4 - Ich muss mich kurz setzen

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Sprachlos starrte ich Josh Arthur Banks an, der mich seinerseits besorgt musterte und mir auffordernd seine Hand hinhielt. Da ich meinen Beinen nicht traute das sie mich trugen, griff ich nach seiner Hand und ließ mich von ihm hochziehen. Unsicher stand ich auf meinen Absätzen und war froh dass er mich nicht sofort losließ. Auch wenn das bedeutete das ich viel zu nah bei ihm stand. Ein holziger Duft stieg mir in die Nase und ich blickte direkt in zwei dunkle, grüne Augen die mich weiterhin besorgt musterten. Er war ziemlich groß, fiel mir auf. Viel grösser als ich gedacht hatte. Noch grösser als Trey.
"Sind sie verletzt?", fragte er und ich blinzelte. "Ich glaube nicht", antwortete ich.
"Sie sollten sich vielleicht kurz hinsetzten", schlug Josh vor und führte mich ein paar Schritte zur Seite. Meine Beine fühlten sich zwar noch immer wabblig an, aber nicht mehr so als hätte jemand Geleepulver in meine Blutbahn gekippt. Ich konnte noch immer nicht fassen das Josh Arthur Banks mich gerade über den Haufen gefahren hatte. "Es geht schon", antwortete ich und entzog ihm meine Hand. Josh beobachtete mich als ob er befürchtete dass ich gleich umkippen würde. Vielleicht tat ich das auch, ich war mir da nicht ganz sicher. Dann bückte er sich nach etwas und hielt es mir hin. Mein Handy.
„Ich nehme an das gehört ihnen", sagte er. Ich nickte, nahm es ihm ab und zischte als der nasse Ärmel meines Mantels über mein Handgelenk schabte. "Aua", hauchte ich und zog vorsichtig den Ärmel nach oben. Die Haut darunter war flammend rot. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht.
"Sie haben sich verbrannt", stellte Josh schockiert fest und griff sanft nach meinem Handgelenk. Ein leichtes Kribbeln machte sich bemerkbar und ich war mir nicht ganz sicher ob es sich um die Verletzung handelte oder etwas anderes.
"Das sieht übel aus, Sie sollten das kühlen", sagte er und sah mich dabei ernst an. Ich nickte ohne seine Worte wirklich zu begreifen. Mein Kopf steckte in einem unangenehmen Nebel und tauchte nur langsam daraus hervor. Er ließ mein Handgelenk los und hob erneut etwas auf. Als seine Hand diesmal vor mir auftauchte hielt er eine Ladung Schnee. Wieder griff er nach meinem Handgelenk und legte Vorsichtig den Schnee darauf ab.
"Geht das so für sie?", fragte er. Ich brachte wieder nur ein Nicken zustande. Sie Situation fühlte sich viel zu surreal an.
"Ich-also", stammelte er und räusperte sich bevor er mich aus seinen tiefgrünen Augen schuldbewusst ansah. Noch nie hatte ich ein so intensives Grün gesehen. War es wirklich echt? Durch meine Überlegungen verpasste ich beinahe was er als nächstes sagte.
"Es tut mir leid dass ich sie beinahe überfahren hätte, ich habe nicht aufgepasst. Ich hoffe sie können mir das verzeihen." Er sah wirklich zerknirscht aus. Ich musste etwas sagen. Reden Jane, Worte!
"Ich habe auch nicht aufgepasst", gestand ich etwas zittrig ein. Und es war die Wahrheit. Ich hatte nicht auf die Straße geachtet und in mein Handy gestarrt als wäre ich nicht in einer Großstadt aufgewachsen in der man damit rechnen musste über den Haufen gekarrt zu werden. Doch Josh schüttelte bestimmt den Kopf. "Nein sie trifft keine Schuld, ich war gerade abgelenkt durch-" Er ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen und räusperte sich stattdessen. "Bei wem muss ich mich eigentlich dafür entschuldigen?" Er hielt mir seine Hand hin. Da er auf meine rechte bereits Schnee drückte, hielt ich ihm meine linke Hand hin. Er runzelte die Stirn bevor er nach meinen Fingern griff wie für einen Handkuss. Wäre ich mit der Situation nicht so überfordert gewesen hätte ich darüber gelacht.
"Jane Smith", stellte ich mich geistesgegenwärtig vor. Er drückte meine Finger und ein ganz kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Eleanors Schwärmerei drängte sich in meinen Kopf und ich musste zugeben dass sie Recht hatte. Er hatte ein wirklich umwerfendes Lächeln das Knie in Pudding verwandeln konnte. Toms Gesicht erschien vor meinem inneren Auge und ich schüttelte meine Gedanken ab. Das musste der Schock sein das ich so dachte.
"Ich bin Josh Banks, freut mi-". Mitten in der Phrase stoppte er, runzelte die Stirn und korrigierte sich. "Natürlich freut es mich nicht dass wir uns unter solchen Umständen treffen." Zerknirscht presste er die Lippen zusammen.
"Ich werde mal neuen Schnee für Sie holen Jane." Er stoppte. „Ich hoffe es ist in Ordnung wenn ich Sie so nenne?", fügte er an. Ich nickte und fühlte mich schon wieder wie eine Wackelkopffigur. Das musste aufhören, sofort. Egal wie schön sein Lächeln war, er hatte mich gerade umgenietet, meinen Kaffee verschüttet und mein Handgelenk so langsam echt weh. Als er mit dem Schnee zurückkam, nahm ich ihn ihm entschlossen aber dankend ab um selbst zu kühlen.
"Soll ich Sie zu einem Arzt bringen?", fragte er und deutete auf mein Handgelenk. Plötzlich fiel mir ein dass der Kaffee den ich gerade verschüttet hatte meinem Chef gehört hätte und ich eigentlich arbeiten sollte. Mr.Lee wartete bestimmt bereits auf mich, darum schüttelte ich rasch den Kopf.
"Nein, das geht schon in Ordnung, es ist ja nichts weiter passiert", antwortete ich schnell. Ich konnte mir keine weitere Verspätung leisten. Später würde ich mir rasch in der Apotheke etwas besorgen. So schlimm würde es schon nicht sein. Nach dem ganzen Schnee fühlte es sich bereits besser an. Und ich musste wirklich zurück zur Arbeit. Josh runzelte die Stirn. "Sind sie sicher?", fragte er. "Ich kann das nicht einfach unbehandelt lassen", protestierte er.
"Sie könnten mich an einer Apotheke absetzen wenn sie darauf bestehen?", schlug ich vor und hoffte ihn damit schnell los zu werden.
„Das mache ich gerne", sagte er und blickte mir wieder direkt in die Augen. Langsam legte sich seine Stirn in Falten und er schien mich noch eindringlicher zu mustern.
"Aber sagen sie Jane, kann es sein das wir uns schon mal begegnet sind?", fragte er und legte den Kopf schief. Erinnerte er sich etwa an meinen unfreiwilligen Hausbesuch mit Eleanor vor drei Wochen?
"Ich glaube wirklich sie schon einmal gesehen zu haben", legte er nach. "Sind Sie eine Schauspielerin?" Diesmal konnte ich mich nicht beherrschen und gab ein schnaubendes Lachen von mir.
"Oh nein. Ich bin weder Schauspielerin noch sonstig berühmt." Ich habe dich nur mit meiner Stalkerfreundin bei dir zuhause besucht und dich angepampt.
"Wir sind uns aber schon mal begegnet?" Ich räusperte mich, holte Luft. Sollte ich ihm erzählen dass er mich bereits einmal vor seinem Haus getroffen hatte? Ich war damals nicht besonders freundlich gewesen. Das Klingeln meines Handys ersparte mir die Antwort. Umständlich zog ich es aus meiner Jackentasche: Mr. Lee, stand auf dem Display. Natürlich, er fragte sich bestimmt wo ich abgeblieben war.
"Mr. Lee?"
"Jane! Wo sind sie!", tobte er am anderen Ende der Leitung. "Ich brauche sie unverzüglisch hier! Mit meine Kaffee- Tout de suite!" Das letzte Brüllte er beinahe.
"Ich-ja, bin schon auf dem Weg." Er hatte aufgelegt bevor ich zu Ende gesprochen hatte. Ich seufzte und steckte das Telefon wieder in die Tasche. Josh hatte mich beobachtet.
"Alles in Ordnung?", fragte er jetzt.
"Mein Chef wartet auf mich", erklärte ich ihm. Er nickte verstehend.
"Soll ich Sie hinbringen?", bot er an. Das überraschte mich. Ich hatte erwartet dass er sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen würde nun da sich die Gelegenheit bot.
"Ich- also- ich muss erst einen frischen Kaffee holen", stammelte ich. "Natürlich", sagte er, drehte sich um und ging schnurstracks auf das Café zu. Als er am Eingang angelangte, drehte er sich zu mir um. "Kommen Sie?" Ich war an Ort und Stelle stehengeblieben und schloss nun zu ihm auf.
"Was haben Sie vor?", fragte ich verwirrt.
"Ich ersetze ihren verschütteten Kaffee?", fragte er zurück als wäre das logisch.
"Ich-das-okay?", stammelte ich. Auch damit hatte ich nicht gerechnet. Er hielt mir die Tür auf und ich hörte sein überraschtes 'Oh!' als er hinter mir in das Café trat.
"Hübsch", murmelte er und sah sich interessiert um. Die Frau an der Kasse sah mich etwas schräg an, als ich schon wieder vor ihr stand, kommentierte dies aber nicht. Außerdem starrte sie Josh an und ließ ihren Blick immer wieder zwischen uns hin und her schweifen. Natürlich, vermutlich hatte sie ihn erkannt und fragte sich gerade was er hier mit mir wollte.
Keine fünf Minuten später standen wir wieder draußen. Josh hatte sich einen Saft in der Glasflasche bestellt und trug die beiden Getränke zielstrebig zu seinem Auto. Ich folgte ihm, da er Mr. Lees Kaffee in der Hand hielt. Er öffnete die Beifahrertür und sah mich abwartend an.
"Ich soll bei ihnen ins Auto steigen?", fragte ich skeptisch und deutete zwischen dem Auto und mir hin und her. Gerade eben hatte er mich mit dem Ding beinahe überfahren und jetzt wollte er dass ich mich in sein Auto setzte? Hatte er noch alle Tassen im Schrank?
"Normalerweise bin ich ein sehr guter Autofahrer", behauptete er und runzelte leicht frustriert die Stirn. "Ich war gerade nur-", er stockte, schluckte und räusperte sich, bevor er leiser weiterfuhr. "Ich war nur gerade eben etwas abgelenkt." Das hatte er nun zum zweiten Mal erwähnt. Er fühlte sich offensichtlich unwohl darüber zu reden und sah weg. Noch immer hielt er mir die Tür auf.
„Ich kann auch zu Fuß gehen", versuchte ich einzuwenden doch er schüttelte bereits den Kopf. „Lassen sie es mich wenigstens ein wenig wieder gut machen, ich fahre wirklich gut", wandte er ein. Ich atmete hörbar aus und ließ mich dann wiederstrebend auf den Sitz fallen.
"Nah schön, Sie können mich fahren." Wenn ich ehrlich war hatte eigentlich wenig Lust weiter in der Kälte zu sein, geschweige denn den Weg zurückzulaufen.
"Gut, ich hätte sie sowieso nicht zu Fuß gehen lassen", sagte er und schloss die Tür hinter mir.
"Was?", fragte ich überrascht aber er hörte mich nicht. Als er sich neben mich setzte hielt er mir meinen Kaffeebecher hin, seinen Saft stellte er in eine Vorrichtung am Armaturenbrett und startete den Wagen.
"Wo müssen sie eigentlich hin?" Als ich es ihm erklärte sah er mich schräg von der Seite an, sagte aber nichts dazu.

Auf der Fahrt sagte keiner ein Wort. Als ein Anruf auf dem Touchscreen seines teuren Wagens aufleuchtete, drückte er ihn ohne hinzusehen weg. Er nahm einen anderen Weg und hielt unwillkürlich am Straßenrand. Der Motor verstummte und ich sah mich um. Das war überhaupt nicht der Ort an den ich hinmusste.
„Warten sie kurz", sagte er und stieg aus dem Wagen. Als er die Tür hinter sich schloss erklang ein leises klicken. Er hatte gerade nicht das getan was ich vermutete, oder? Ich probierte mich an der Tür und musste feststellen dass ich richtig lag. Die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Dieser hochnäsige Arsch hatte mich tatsächlich wie ein Hund im Auto eingeschlossen. Hatte er sie noch alle? Mein Blut geriet in Wallungen. Ich hatte keine Zeit um hier herumzusitzen und darauf zu warten dass er private Geschäfte erledigte. Was dachten sich diese reichen Schnösel? Das man alles durfte weil man Geld hatte? Da hatte er sich bei mir aber geschnitten.
Als er zurückkehrte schäumte ich beinahe über. Bevor ich etwas sagen konnte hielt er mir eine weiße Plastiktüte mit einem mir bekannten Logo hin.
„Ich hoffe dass das Richtige dabei ist", sagte er und ich nahm ihm umständlich die Tüte ab um einen Blick hineinzuwerfen. Wundspray, Salbe und Pflaster befanden sich darin. Erstaunt sah ich ihn an. Meine Wut verrauchte. „Es ist nicht besonders viel aber die Dame sagte mir dass es nichts besseres bei Verbrennungen gibt." Er sah mich aus seinen grünen Augen so ehrlich an das ich nichts weiter tun konnte als mich wieder in eine Wackelkopffigur zu verwandeln. Er startete den Wagen und fuhr los.

Keine fünf Minuten später hielten wir vor dem Eingang zur Fashionshow. Ich kämpfte noch mit dem Gurt, ohne dabei erneut Kaffee zu verschütten, als Josh bereits die Tür für mich geöffnet hatte.
"Danke", murmelte ich verlegen als ich es endlich schaffte mich zu befreien.
"Das ist wohl das mindeste was ich für sie tun kann." Er schloss die Tür hinter mir und lächelte verlegen. Was sollte ich zu ihm sagen?
"Ich werde dann gehen", sagte ich gleichzeitig mit seinem: "Ich gebe ihnen meine Nummer." Verblüfft sah ich ihn an.
"Wofür?", fragte ich verwundert, doch er hatte bereits eine Visitenkarte aus einem schicken Kartenhalter hervorgeholt und hielt sie mir hin.
"Lassen sie sich behandeln und schicken sie mir die Rechnung sollte es nicht besser werden. Außerdem würde ich gerne wissen wie es ihnen geht." Den Blick den er mir zuwarf war so eindringlich und offen besorgt das ich nicht anders konnte als die Karte entgegenzunehmen.
„Sie müssen das nicht- ", fing ich an doch er unterbrach mich.
„Doch, ich muss", sagte er überzeugt und sein Tonfall ließ vermuten dass er sich wenig Wiederspruch gewohnt war.
"In Ordnung." Ich ersparte es mir ihm zu danken. „Tschüss", sagte ich. Kläglich hob ich die Hand zum Abschied bevor ich mich rasch umdrehte und schnellen Schrittes zum Eingang ging.
"Auf Wiedersehen Jane", hörte ich ihn noch, doch ich drehte mich nicht mehr um.

Mr. Lee hatte natürlich bereits auf seinen Kaffee gewartet, meckerte das er anders schmeckte wie sonst und befahl mir mich wieder an die Arbeit zu machen.
"Und kämmen sie sisch die Haare sie sehen aus wie frisch aus dem Bett!", rief er noch bevor er wieder hinter einem Vorhang verschwand. Ich versorgte meine Wunde und arbeitete weiter, wenn auch etwas langsamer als zuvor. Mein Kopf konnte einfach nicht so richtig bei der Sache bleiben. Was für ein verrückter Samstagvormittag war das bitteschön?

Tom tobte als ich ihm am Abend davon erzählte und fast wünschte ich mir es nicht erwähnt zu haben. Um unseren romantischen Abend vorzubereiten fehlte mir schlichtweg die Kraft und so hatten wir es uns schlicht auf der Couch gemütlich gemacht.
"Tom, jetzt beruhige dich doch wieder. Es ist nichts weiter passiert und es geht mir gut." Ich lächelte beruhigend. Doch es schien nicht zu wirken.
"Das ist eine Frechheit", schimpfte er unbekümmert weiter. "Ich schaue was sich da machen lässt. Ich kann das nicht einfach so auf sich beruhen lassen. Er kann dich doch nicht mit einem läppischen Kaffee und ein wenig Verbandsmaterial abwimmeln wollen!" Er schimpfte noch etwas und erklärte mir dass ich Schmerzensgeld von ihm verlangen konnte. Meinen Protest dass ich das nicht wollte überhörte er einfach. Irgendwann schlug ich vor einen Film zu schauen und da er sich anscheinend genug aufgeregt hatte, stimmte er zu. Zum Film zündete ich eine Kerze an und hoffte damit ein wenig Stimmung aufzubringen als ich mich an ihn kuschelte. Aber es klappte nicht wirklich. Immer wieder vibrierte sein Handy.
"Alles klar?", fragte ich. "Ärger im Büro?" Ich schielte zu ihm hoch. Tom sperrte das Handy und legte es zur Seite.
"Alles okay, ich kümmere mich morgen darum." Er küsste mich auf den Kopf und wir sahen uns den Film an. Gegen elf gingen wir ins Bett und ich konnte nicht anders als ein wenig enttäuscht zu sein als Tom sich umdrehte. Das hatte ich mir nicht unter einem romantischen Abend vorgestellt. Auf der anderen Seite wäre ich beim Sex vermutlich eingeschlafen. Wir waren wohl einfach beide ein wenig überabeitet.

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©2020 by keeaty

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