Kapitel 48

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Es ist wie ein Déjà-vu als ich am Freitagabend vor meinem Spiegel stehe und mein Outfit betrachte, während ich darauf warte von Beth angerufen zu werden, wann sie mich mit ihren Freunden abholt.

Ich trage eine zerissene schwarze Hose und dazu ein blutrotes Oberteil, dass die Schultern freilässt. Es handelt sich zwar um keine Kostümparty, aber irgendwie hatte ich das Gefühl doch etwas Halloween gerecht werden zu müssen. Dementsprechend ist mein Make Up auch stärker ausgefallen mit dunkelroten Lippen und Smokey-Eyes, die ich einem Schmicktutorial zu verdanken habe, dass ich mir vor einer Stunde noch schnell angeschaut habe.

Ich muss zugeben, es macht mich nervös so auszusehen. Das ist nicht die Row, deren Nase immer in einem Buch steckt. Aber es ist eine gute Nervosität. Und welcher Tag eigentlich sich besser aus der eigenen Haut zu kommen als Halloween? Also widerstehe ich dem Drang mich wieder komplett abzuschminken oder in ein weniger auffälliges Oberteil zu schlüpfen und gestatte mir stattdessen nur mit einem Seufzen über das Glitzersteinchen in meiner Augenbraue zu fahren. Es soll mich daran erinnern, dass am Ende nur ich bestimme wer ich bin. Und das heute mehr denn je.
Aber anders als früher möchte ich es nicht mehr als ein Täuschungsversuch sehen. Es soll nicht länger dazu dienen sich die Menschen wundern zu lassen, wie eine Einser-Studentin gepierct sein kann. Es soll einfach nur noch mich widerspiegeln, mit all meinen Ecken und Kanten, bei denen ich lernen will stolz drauf zu sein.

Ich fahre mir gerade nervös durch die Haare, als mein Handy zu klingeln anfängt. Eigentlich ist es unnötig drauf zu schauen, denn wer außer Beth sollte mich anrufen? Der Gedanke lässt ein Stich durch mein Herz fahren, denn vor einem Monat hätte ich genau das noch über Alexis gesagt. Aber ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich das runterzieht, als ich abnehme.

"Hi, wir sind unten, bist du soweit?"

Ich stoße ein halb gequältes Lachen aus und schaue mein Spiegelbild an, als könne es mir auf diese Frage die Antwort liefern. Aber es blickt mich genauso ratlos an, wie ich mich fühle.

"So bereit, wie ich dafür sein kann. Bin gleich da."

Dann legen wir beide wieder auf und ich greife nach einem letzten tiefen Atemzug nach meiner Tasche und marschiere zur Tür, bevor mich die Entschlossenheit wieder verlassen kann. Die Ironie lässt mich fast auflachen, als ich Mary und Jackson auf der Couch vorfinde. Aber ich kann es mir gerade so noch verkneifen, während ich meine Mitbewohnerin dabei beobachte, wie sie das Kostüm ihres Freundes zurecht rückt. Sie sind als Doktor Frankenstein und das Monster verkleidet und brechen selbst wahrscheinlich bald auf, um bei Marys Gemeinde, in der sie gemeinnützig hilft, auf eine kleine Party zu gehen. Ich bin stolz auf mich, dass ich mich daran erinnern kann, dass sie mir das in den letzten Tagen erzählt hat, während ich in meinem Loch festsaß. Und ich bin unendlich dankbar, dass Mary und Cass mich so lange ausgehalten haben.

Als jetzt Mary aufblickt, sobald sie mich kommen hört, legt sich ein ehrlicher Ausdruck der Erleichterung auf ihr Gesicht, als sie mein Outfit sieht und daraus schließt, dass ich weggehe. Genau genommen schauen die beiden mich schon den ganzen Tag so an, seitdem ich endlich wieder aus meinem Zimmer gekrochen bin und am normalen Leben teilnehme. Und ihre Besorgnis lässt mein Herz ganz groß werden.

"Hey, ich bin dann weg. Euch beiden einen schönen Abend. Verschreckt nicht zu viele Kinder."

Ich werfe ihnen ein schiefes Grinsen zu und bekomme von beiden ebenfalls viel Spaß gewünscht, bevor ich weiter zur Diele gehe und in schwarze Boots schlüpfe, die mit ihren Nieten und Schnallen meinem Outfit die perfekte Abrundung geben. Ich schnappe mir gerade meinen Mantel, weil es inzwischen draußen doch immer kälter wird, da höre ich auf einmal Schritte hinter mir und werde, kaum dass ich mich umgedreht habe, in eine innige Umarmung gezogen.

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