3 - Frühsport direkt in den Himmel

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Als ich am Samstag gegen halb acht in die U-Bahn stieg hoffte ich auf einen entspannten Tag. Da es bereits mein zweiter Samstagsdienst war, war ich nicht mehr so nervös wie noch vor drei Wochen. Da hatte meine Mutter ernsthaft überlegt mit Baldriantropfen in den Kaffee zu träufeln damit ich aufhörte zu hyperventilieren weil ich das erste Mal alleine mit Mr. Lee sein würde. Dabei war es ein ziemlich entspannter Tag gewesen an dem ich an die tausend Briefumschläge beschriftet und mit Marken beklebt hatte.
Gegen fünf vor Acht trat ich durch den Haupteingang und sofort war mir klar dass es heute anders aussehen würde. Die Stimmung fühlte sich ein wenig an wie ein Bienennest in das man ausversehen hineingestochen und es dann in hohem Bogen eine Klippe hinuntergeworfen hatte.

Als Hannah, die Sekretärin, mich erblickte winkte sie mich rasch zu sich und teilte mir mit das Mr. Lee bereits auf mich wartete. Ich eilte ohne viele Fragen zu stellen zu seinem Büro. Wie war es möglich dass man erwartet wurde wenn man doch zu früh dran war? Vor der Tür holte ich tief Luft und versuchte meine Atmung zu beruhigen. Ich war nicht besonders sportlich und besaß überhaupt keine Kondition. Ich klopfte und trat ein. Mr. Lee hatte uns am ersten Tag eingebläut auf keinen Fall zu warten, er habe keine Zeit immer herumzubrüllen. Was angesichts seiner täglichen, theatralischen Ausbrüche ziemlich widersprüchlich war.
Er saß an seinem Schreibtisch und hatte den Kopf in eine Hand gestützt. Zum ersten Mal sah ich ihn nicht in Topform, sondern konnte erkennen dass er erschöpft wirkte.
"Guten Morgen Mr. Lee", grüßte ich. Er hob den Kopf und plötzlich erhellte sich sein Gesicht.
"Jane! Bonjour! Gut sind sie hier, isch habe bereits auf sie gewartet!" Ich hätte nie gedacht dass sich er sich jemals freuen würde mich zu sehen. Und seit wann duzten wir uns? Bisher hatte er mich immer nur mit Miss Smith oder diese Frau angesprochen.
"Jane, isch hab eine Frage an sie." Er kam um den Tisch herum und fasste mich an den Händen. Mit so viel Körperkontakt hatte ich nicht gerechnet und beherrschte mich gerade so ihm meine Hände nicht sofort wieder zu entziehen.
"Ihre Maman hat eine Coiffeur Geschäft, richtisch?" Meine Französischkenntnisse reichten gerade aus um zu kapieren dass er den Friseursalon meiner Mutter meinte.
"Das stimmt", ich nickte unterstützend. Mr. Lee sah hocherfreut aus.
"Und sie haben in ihre Bewerbung geschrieben dass sie gelernt haben wie man Haare schneidet?", fragte er aufgeregt. Wieder nickte ich und fragte mich warum das denn jetzt so wichtig war.
"Können sie auch Haare an Männern schneiden?" Ich nickte wieder. "Und Stylen auch? Ein Frisur?" Wieder nickte ich. Jetzt fühlte ich mich so langsam wie eine dieser Wackelfiguren mit den zu großen Köpfen die es überall in den Souvenirshops zu kaufen gab.
"Formidable!" Er klatschte in die Hände und ging zur Tür. "Kommen sie Jane wir haben viel zu tun." Hatten wir das? Wozu hatte er das jetzt wissen müssen? Und wo wollte er jetzt hin? Doch ich hatte gelernt besser weniger solcher Fragen zu stellen. Mr. Lee war bereits zur Tür hinaus und ich warf Hannah einen verwirrten Blick zu als ich, an ihr vorbei, hinter ihm her stürmte. Mein Chef rannte beinahe durch das Gebäude. Ich folgte ihm brav, obwohl ich von der kleinen Frühsporteinlage keinesfalls begeistert war. Joggen wiederstrebte meinem Sein grundsätzlich. Mr. Lee rannte die Treppen hinunter bis in die Tiefgarage, dort befahl er mir umgehend in einen schwarzen Wagen zu steigen. Verwirrt dankte ich dem Fahrer welcher mir die Tür aufhielt. Ich hatte mich kaum angeschnallt, da brausten wir auch schon los, auf die Straßen Londons. Ein wenig kam ich mir vor wie in einem wirklich schlechten Actionfilm.
Knapp zwanzig Minuten später bogen wir in eine Seitenstraße ein und hielten vor einem riesigen Gebäude. Mr. Lee hatte die ganze Zeit über telefoniert und zwar auf Französisch, so dass ich meine Fragen hatte herunterschlucken müssen. Kaum war der Fahrer auf die Bremse getreten, sprang mein Chef bereits aus dem Auto. Verwirrt blickte ich ihm hinterher wie er wie ein Irrer zum Eingang hastete. Er hielt mir die Tür auf und merkte erst da dass ich noch immer auf den teuren Polstern des Wagens saß. Der Fahrer und ich hatten ihm gleichermaßen verdutzt hinterhergeblickt und uns keinen Millimeter bewegt.
"Jane, kommen sie hopp, hopp!", rief er energisch. Beim letzten Wort überschlug sich seine Stimme und schreckte mich aus meiner Starre hoch. Schnell raffte ich meine Sachen zusammen und stieg aus dem Auto, jedoch nicht ohne mich beinahe auf die Nase zu legen. Kaum war ich auf seiner Höhe, sprintete er weiter. Die zweite Frühsporteinlage des Tages endete erst als wir durch einen endlosen, düsteren Gang hinein in eine Halle stürmten. Geschäftig wirkende Leute umringten uns plötzlich.
Ich hatte da so eine Vorahnung wo wir gerade gelandet waren. Der lange Steg in der Mitte der Halle, verriet mir alles was ich wissen musste. Mr. Lee verlangsamte seine Schritte, ging aber für meinen Geschmack und die Höhe meiner Absätze noch immer zu schnell. Auch wenn es wirklich flache Absätze waren und keine dieser Halsbrecher mit denen Hannah immer herumstöckelte.
"Jane, allez, viens maintenant!" Zwar hatte ich keine Ahnung was es bedeutete, aber ich konnte es mir vorstellen. Ich verdrehte die Augen und stolperte dadurch bereits zum zweiten Mal. Vor meinem inneren Auge sah ich mich bereits den Boden küssen, als ich mich doch noch fangen konnte.
Mr. Lee führte mich immer weiter ins Gebäude hinein und immer mehr Menschen tummelten sich um uns. Anscheinend waren sie alle schwer beschäftigt. Einige grüßten meinen Chef, doch die meisten waren zu sehr in ihre Arbeit vertieft. Nun musste ich mich nicht nur darauf konzentrieren mit den Füssen auf dem Boden zu bleiben, sondern auch niemand anderen zu Boden zu schmettern. Wir eilten in den hinteren Teil der Halle in den Backstage Bereich der Modeschau welche unsere Firma mitorganisierte. Als ich Mr. Lee durch einen Vorhang folgte, fiel mir die Kinnlade runter. Ein schöner Mann reite sich an den nächsten und alle waren sie nur halb bekleidet. Heiliger Bimbam, ich war im Himmel gelandet. Hatte ich mir das Genick gebrochen weil ich mich doch noch auf die Nase gelegt hatte? 
Ein schöner Mann reihte sich an den nächsten. Und allesamt waren sie oben ohne. Ich kam aus dem starren gar nicht mehr hinaus.

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