diesen Worten hatte Jeff Bens volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ernst starrte der junge Mann die Gestalt seines Vaters an.
>>Was hast du da gesagt?<<
Doch der Vater nickte nur etwas, wollte seinen eigenen Worten Nachdruck geben.
>>Was du in deinem Traum gesehen hast, war die Wahrheit mein Sohn. Samael trägt Schuld an meinem Tod und dem deiner Mutter.<<
Hektische Atmung setzte bei dem jungen Mann ein. Er konnte kaum glauben, dass er seinen Vater vor sich sah. Jeffrey sprach mit ihm und teilte ihm etwas mit, das nicht ferner von der Realität hätte entfernt sein könne.
>>Ich dreh durch...<<
Ben war sich dessen sicher. Irgendwo in seinem Kopf musste es einen Kurzschluss gegeben haben.
>>Halluzinationen.<<
Vermutete der junge stark. Kurz daraufhin ging sein Dad einige Schritte um das Bett herum, näherte sich Ben und legte sanft die warme Hand auf seine Schulter.
>>Du musst den Schlüssel finden.<<
Bestimmte Jeffrey ruhig – doch tiefer Ernst begleitete seine Stimme.
>>Dad. Wie ist das möglich? Der Unfall...<<
Doch Jeffreys Geduld schien ziemlich schnell erschöpft und der Griff um Bens Schulter wurde fester. Ein kalter Schmerz durchströmte seine Schulter und reichte bis zur Mitte der Brust. Vom Schmerz begleitet, war da gleichzeitig dieses unwohle Gefühl, das mit der Berührung einherging.
>>Du wirst den Schlüssel finden und wirst ihn mir anschließend bringen.<<
Jeffreys Stimme wurde eindringlicher, warnender und es schien so, als hätten sich seine Augen in ein helles Gelb verfärbt. Als Kontrast zu dem unguten, kalten Gefühl, durchfuhr Benjamins Schulter ein heißer Schmerz. Mit großer Aufregung brüllte er los.
>>Du bist nicht Dad!<<
Der vermeintliche Jeffrey packte den Jungen fester bei der Schulter, näherte den Mund an Benjamins Ohr heran und flüsterte etwas hinein.
>>Ich werde den letzten Rest von all dem was du liebst auslöschen, wenn du mir den Schlüssel nicht bringst.<<
Der Schmerz, der seine Schulter durchfuhr war brennend heiß und eiskalt zugleich. Wie eisiges Feuer, das seine Adern durchströmte und für den unerträglichen Schmerz sorgte.
In Wirklichkeit konnte man am EKG sehen, dass sein Herzschlag zugenommen hatte. Seine Augen waren geschlossen – er träumte und schrie laut auf. Sein ganzer Körper bebte, als hätte er einen schlimmen Krampf gehabt.
Als Robert durch das Fenster sehen konnte, was mit seinem Bruder da passierte, ließ er sofort von Rebecca ab.
>>Becca hol Hilfe!<<
Wies er der Freundin unmissverständlich an, stürmte zur Tür, in das Krankenzimmer hinein und trat ans Bett heran. Ben schrie vor Schmerzen auf. Schweißperlen rannten sowohl an Stirn als auch Gesicht hinab, als wäre er frisch aus der Dusche gekommen.
>>Ben!<<
Robert wusste nicht was er tun sollte. Vielleicht würde sich der nächste Handgriff als großer Fehler herausstellen und er würde seinem Bruder somit mehr Schaden zufügen, als ihm helfen zu können.
>>Lass los!<<
Schrie Ben laut, als würde er sich gegen etwas wehren. Was Robert nicht sehen konnte – im Traum hielt das Ebenbild des Vaters immer noch Bens Schulter und sorgte für unaussprechlichen Schmerz.
>>Das hier ist nur ein Vorgeschmack mein kleiner Weatherby. Und lass dir sagen, dass dies kein Traum ist.<<
Warnte die Person den Jungen dann nur vor. Robert sah seinen Bruder irritiert an und hakte lauter geworden nach.
>>Was soll ich loslassen?<<
Abwartend sah Robert auf seinen bewusstlosen Bruder, bekam jedoch keine Antwort auf die Frage.
Er rüttelte ihn kurz an der Schulter, die im Traum von Samael gedrückt wurde.
Benjamin packte Roberts Hand und drückte fest zu.
>>Ben!<<
Drang es laut und mit Sorge aus Robert heraus. Er hatte seinen Bruder noch nie in einem solchen Zustand gesehen. Es beängstigte Robert. Dann kam auch schon Becca mit einem Arzt und einer Krankenschwester im Schlepptau, die Tür hinein.
>>Gehen Sie zurück.<<
Wies der Arzt Robert dann deutlich an. Bens Atmung wurde allmählich langsamer.
>>Rhythmische Zuckungen in Gesichts- und Armbereichen. Atmung deutlich verlangsamt. Verdacht auf tonisch-klonischen Anfall während der Bewusstlosigkeit. Wir injizieren...<<
Doch bevor der Arzt sein weiteres Vorgehen der Schwester mitteilen wollte, öffnete Benjamin die Augen und erlangte das Bewusstsein wieder. Hektisch, geradezu suchend spähte sein Blick durch den Raum. Er riss sich die Beatmungsmaske vom Gesicht und warf eine Frage äußerst hektisch in den Raum.
>>Wo ist er?<<
Er suchte nach dem Ebenbild seines Vaters, welcher sich im letzten Traum als Samael offenbart hatte. Er wirkte irritiert, konnte Traum und Wirklichkeit nicht mehr auseinanderhalten. Perplex und geschockt zugleich musste Robert seinen Bruder in diesem Zustand sehen.
>>Du bist in Sicherheit.<<
Versuchte Robert dann zu erklären, während sein zweifelnder Blick auf Benjamin lag. Der Arzt versuchte nun auf Ben einzureden.
>>Mr. Weatherby.<<
Doch Bens Blick lag etwas verloren auf dem Bruder.
>>Mr. Weatherby.<<
Wiederholte der Arzt mit Nachdruck. Robert deutete seinem Bruder mit dem Kopf gen Richtung Doktor.
Nach einem kurzen Moment des Stillschweigens antwortete Ben schließlich.
>>Mir geht es gut – glaube ich.<<
Doch der Arzt ließ nicht locker. Auch er hatte gesehen was eben mit Benjamin passiert war. Es war äußerst ungewöhnlich, dass ein Patient nach einem Krampfanfall einfach so von jetzt auf jetzt wieder das Bewusstsein erlangte und einfach so zu sprechen begann. Mit einer kleinen Taschenlampe, die der Arzt aus der Tasche des Kittels zückte, überprüfte er Bens Pupillen.
>>Wie funktioniert das Atmen?<<
Hakte der Arzt ruhig aber auch deutlich nach.
>>Was?<<
Ben sah den Mann im weißen Kittel nur etwas verwirrt an. Er konnte sich nicht wirklich an die letzten Stunden erinnern. Wusste nicht mehr, was im Haus passiert war und musste erst wieder daran erinnert werden.
>>Sie mussten künstlich beatmet werden, ihre Lunge war wegen des giftigen Rauchs stark beeinträchtigt. Sie haben sich den Schlauch selbst entfernt.<<
Hilfesuchend geriet Bens Augenpaar zu seinem Bruder. Auch Robert konnte sich nicht erklären, wie sein Bruder das bewerkstelligt hatte. Ungeachtet der Worte des Arztes, wanderte Benjamins Blick auch weiterhin durch den Raum und traf auf Rebecca. Er erkannte die Tränen und das verweinte Gesicht der jungen Frau. Höflich und leise kam eine Bitte aus Robert heraus.
>>Doc, können wir ein paar Minuten für uns haben?<<
Als Antwort bekam er zunächst einen stutzigen Blick. Dann nickte er kurz
>>Fünf Minuten. Sein Zustand ist im Moment stabil, doch er braucht Ruhe, ist das klar?<<
Zustimmend nickte Robert.
>>Nur einen Moment.<<
Bat der junge Mann dann auch Rebecca, die kurz nickte und dann mit dem Arzt und der Krankenschwester das Zimmer wieder verließ. Nachdem die beiden Brüder wieder allein waren, starrte Robert den auf dem Bett liegenden nur stumm an, wusste nicht wie er ihm gegenüber treten solle.
Schließlich wandte er sich um, sah aus dem Fenster, betrachtete den mit Wolken bedeckten Himmel, die Regentropfen, die sich auf dem Glas ihren Weg nach unten bahnten.
>>Geht's wieder?<<
Ertönte es vorsichtig aus Robert.
>>Ich hatte einen eigenartigen Traum.<<
Als er die Worte seines kleinen Bruders vernahm, schloss er die Augen für einen Moment. Robert vermutete bereits, dass Benjamin alles nur für einen bösen Alptraum halten könnte. Eine Abwehrreaktion, wie ihm der Psychologe nach dem Tod seiner Eltern gesagt hatte.
Robert hatte den Tod seiner Eltern oft als bösen Traum abgestempelt, aus dem er wieder erwachen wollte. Er glaubte einige Zeit sogar fest daran.
>>Einen Traum?<<
Hakte Robert mit großer Vorsicht nach, wollte seinem Bruder nicht zu nahe treten.
>>Ben, das Feuer war kein Traum.<<
In diesem Moment erinnerte sich Benjamin an den Traum, den er hatte, bevor die Holzhütte zu brennen begann.
>>Das Auto von Mum und Dad...<<
Schließlich wandte sich Robert mit gekrauster Stirn und streng fragendem Blick um.
>>Was?<<
Die Blicke der beiden kreuzten sich.
>>Sie überlebten den Aufprall.<<
Robert seufzte schwerfällig.
>>Mum und Dad starben nach dem Aufprall sofort.<<
Auch Ben atmete tief ein. Im Anschluss floss eine Träne leise seine Wange hinab. Die Worte, die er nun aussprechen würde, würden bei ihm und seinem Bruder in gleichen Maßen Schmerzen hervorrufen.
>>Dad war nicht angeschnallt und starb an einem Genickbruch und Mum starb an einer Rauchvergiftung?<<
Robert schluckte schwer als er die Worte seines Bruders vernahm. Benjamin wurde nie etwas von der Todesursache der Weatherbys erzählt. Die Polizei hatte damals alle Notwendigkeiten mit Robert geklärt. Dieser wollte nicht, dass sein Bruder etwas davon wusste, wollte nicht, dass der kleinere Bruder sich den Tod seiner Eltern so bildhaft vor Augen setzten musste.
>>Woher weißt du das?<<
Robert wandte sich um und näherte sich wieder dem Krankenbett.
>>Hast du in den Akten rumgeschnüffelt? Wie bist du da rangekommen?<<
Ben biss für einen Moment fest die Zähne aufeinander.
>>Weil ich es gesehen habe. Ich war dort als es passiert ist.<<
>>Schwachsinn!<<
Entgegnete Robert ihm mit verärgerter Stimmlage.
>>Dad hatte dir immer so viel von Sicherheit am Steuer vorgepredigt, bevor du den Coupé bekommen hast, weißt du noch?<<
Roberts Blick lag abwartend auf dem Bruder, der seine Rede weiterführte.
>>Er war nicht unvorsichtig und jemand anderes war es auch nicht. Er wollte Mum retten, stieg aus, um ein Messer zu holen, womit er Mum vom Gurt befreien wollte. Ich habe es gesehen. Du musst mir glauben!<<
Robert wusste von welchem Messer Benjamin da sprach. Trotzdem verengte Robert mit ihm in sein Gesicht geschriebene Unsicherheit die Augen. Benjamin hatte diese Klinge nie zu Augen bekommen. Jeffrey hatte diese Klinge Robert ein einziges Mal präsentiert, um ihm auf die Gefahr solcher Waffen aufmerksam zu machen. In den Staaten kommt es immer wieder Mal zu einem bewaffneten Überfall und Jeffrey wollte seine Kinder nicht unvorbereitet lassen. Man mag es vielleicht ein wenig paranoid ansehen, doch er sorgte sich einfach nur um seine Kinder und zeigte ihnen, wie sie sich im Fall der Fälle hätten verteidigen müssen.
Vielleicht hatte Jeffrey den Dolch bei Zeiten auch Benjamin gezeigt. Robert konnte sich zwar nicht daran erinnern, doch es war die einzig schlüssige Erklärung, die er im Moment für sich auffinden konnte.
>>Und? Was ist mit diesem Messer?<<
Hakte Robert lustlos nach, um das Gespräch endlich zu einem Ende bringen zu können.
>>Ein Mann den Dad Samael nannte kam und verlangte irgendeinen Schlüssel von ihm. Er hat Mum und Dad getötet und war für das Feuer im Wagen...<<
Gespannt und doch etwas ungläubig lag Roberts Blick auf seinem Bruder.
>>... das Feuer im Wagen und das Feuer im Sand Ridge State Park verantwortlich.<<
Benjamin erinnerte sich wieder an alle Begebenheiten. Das Feuer in dem seine Freunde umgekommen waren. Es war wieder allgegenwärtig, vor Bens Augen. Robert konnte deutlich erkennen wie die Flammen der Erinnerungen in Bens Augen wieder aufflackerten. Das Entsetzen war dem jüngeren Bruder buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
>>Was ist mit ihnen passiert? Wo sind sie? Clara, Rich, Cliff und Dillon?<<
Hakte der junge Mann nur vorsichtig nach, während sein Blick erwartungsvoll und doch verängstigt auf Robert lag. Er wollte eine gute Nachricht von seinem Bruder erhalten, eine Nachricht die die Situation hätte entschärfen können. Doch Robert konnte es nicht, er konnte seinem Bruder keine Lüge auftischen. Früher oder später hätte man Ben die schreckliche Nachricht mitgeteilt. Es war ein äußerst schwieriger Moment für Robert, denn er wusste nicht wo er anfangen sollte. Der große Bruder war sich der Verantwortung bewusst, die auf seinen Schultern lastete. Robert empfand es schlicht und einfach als Pflicht, Benjamin die Wahrheit zu sagen und das bevor einer dieser Fremden hier im Krankenhaus ihm die Nachricht überbringen würde.
>>Du hattest Glück.<<
Begann Robert ruhig und äußerst zurückhaltend, versuchte den Augenkontakt mit seinem Bruder zu halten.
>>Robert.<<
Ben machte seinem Bruder mit einem strengen Blick deutlich, dass er jetzt sofort eine Antwort haben wollte.
>>Ich weiß nichts Genaueres, aber du bist höchstwahrscheinlich der Einzige, der sich aus dem Haus retten konnte.<<
Zu Roberts Verwunderung zeigte Benjamin sich in diesem Moment nicht so wie er es denn erwartet hätte. Gefasst lenkte er seinen Blick in Richtung Fenster. Ben musste an Samael aus seinen Träumen denken und entschloss für sich selbst, dass Samael nicht nur seiner Fantasie entsprach. Er war derjenige, der Schuld an all dem vergangenen und gegenwärtigen Desaster hatte.
>>Er hat mit ihren Leben gespielt – einfach so.<<
Schlussfolgerte der Junge auf seine Gedankengänge hin.
>>Wer?<<
Wollte Robert dann Wissen und verdrängte die Verlautbarung von Bens Träume.
>>Samael.<<
Nachdem der Name aus Bens Kehle geglitten war, seufzte Robert, sah sich etwas hilflos im Raum um und begann dann erneut mit äußerster Ruhe auf seinen Bruder einzureden.
>>Das war ein Traum, nichts davon war real. Du hattest eine starke Rauchvergiftung Ben. Es tut mir so leid.<<
Erstaunlicher Weise konnte auch Ben Fassung behalten.
>>Und was ist mit Mum und Dad? Das war kein Zufall und das weißt du. Es gibt mehr als wir bereit sind zuzugeben.<<
Ein zweifelndes und gespieltes Lächeln zeichnete sich im Gesicht von Robert auf und zeigte, dass er nicht wirklich an den Worten seines Bruders festhalten konnte. Er fürchtete sich vor den Konsequenzen dieser Worte, hatte Angst, dass sich die Vernunft von Ben verabschiedet hatte. Nach dem Tod der Weatherbys wurde Robert mitgeteilt, dass es bei massiven, emotionalen Beeinflussungen zur Aktivierung von Schutzmechanismen kommen könnte. Robert und Ben wussten, dass der Unfallverursacher noch irgendwo da draußen unterwegs war. Robert dachte daran, dass Benjamin sich nun einen Schuldigen einbilden würde, um einen eindeutig identifizierbaren Schuldigen für all die Ereignisse haben zu können.
>>Ben, bitte. Ich will dich jetzt nicht auch noch auf diese Art verlieren. Es ist schlimm was passiert ist. Doch das was mit Mum und Dad passiert ist, war ebenso ein Unfall wie das was heute Nacht passiert ist.<<
Der ältere Bruder war über den Gemütszustand von Benjamin immer noch erstaunt, wenn nicht gar verängstigt.
Mit einer solchen Reaktion, mit welcher er zielgenau einen Verantwortlichen nannte, hätte Robert nie erwartet. Er dachte daran, dass Tränen haltlos fließen würden – das Benjamin wohl getrauert hätte. Dann kam der Arzt wieder in das Zimmer hinein, warf Robert einen auffordernden Blick zu, der ihm sagte, dass er nun gehen müsse.
>>Einen kleinen Moment noch Doc.<<
Bat der junge Mann dann etwas genervt. Eigentlich wollte er sich nicht von einem Arzt sagen lassen wollen, wann er seinen Bruder sehen konnte und wann nicht. Doch Robert wusste, dass er gegen die Entscheidungen eines Arztes nicht ankämpfen konnte, dies war schließlich sein Terrain.
>>Er wird nicht aufhören bis wir ihm nicht den Schlüssel geben werden.<<
Nach der Beendigung des Satzes erntete Ben einen äußerst stutzigen Blick.
>>Wer wird nicht aufhören Mr. Weatherby?<<
Hakte der Arzt dann äußerst interessiert nach. Doch Robert kam Ben zuvor, ging auf den Doc ein und lächelte dann nur etwas.
>>Er redet ein wenig wirres Zeug Doc, bestimmt die Nachwirkungen von...<<
Ben fuhr seinem Bruder aufgeregt, mit lauter Stimme entgegen.
>>Das ist kein wirres Zeug! Es ist die Wahrheit, ich hab gesehen wer dafür verantwortlich war und er wird es wieder tun!<<
Dann landete Bens Blick auf Robert. Er wirkte verzweifelt.
>>Warum glaubst du mir nicht?<<
Wieder überkam Robert nur ein schwerfälliger Seufzer.
>>Ich sagte nicht, dass ich dir nicht glauben würde, doch das ist nicht unser Job. Die Polizei wird sich darum kümmern Ben.<<
Robert wollte nicht, dass der Arzt Bens Geschichte mitbekam, denn er konnte sich schon genau ausmalen was dann passiert wäre. Der Fall um den Tod seiner Eltern wurde als tragischer Unfall von der Polizei zu den Akten gelegt. Wenn es denn einen Verantwortlichen gab, war es jemand, der den Eltern der beiden auf der Straße entgegen gekommen war. Dass es die gezielte Aktion von jemand war wurde nie in Betracht gezogen. Robert wollte nicht, dass Ben genau das verlautbarte. Man würde ihn für verrückt halten.
>>Vielleicht ist es aber auch meine Aufgabe Mr. Weatherby.<<
Entschied der Arzt entschlossen, während sein Blick auf Benjamin lastete.
>>Sie sollten ihrem Bruder nun die Ruhe lassen, die er nötig hat. Er muss sich ausruhen, hat viel durchgemacht.<<
Robert runzelte die Stirn, wusste nicht wie er Ben jetzt noch hätte helfen können.
>>Aber..<<
Dann nur ein kurzer Moment, der von Stille erfüllt war, ehe der Doc sich in Richtung Tür aufmachte, diese öffnete und einen strengen und auffordernden Blick auf Robert warf.
Robert warf einen letzten Blick auf Ben.
>>Ruh dich aus, schlaf ein wenig, dann wird's dir besser gehen.<<
So erhoffte es sich Robert zumindest. Vielleicht würde Ben nach ein wenig Ruhe wieder anders über die Situation denken und würde Samael wieder vergessen können. Benjamin musste trauern, das wusste Robert. Ansonsten würde ihn das Ereignis und die damit zusammenhängende Ausrede, langsam aber sicher niederringen. So schnell schlug das Leben der beiden Brüder erneut um. Das in Ruhe geglaubte Leben war nicht mehr und wurde erneut von einem Desaster heimgesucht. Mehr als das, wurde durch den Verlust der Freunde eine Kettenreaktion ausgelöst, die dafür Sorge trug, dass weitaus mehr Menschen von dieser Situation betroffen waren. Eltern, Geschwister und nahestehenden Freunde wurden mit dieser Situation konfrontiert. Was ist aber nun die Wahrheit dieser Geschichte? Benjamin glaubte einen Mörder für Eltern und Freunde in ein und derselben Person wiedergefunden zu haben.
Es vergingen einige Wochen, in denen viel passiert war. Auch an Rebecca erkannte man Veränderungen. Vor diesem Vorfall besuchte sie jeden Sonntag den Gottesdienst, haftete sehr stark an ihrem Glauben. Nach unheilvollem Feuer und dem anschließenden Gespräch im Krankenhaus, das sie mit Robert geführt hatte, kamen ihr allmählich einige Zweifel. Robert beabsichtigte das nicht. Er wollte jedem seinen eigenen Glauben lassen und niemanden seinen eigenen aufzwängen. Er wusste, dass die Menschen so etwas brauchten – etwas woran sie festhalten konnten.
Doch je mehr Rebecca darüber nachdachte, desto weniger konnte sie sich an ihrem Glauben festhalten. Robert selbst fühlte sich mitverantwortlich dafür.
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Over The Sunset - Revelation
FantastikAm Versöhnungstag ist es dem Gefallenen Samael erlaubt die Tiefen der Unterwelt zu verlassen, um auf Erden wandeln zu können. Mit einer verhängnisvollen Vorsehung im Gepäck sucht dieser Jeffrey Weatherby auf und verkündet ihm ein bevorstehendes Desa...