Kapitel 2

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"Ich bin immer noch davon überzeugt, das College sausen zu lassen, um meine Zeit besser nutzen zu können. Ich bin für was Besseres auf dieser Welt, als Zeug zu lernen, dass ich nach meinem Abschluss eh niemals wieder brauchen werde und bis dahin auch schon wieder vergessen habe.", verdeutlicht Sofia mir ihre Theorie, dass das College unnötig sei und man das Leben lieber anders genießen sollte. Schon zum tausendsten Mal, seitdem wir uns kennen, versucht sie mich nun umzustimmen.

"Jetzt stimm mir doch endlich zu, Avery!", nörgelt sie, als sie mein leichtes Kopfschütteln bemerkt. Ihre flache Hand landet unterstützend auf meinem Oberarm, was mit einem Jaulen meinerseits beantwortet wird. Augenblicklich bleiben wir mitten auf dem Campus stehen und schauen uns mit weit aufgerissenen Augen an. Erneut muss ich an das Geräusch denken, das ich im Matheunterricht von mir gegeben habe. Beide Töne klangen mehr, als unmenschlich und erschreckend. 

Mit zitternder Stimme wende ich mich an Sofia: "Du hast das auch gehört, oder?", auch wenn ihr Blick mir Antwort genug sein sollte. Die Angst davor, noch einmal wie ein jaulender Hund zu klingen, bringt mich dazu, meine Stimmlautstärke möglichst niedrig zu halten.

Sofia nickt wild mit dem Kopf auf und ab. Ihr Blick schaut aufgeregt umher, als würde sie checken, ob noch jemand gehört hat, was da gerade aus meinem Rachen gekommen ist. "Du hast dich angehört, wie ein Hund. Ja, ich bin mir sicher! Der Hund meiner Oma hat auch immer so gejault, wenn ihm jemand auf den Schwanz getreten ist.", gibt sie schließlich von sich, den Blick wieder verwirrt auf mich gerichtet.

Nervös knabbere ich auf meinen Fingernägeln herum, unsicher, was ich damit nun anfangen soll. Es ist alles andere, als normal und in meiner gesamten Lebenszeit habe ich noch nie davon gehört, dass ein völlig gesunder Mensch plötzlich anfängt, Geräusche wie ein Hund von sich zu geben.

"So leid es mir auch tut, Sofia, aber du musst alleine mit Gabe lernen. Ich glaube ich lege mich etwas schlafen und hoffe, dass alles wieder rosig aussieht, wenn ich wach werde.", schwafle ich vor mich hin, meine Gedanken noch immer bei den merkwürdigen Tönen.

"Ist schon in Ordnung, ich verstehe das. Hoffen wir mal, das es nichts Ernstes ist, sondern nur-", sie stockt kurz, als würde sie überlegen, was sie sagen kann, "eine Grippe..." Ihre Ausdrucksweise sagt mir jedoch, dass sie sich wirklich Sorgen darum macht, dass etwas drastisches nicht mit mir stimmt. Als gute Freundin versucht sie mich wahrscheinlich nur etwas aufzumuntern.

Ich umarme die braunhaarige Schönheit, wünsche ihr flüsternd viel Spaß beim Lernen und mache mich dann auf den Weg in mein Zimmer. Gabe und Sofia hingegen werden sich in einem Café zum Lernen treffen, was bedeutet, dass ich die beiden bis morgen früh nicht mehr sehen werde und so allgemein genug Zeit habe, um mich wieder auf die Bahn zu bringen. Ich werde mir in der Zeit den Kopf darüber zerbrechen, wie ich meine sprachlichen Fehlstörungen wieder los werde.

Mit dem Kopf voll von gruseligen Theorien, darüber, was nicht mit mir stimmen mag, öffne ich meine Zimmertür und trete in das von der untergehenden Sonne bestrahlte Zimmerchen, in dem ich zu aller erst, meine Sachen auf den Schreibtisch fallen lasse. Der Inhalt meiner Tasche verteilt sich auf der Holzplatte, doch mein Kopf ist zu abgelenkt, als dass ich mir darum Sorgen machen könnte. Ohne umschweife lasse ich mich, mit dem Kopf in meinen Händen vergraben, auf mein Bett fallen und schüttle mich wie wild. Ich fühle mich verrückt, doch mache mir Hoffnung, meine Störung so los zu werden - egal, wie krotesk es zu sein scheint.

Unverändert schlüpfe ich schließlich aus meiner Jeanshose und meinem schwarzen Hoodie und hüpfe dann unter die wärmende Dusche, um wenigstens einen etwas klareren Kopf fassen zu können. 

Doch auch nach einer Viertelstunde, in der ich starr unter dem Wasserstrahl stehen geblieben bin, ohne meine Haare oder meinen Körper zu waschen, hat sich nichts an meinem Gedankengang geändert. 

Mit dem Wissen, dass es so nicht weiter gehen kann und es mir auch nicht weiter hilft, unnötiger Weise Wasser zu verschwenden, drehe ich den Wasserhahn zu, wickle mich in ein flauschiges Handtuch und husche aus der Dusche. Nur in Unterwäsche bekleidet entscheide ich mich schließlich dazu, in die Bibliothek zu gehen und dort Nachforschungen anzustellen. Irgendwann in der Vergangenheit muss so etwas doch schon einmal vorgekommen sein und ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, um genaueres darüber in Erfahrung zu bringen. 

Aus meinem Kleiderschrank krame ich ein Paar Shorts und einen frischen Pullover, um wenigstens etwas angemessen gekleidet zu sein. Mit den Gedanken nicht ganz beider Sache, stoße ich mit meinem Arm kräftig an den Schrank und ein weiteres Jaulen entweicht meinen Lippen. 

Mit Angst in den Knochen, eile ich aus meinem Zimmer heraus, den Gang hinunter und in Richtung der Bibliothek. All diese Geräusche, geben mir das Gefühl, selbst nicht mehr menschlich zu sein.

"Können Sie mir ein Buch über Krankheiten geben? Vielleicht haben Sie auch eins da, dass sich lediglich mit seltenen Krankheiten betrifft.", spreche ich die Bibliothekarin an, sobald ich den großen Raum, gefüllt mit Büchern, betreten habe. Die Dame schaut mich für ein paar Sekunden an, als hätte sie ein Gespenst gesehen, schüttelt dann ihren Kopf und verschwindet hinter einem Bücherregal. Ich fahre mir mit der flachen Hand durchs Gesicht, um auszuschließen, dass sich etwas auf meiner Haut befindet, dass ihre Reaktion heraufbeschworen hat.

Sie kommt mit einem undefinierbaren Blick zurück und hält mir mit einem leisen "Hier hast du.", ein Buch mit der Aufschrift 'Krankheiten - Rund um den Menschen' hin. So schnell sie mir das Buch in die Hand gedrückt hat, verschwindet sie auch schon im Hinterzimmer.

Kopfschüttelnd lasse ich mich auf einen Stuhl fallen, platziert im hinteren Teil der weitläufigen College-Bibliothek. In diesem Teil hoffe ich, ungestört zu bleiben. Meine Nachforschungen gehen schließlich nur mich etwas an. 

Ich überfliege die Seiten des Buches nur halbherzig. Ich kann genaue Erklärungen über Erkältungen, faulende Finger, bis hin zu Magengeschwüren und Krebs finden, jedoch nichts, was auf meine merkwürdigen Geräusche hinweist. Keine der mehreren hundert Seiten, behandeln ein Thema, das wenigstens einen Teil von dem, was mit mir vorgeht, erklären könnte. Stattdessen wirft es eher die Frage auf, wieso ich so etwas in einem Buch, dass sich mit so gut wie jeder Krankheit befasst, gerade das nicht finden kann, dass in mir vorgeht.

Seufzend, niedergeschlagen und müde, erhebe ich mich von dem Stuhl, nehme das Buch mit einem traurigen Blick von der Tischplatte und schlurfe wieder in Richtung des Tresens, an dem die Dame mir den dicken Welzer übergeben hat. Sie ist noch immer nicht an ihrem Platz erschienen, weswegen ich das Buch lediglich auf das Pult lege und dann stumm den Raum verlasse.

Das einzige, was ich jetzt noch tun kann, ist es, mich in mein Bett zu legen, die Nacht durchzuschlafen und zu hoffen, dass die Welt morgen schon wieder ganz anders aussieht. Was anderes bleibt wir wohl fürs Erste nicht übrig.

CyrianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt