1 - Sprachlos wie Fische

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"Komm schon Smithy! Dir bricht bestimmt kein Zacken aus der Krone wenn du mich meinen Spaß haben lässt.", rief meine beste Freundin Eleanor und eilte vor mir her über den, vom Schnee matschigen, Gehweg.
"Nenn mich verdammt nochmal nicht Smithy. Du weißt ich komme mir dann vor wie ein Buttler." Leise murrend stiefelte ich ihr hinterher. Sie wusste dass ich nicht nein sagen konnte, denn sie hatte versprochen mir danach heiße Schokolade zu kaufen. Zwar fand ich Eleanors Vorhaben absolut kindisch, aber dafür liebte ich sie normalerweise ja. Und was tat ich nicht alles für eine Tasse der besten heißen Schokolade Londons? Die Arme vor der Brust verschränkt versuchte ich mich vor dem pfeifenden Wind zu schützen der uns um die Ohren blies. Ich bereute meinen Entschluss. Meine bronzefarbenen Haare hatten sich bereits mehrmals selbständig gemacht und sich um mich gewickelt wie mein zu langer, roter Schal. Ich hätte es wie El machen sollen. Die blonden Locken meiner Freundin steckten unter einer warm aussehenden blauen Mütze.
"Das ist einfach lächerlich. Du kannst ihn doch auch einfach Googlen", beschwerte ich mich als erneut eine Böe Haare in mein Gesicht blies. Sie seufzte tief und erklärte mir ihre Mission zum gefühlt zehnten Mal:

"Nein. Ich hab ihn doch schon gegooglet, da steht nichts von dieser Adresse. Du weißt doch dass Mike mich immer aufzieht, darum will ich die Informationen, die er mir gegeben hat, auch überprüfen. Irgendwie muss ich meine Fähigkeiten, gute Quellen zu haben ja testen."

"Deine Fähigkeiten als Stalkerin?", wandte ich ein und erhielt einen bitterbösen Blick von Eleanor.

"Journalistin, wenn ich bitten darf", wiedersprach sie energisch.

"Das ist dasselbe." Die Journalisten der Klatschheftchen waren meiner Ansicht nach wirklich sowas wie bezahlte Stalker. Aber das wollte Eleanor einfach nicht einsehen. Wie auch, sie war selbst einer.

"Nein das ist was komplett ande-" Ich schüttelte heftig den Kopf und fiel ihr ins Wort.

"El mal ehrlich. Ob Hardcore-Stalkerfan oder Klatschheftchenjournalist, alle wollen sie ums Verrecken herausfinden wo diese Leute wohnen, was sie essen und am besten noch wann sie das letzte Mal kacken waren." Beim letzten Argument verzog El angeekelt das Gesicht.

"Nein Danke, ich verzichte darauf zu wissen wann er irgendwas auf dem Klo gemacht hat." El schüttelte sich, dann zeigte sie auf ein Gebäude. "Hier ist es."
Wir blieben vor einem Haus stehen, das so unscheinbar war, das ich nie im Leben darauf gekommen wäre hier einen der beliebtesten Menschen der Nation zu finden. Ich hatte mir eine Villa mit zehn Parkplätzen und einem Vorgarten so groß wie der Platz vor Buckingham vorgestellt – mindestens. Bestimmt kein typisch englisches Reihenhäuschen mitten in Camden. Das passte so gar nicht in mein Bild von diesem Schnösel.

"Ich will nur kurz überprüfen ob ich richtig lag, dann gehen wir auch gleich wieder, ja?"

Mit einem Achselzucken signalisierte ich dass ich mich geschlagen gab und Eleanor grinste dankbar. Sie atmete tief durch und zupfte ihren Mantel zurecht. Nachdem sie sich auch noch über die Haare gestrichen hatte, wurde ich langsam ungeduldig. Schließlich war es Mitte November und dementsprechend warm draußen. Der Matsch der sich Schnee nennen wollte, floss mir bereits in die Schuhe und meine Nase glich mit jedem Atemzug mehr einem Eiszapfen. London war einfach scheiße im Winter.
"El jetzt mach schon!", schimpfte ich.
Sie verdrehte die Augen, zupfte ein letztes Mal an ihrem Mantel und bequemte sich dann endlich dazu durch das Gartentor zu gehen. Vor der massiven Holztür blieb sie stehen und sah nervös über die Schulter. Mich wunderte dass das ganze hier nicht besser gesichert war. Ich vergrub meine Hände tief in die Taschen meines Mantels und fragte mich wann der Alarm wohl losgehen würde, der uns die Polizei auf den Hals hetzte weil wir unbefugt sein Grundstück betreten hatten. Also, Eleanor hatte es betreten, ich stand nur davor.
"Da ist kein Schild mit einem Namen! Wer hat den bitte kein Namensschild an seiner Haustür?!", fragte Eleanor und drehte sich von der Eingangstür zu mir um.
"Internationale Superstars, Richter, Mitglieder der Mafia, Superspione und andere Menschen die nicht wollen dass man sie findet", zählte ich auf. Eleanor sah mich strafend an. Sie fand mich überhaupt nicht witzig. Meine beste Freundin sah gerade ernsthaft verzweifelt aus. Hatte sie wirklich erwartet dass an der Haustüre des wohl reichsten Junggesellen Englands und dem sogenannten Stolz der Nation, Josh Arthur Banks, ein Schild mit seinem Namen hing? Meine Güte der Typ führte ein international agierendes Imperium mit Computerprogrammen das er sich selbst aufgebaut hatte und das mit knapp Mitte Zwanzig. Da hing natürlich kein Poster mit großen, roten Buchstaben und einer Bildgalerie die genau aufzeigte wo der Zweitschlüssel versteckt lag an seiner Tür. Ich liebte Eleanor ja wirklich aber manchmal gebrauchte meine Freundin ihren Kopf nicht.
"Und was soll ich jetzt machen?" Sie sah etwas verzweifelt aus und hätte mir auch wirklich leid getan wenn sich meine Zehen nicht gerade in Eisklumpen verwandelt hätten.
"Entweder du kriegst deinen Arsch hoch und klingelst jetzt oder wir gehen einfach zurück und trinken heiße Schokolade, aber ich werde hier keine weiteren fünf Minuten stehen!" Ich hoffte wirklich dass sie auf das Angebot mir der heißen Schokolade eingehen würde. Tat Sie natürlich nicht. Eleanor hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen und geklingelt. Das Ergebnis davon war - nichts.
Es geschah nichts.
Auch nach dem zweiten und dritten Mal klingeln nicht. Gerade als Eleanor ein unverschämt viertes Mal klingeln wollte, riss mir der britische Geduldsfaden. "Eleanor es reicht. Er ist nicht zuhause, gerade auf Klo oder hat einfach schlicht keine Lust die Tür zu öffnen. Wenn er überhaupt hier wohnt. Wenn ich meine Finger und Zehen wegen Erfrierungen amputieren muss, gebe ich dir die Schuld dafür. Und ich schwöre dir dann werde ich nie wieder ein Wort mit dir reden! Lass es gut sein! Bitte." Während ich sprach war ich auf das Grundstück geeilt und packte meine Freundin am Arm um sie in Richtung Ausgang zu bugsieren.
Eleanor wehrte sich und blickte mich mit diesem Hundeblick an, den sie so gut beherrschte.
"Bitte Jane, ich will nicht den ganzen Weg umsonst gemacht haben -"
"Habe ich doch auch?", fiel ich ihr ins Wort. Ich hatte nun wirklich die Schnauze voll.
"Das ist was anderes." Ich hörte auf an ihrem Arm zu zerren.
"Ach, dir an meinem ersten freien Tag in der Saukälte hinterher zu hetzen ist also normal?", fragte ich sauer. Jetzt sah sie etwas zerknirscht aus, immerhin.
"Hmm nein aber also -"
Hätte sie mit ja geantwortet, wäre ich wohl einfach gegangen. Aber so weit kam sie gar nicht. Die Worte blieben ihr regelrecht im Hals stecken.
"Ich würde ja auf deine Freundin hören." Meldete sich eine Männerstimme hinter uns. "Sie sieht mir nicht danach aus als würde sie deinen Kopf verschonen wenn ihr die Finger einfrieren."
Synchron drehten wir den Kopf und starrten, sprachlos wie Fische, den jungen Mann in der Tür an. Wir mussten ein unglaublich bescheuertes Bild abgeben, denn der Typ in der Tür grinste breit. Zugegeben er sah viel besser aus als auf einem Bildschirm und auch viel besser als ihm guttat. Ich hatte seinen Werdegang zu einem der beliebtesten Personen Englands mitverfolgt. Vielmehr weil die Medien ihn einem regelrecht aufs Auge drückten, als aus eigenem Interesse. Als er ein Computerprogramm an die Regierung verkauft hatte, hatte er damit eine Menge Kohle verdient. Dazu kam sein Engagement in den Kinderhilfswerken und seine Schaffung von mehreren tausenden von Arbeitsplätzen in unserem Land. Damit hatte er sich endgültig bei jeder Generation einen Namen gemacht. Die Presse, das Volk und wie man behauptete selbst die Königsfamilie liebten ihn. Und das alles wegen ein paar öden Computerprogrammen und zu viel Geld.
Immerhin hatte er die Fähigkeit meine Laune richtig zu deuten. Eleanor starrte den Mann direkt vor ihr noch immer etwas verschüchtert an. Er jedoch betrachtete mich.
"Kennen wir uns?", fragte er neugierig und ließ seinen Blick neugierig über mich wandern.
"Äh, nein", erwiderte ich ihm ehrlich und hörte selbst dass ich etwas patzig klang. Ich versuchte meine Wut einzudämmen. Ich war schließlich nicht sauer auf ihn, sondern auf Eleanor. Auch wenn er die Tür etwas eher hätte öffnen können, da er ja ganz offensichtlich zuhause war!
Er studierte mein Gesicht. Bestimmt hatte er eine Bekannte welche mir ähnelte. Das passierte mir oft. Unsere Nachbarin hielt mich schließlich ebenfalls des Öfteren für eine Freundin von ihr welcher ich anscheinend ähnelte. Dass diese dreißig Jahre älter war wie ich, schien sie dabei jedoch immer zu vergessen. Anscheinend hatte ich ein Allerweltsgesicht. 

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