Kapitel 10

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Bei meinen Eltern war es mir immer untersagt gewesen, mich an ihren Wagen zu lehnen, da ich ihn hätte kaputt machen können; weshalb ich nun auch mit äußerster Vorsicht an Cyrians Fahrzeug ran trete und mich nur minimal dagegen stütze.

"Nun los, was liegt dir auf der Seele." Vorsichtig greift er nach meinem Arm und lässt seine Finger langsam den Stoff meiner Kapuzenjacke hinunter fahren. Bis unsere Finger sich berühren und er sanft beginnt, meine Handballen zu massieren. Eine liebevolle Geste.

"Ich weiß überhaupt nicht, womit ich anfangen soll", murmle ich, auf der Innenseite meiner Wange herumkauend, "Es ist einfach zu unerklärlich, dass so etwas überhaupt möglich ist. Hätte ich früher gewusst, dass es Werwölfe und andere mystische Kreaturen gibt, dann wäre ich wahrscheinlich viel vorsichtiger durchs Leben gegangen. Das, was hier gerade passiert, zeigt mir erst, dass ich bei jedem Schritt, den ich getan habe, immer in Gefahr hätte sein können." Mit den Nerven am Ende, lasse ich meinen Kopf in meine Hände fallen.

Cyrian legt eilig seine Hand auf meinen Rücken: "Glaub mir, wenn ich dir sage, dass die keine Kreatur auch nur ein Haar gekrümmt hätte - sofern sie bei vollem Verstand gewesen wäre."

"Und wieso sollte das so sein?"

"Das ist eine Frage, die ich dir an einem anderen Tag beantworten werde.", murmelt Cyrian und drückt dabei einen federleichten Kuss auf mein Haar. Mein Herz beginnt augenblicklich um ein tausenstes schneller zu schlagen; als wolle es mir aus der Brust springen.

"Dann beantworte mir eine andere Frage", beginne ich erneut, "Was passiert, wenn dich jemand sieht und du es überhaupt nicht bemerkst?" Ich hebe meinen Blick, um Cyrians Reaktion mit eigenen Augen zu erfassen.

Das harte Schlucken, dass seinen Adamsapfel zur Bewegung zwingt, verrät mir die Antwort, bevor er sie überhaupt ausgesprochen hat. Ein Anflug von Furcht durchzieht meinen Körper für einen Windhauch, ebbt aber schnell wieder ab.

"Du brauchst zwar keine Angst haben, dass dir etwas passiert, wenn du einen Gestaltenwandler siehst, doch andere Menschen sind tot, ehe sie sich versehen können. Es klingt hart und brutal, doch wir sind dazu gezwungen, geheim zu halten, dass es uns überhaupt gibt. Wenn so etwas heraus kommt, dann würde die gesamte Welt Kopf stehen. Ich hoffe, du verstehst das." Mit seinen blauen Augen schaut er direkt in meine, als würde er darin bereits auf eine Antwort hoffen.

Einige Minuten der Stille verstreichen, in der ich mir Gedanken darüber mache, wie ich mit dieser Information umgehen soll. Einerseits verstehe ich die Fabelwesen, die ihre Existenz beschützen müssen, doch zu gleich hört es sich an, als wäre jeder von ihnen ein Mörder.

"Bitte denk nicht so viel darüber nach.", flüstert Cyrian schwer atmend neben mir. Für ihn scheint es nicht einfach zu sein, mir all dies bei zu bringen.

Ich nicke fast unmerklich, weiß jedoch, dass Cyrian es bemerkt hat, denn seine Hand landet erneut auf meiner und führt ihre vorherigen Bewegungen durch. Kleine Stromschläge durchzucken meinen Körper und steigen mein Verlangen nach diesem Gestaltenwandler nur noch mehr. Wenn es so weiter geht, wird ein Kampf in meinem Inneren beginnen.

"Es gibt jedoch noch etwas, was mich bei diesem Thema beschäftigt", säusle ich, ohne sicher zu sein, wie ich diese Frage beginnen soll.

"Und das wäre?"

Ich bleibe einige Sekunden still, mit meinen eigenen Worten hadernd, bis ich plötzlich Cyrians andere Hand unter meinem Kinn spüre und gleich darauf mein Kopf ein stück nach oben gedrückt wird. Cyrians Kopf ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt: "Wenn dich etwas so sehr beschäftigt, dass es dir die Sprache verschlägt, dann rück bitte damit raus."

CyrianWo Geschichten leben. Entdecke jetzt