KAPITEL 7 - Schmetterlingsflügel

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Nein, er konnte nicht fliegen.
Aber zumindest schienen ihm seine frisch erlangten Kräfte einen physischen Schub zu verleihen, da er auf dem Dach des gegenüberstehenden Wohnhauses auf sicheren Füßen balanciert landete. Gabriels anfängliche Unsicherheit wuchs zu einer entschlossenen Zuversicht, die mit jedem folgenden Laufschritt stärker und mitreißender seinen Körper übernahm. Der warme Wind peitschte in sein maskiertes Gesicht, während der verwandelte Modedesigner rennend über die einzelnen Hausdächer sprang, als wären ihm Flügel gewachsen, mit denen er den Fesseln der Schwerkraft entfliehen könnte. Ein ungewöhnliches Gefühl von Freiheit durchstörmte sein hämmerndes Herz. Keine der Augenzeugen, welche auf den Straßen von Paris neugierig ihre Köpfe zum energiegeladenen Mann wandten, würden ihn dank seiner sauberen Tarnung nicht als den Modekönig identifizieren können, sondern nur einen vollkommen verrückten, ganz in Violett und Schwarz angezogenen Sprungteufel, der von Gebäude zu Gebäude hüpfte. Es war unmöglich, es war bizarr!
Es war einfach wundervoll.
Doch Gabriels Euphorie zerplatzte prompt, da eine gigantische, pechschwarze Säule aus Qualm mitten im Montparnasse-Bezirk bis in den Himmel einschüchternd vor ihm aufragte. Der Gedanke, dass das Hôpital Necker mitsamt Adrien darin eingehüllt wurde, spornte den Blonden dazu an, sich auf sein wesentliches Vorhaben zu konzentrieren: Mithilfe seinen ihm vom Miraculous verliehenen, telepathischen Fähigkeiten die Situation zu retten.
"Was muss ich tun?", hatte er Nooroo vorhin in seiner Wohnung gefragt, als er sich energisch die Brosche an den Kragen steckte.
"Die Macht des Schmetterlings-Miraculous bezieht sich aus der Empathie", hatte der lavendelfarbene Kwami ihm mit erfreuter Miene erklärt, "Ihr könnt sogenannte Akumas losschicken und einer beliebigen Person übernatürliche Kräfte übertragen, um denjenigen zu Eurem ergebenen Helfer zu rekrutieren!"
"Ich fülle also einen normalen Schmetterling mit Energie und forme meinen eigenen Begleiter", hatte Gabriel aufmerksam zusammengefasst und zweifelnd die Stirn gerunzelt, "Aber wie spüre ich diese Emotionen auf? Paris ist eine Millionenstadt, und dieser Akuma könnte bestenfalls auch die falsche Person anpeilen."
Ermutigend hatte Nooroo ihn dann angelächelt. "Ihr werdet es bestimmt schaffen, Ihr müsst euch nur Mühe geben! Ich glaube ganz fest an Euch und werde Euch bei allem beistehen."
Der gegenwärtige Gabriel schloss gewissenhaft die Augen und sammelte all seinen inneren Mut. Ich werde versuchen, mich deiner Hilfe würdig zu erweisen, Nooroo.
Unten auf der Einkaufsstraße gab es einen bescheidenen Blumenladen, wo ein Florist gerade ein paar aufblühende Hortensien mit seiner Gießkanne bewässerte. Einige durchschnittliche Insekten naschten gierig am Blütennektar, unter anderem auch ein Kohlweißling, der zu Gabriels Gunsten von einer der Pflanzen bis aufs Dach vor seiner Nase unbeschwert durch die Luft flatterte.
Vorsichtig streckte der Modedesigner den Arm aus und wartete, bis der zierliche Falter auf seiner Handfläche landete. Mit größter Behutsamkeit bedeckte er das Insekt nun mit seiner anderen Hand und versuchte gedanklich, die magische Aura seines Miraculous in ihn zu übertragen.
Und tatsächlich: Die hauchdünnen Flügel des Kohlweißlings füllten sich mit einer dunkelvioletten Energie, die sich in einer satten Farbe repräsentierte.
Ich habe gerade einen Akuma erschaffen, schoss es Gabriel nicht ohne Stolz durch den Kopf und er lächelte unbeholfen. Der stets logisch denkende Modedesigner hatte eben waschechte Magie angewandt.
Das Leben steckt voller Überraschungen.
Jetzt musste der verwandelte Blonde nurmehr eine Person per Telepathie ausfindig machen, welche einen emotionalen Höhepunkt erlebt. Irgendwie würde das schon funktionieren, oder?
Gabriel verfiel in einen Zustand völliger Fokusierung und er schloss wieder die Augen - diesmal, um aus seiner Umgebung einen intensiven Gefühlszustand herauszufiltern.
Eine gewisse Mademoiselle käme da mal nicht infrage...
Als hätten seine Gedanken sich automatisch fortbewegt, raste das Bild in seinem Verstand zum Tour Montparnasse, wo unzählige, unterschiedliche Emotionen auf ihn einstürzten. Die Geschäftsführerin von Largesse befand sich wie erwartet jedoch nicht unter ihnen.
Zuerst konnte er aus keinem der Passanten irgendeine tiefe Gefühlslage empfangen, aber bei diesem Durcheinander fiel es dem Blonden relativ schwer, eine intensive Empfindung zu lokalisieren.
Da erhob sich plötzlich eine unterbewusste Regung deutlich von den anderen.
Frust. Verzweiflung. Stress. Die Angst, die eigene Tochter enttäuschen zu müssen. Ein Vater, der von einem ausweglosen Problem geplagt wird. Ein hart arbeitender Mann, der ein dringendes Telefongespräch mit einer hitzig gestimmten Dame führt.
"Bitte versteh mich doch, Sarah!", flehte eine Stimme, welche Gabriel sofort wiedererkannte: Fred Haprèle! Momentan befand sich sein frommer Fahrstuhlkollege vor dem Eingang des berühmten Wolkenkratzers und rieb sich unbehaglich den Nacken. "Ich übe drei Berufe zur gleichen Zeit aus, um mich und meine Tochter zu ernähren! Mylène soll nicht unter denselben finanziellen Problemen leiden wie ich damals. Ich bitte dich inständig darum, die Tournee für Les Aventures Extraordinaires du Mime um eine Woche zu verschieben! Ich schwöre dir, dass ich die alleinigen Konsequenzen dafür tragen werde!"
Von der Frau am anderen Ende der Leitung ging eine starke Ablehnung aus, wie Gabriel deutlich spüren konnte. "Ich verstehe deine Situation, Fred. Genauso wie deinen Wunsch, deine Tochter glücklich machen zu wollen." Ihr Tonfall wurde schärfer, und der Modedesigner konnte eine erzwungene Verhärtung ihres Gemüts wahrnehmen. "Aber du musst dich auch in meine Lage versetzen: Wie soll ich ein lange erwartetes Theaterstück auf die Beine stellen, wenn der Hauptdarsteller ständig irgendwelche Ausreden findet, um nicht zu den vereinbarten Terminen zu erscheinen?"
"Das kann ich durchaus nachvollziehen, aber-"
"Nein, Fred", schnitt Sarah ihm strenger vom Satz ab, "Mein Entschluss steht bereits fest. Chris wird für dich einspringen, und zwar solange, bis du deine Finanzkrise vollständig überwunden hast. Ich muss jetzt auflegen, man erwartet mich für eine Besprechung über die Tournee und ich bin schon spät dran. Adieu."
Das Telefonat wurdw jäh beendet, und Fred starrte mit tristen Augen auf das Handy-Display. Seufzend zog er sein Portmonee hervor, um daraus das Bild seiner Tochter zu holen und jenes mit einem Kloß im Hals anzuschauen.
"Verzeih mir, Mylène", flüsterte der Vater des Mädchens und strich mit dem Finger sachte übers Bild, "Dein Papa wird die Bühne die nächste Zeit nicht mehr betreten können."
Traurigkeit breitete sich in Freds Brust aus wie eine Wolke aus Schwermut, und so sank er mit hängenden Kopf auf die Treppen nieder, Mylènes Foto schützend auf der Hand gebettet.
Eine frustrierte Seele, welche notgedrungen seine Leidenschaft zum Schauspiel aufgab, um seiner geliebten Tochter nicht irgendwelchen geldbedingten Einschränkungen auszusetzen...
Als würde er vibrieren, spreizte der Akuma in Gabriels Hand eifrig sein zierliches Flügelpaar.
"Flieg los, mein kleiner Akuma", bat der verwandelte Blonde dem dunklen Schmetterling und befreite ihn von seinem Handgriff, "Flieg zu Fred und mach ihn zu meinem Begleiter!"
Wie auf Befehl flog der Akuma im eilenden Tempo los, in Richtung der sich hoch erstreckenden Sehenswürdigkeit. Zwar überkam Gabriel ein unverhohlenes Schuldgefühl, die Hoffnungslosigkeit seines neu gewonnenen Freundes so schamlos auszunutzen, wo ihm dessen Problem doch so schmerzlich vertraut war. Aber sein Verlangen, die panische Menschenmasse am Kinderkrankenhaus - und insbesondere Adrien - vor einer möglichen Katastrophe zu bewahren, hatte in jenem Augenblick Vorrang.
Sobald der Akuma Fred erreichte, verschwand das Tierchen im Passfoto seiner Tochter, welches sich in ein tiefes Violett verfärbte. Gehorsam hob der von Leid verfolgte Vater mit starrer Miene den Kopf, als würde er auf ein Kommando warten. Da erkannte Gabriel, dass er nun mit ihm kommumizieren konnte.
"Mime", sprach der Modedesigner ihn über die telepathische Verbindung an - dabei verstellte er bewusst seine Stimmlage ein wenig, um sich nicht von seinem Freund entlarven zu lassen, "Du wurdest gezwungen, deine Träume für das Wohlbefinden deiner Tochter hinter dich zu lassen, und hast in der Tat eine sehr selbstlose Wahl getroffen. Ich verleihe dir die Macht, dein theatralisches Talent für den Kampf gegen das Unrecht einzusetzen. Nimmst du mein Angebot an?"
Als Antwort setzte Fred nur ein siegreiches Grinsen auf, bevor sein Körper von einer wabernden, schwarz-lilafarbenen Materie eingehüllt wurde. Daraus hervor trat exakt jene Erscheinung, welche sich in Gabriels Vorstellung zusammengebraut hatte: Fliederfarbene Haut, ein halbärmliges Sakko mit schwarz-weiß gestreiftem Inner, eine hautenge, weiße Hose, zwei schwarze, aufgeschmickte Tränen auf beiden Wangen und zur Krönung eine schwarze Melone auf dem Haupte.
Kurzum: Der klassische Mime, wie er im Buche stand.
Offenbar funktioniert diese Gedankenübertragung in beide Richtungen, erkannte Gabriel staunend, während der zum Mimen gewordene Fred das Bild seiner Tochter in seinem Hut verstaute. Faszinierend.
"Komm zu mir, Mime", ordnete der Modedesigner nun an, "Folge der Rauchsäule am Hôpital Necker. Deine Hilfe wird dort dringend benötigt, und deine Fähigkeiten werden sich als unentbehrlich erweisen!"
Der Mime hob den Daumen, was er als Zustimmung deutete. Ohne auf die übrigen Menschen in seinem Umfeld zu achten, welche verwundert und teilweise erschrocken die Blicke an ihn hefteten, stieg er auf ein imaginäres Motorrad und kratzte mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit die Kurve. Natürlich, ohne dabei jemanden zu verletzen.
Hoffentlich.
Gabriel seufzte beruhigt und unterbrach die telepathische Verbindung kurzzeitig. Ohne weiteres Nachdenken setzte er seinen Weg zum rauchbefangenen Kinderkrankenhaus fort, und obwohl der dichte, pechschwarze Qualm ihm die Sicht erheblich erschweren würde, ließ sich der verwandelte Modedesigner davon nicht aufhalten und bahnte sich kühn den Weg ins grauenhafte Flammeninferno.
Kaum betrat der Blonde den betroffenen Bereich, musste er kräftig husten, damit das Kohlenmonoxid nicht seine Lungen befüllte. Wie sollte er sich unbeschadet fortbewegen und den Retter spielen, wenn er vorher an einer Rauchvergiftung zugrunde ging?
Die Antwort auf jene Frage erübrigte sich schneller als gedacht, da der Mime plötzlich neben ihm stand und einen unsichtbaren Schutzschild mit seinen Gestikulierungen kreierte. Beeindruckend, was man mit reiner Vorstellungskraft Nützliches erschaffen konnte!
Beinahe wäre Gabriel ein "Danke, Fred" entflohen, doch er räusperte sich hastig und meinte lediglich: "Gute Arbeit, Mime. Nun lass uns schnell zum Hôpital Hecker eilen, bevor alles zu spät ist!"
"Du meinst, zu spät für dich?"
Unerwartet kassierte der verwandelte Modedesigner einen heftigen Schlag in die Rippen einkassieren. Fast brach er am Boden zusammen, doch er konnte sich noch rechtzeitig auf seinem Stock abstützen und diesen zur Gegenwehr einzusetzen, wie beim Fechten.
Jedoch verflog der Kampfeswille im Wind, als sein Herz einen gewaltigen Luftsprung machte, da es sich bei seinem Angreifer um niemand Geringeres handelte als die Frau mit den magentafarbenen Augen im Pfauenkleid.
Benommen und freudig zugleich erstarrte er in seiner Pose. "Du-"
Weiter brachte er den Satz nicht, da die Dame ihn bei den Schultern packte und unsanft gegen den Boden schleuderte, wobei er schmerzhaft aufjapste. Schieres Staunen entwickelte sich in seiner Brust, und wieder überrollte ihn dieses flattrige, unergründliche Gefühl von Leichtsein und Schwere zugleich.
Sie hat nicht nur flinke Beine, sondern besitzt auch eine ungemeine Geschicklichkeit und Stärke im Kampf!
Der Mime warf der Frau einen finsteren Blick zu und tat so, als würde er einen imaginären Pfeil im Flitzebogen spannen, die Spitze direkt auf sie gezielt.
"Rühr sie ja nicht an!", polterte Gabriel drohend, und wunderte sich über den automatischen Beschützerreflex, "Sie gehört nicht zu unseren Gegnern!"
Da erfuhr er einen weiteren Stoß auf seinen Oberkörper, da die Frau ihn nun mit ihren überraschend starken Handgriff auf den Grund drückte, sodass er sich nicht bewegen konnte. Ihre langen Beine, welche sie beidseitig neben ihn platziert hatte, schränkten seine Bewegungsfreiheit aufs Minimum ein.
"Wer sagt dir, dass dies auf Gegenseitigkeit beruht?", fragte sie ihn zischend, und der wunderbare Klang ihrer unwiderstehlichen, melodischen Stimme floß wie süßer Honig durch die Ohren des Modedesigners. Warum spielten seine Gedanken bloß so verrückt, sobald diese geheimnisvolle Frau in seiner Nähe war?
Trotz dem feindseligen Funkeln in ihrem Blick konnte Gabriel sich selbst nicht daran hindern, ihre einzigartige Schönheit zu bewundern: Die schlanke, wendige Gestalt, welche bedrohlich und doch graziös über ihm aufragte; das von einer stählernen, kampfbereiten Miene beherrschte Gesicht, der zarte Glanz von Pastellblau auf ihrer Haut...
Moment - pastellblau?
Wie konnte ihm dieses herausstechende Detail bei seiner vorherigen Begegnung nur entfallen? Vielleicht lag es daran, dass sie von hinten betrachtet nur sehr wenig Haut zeigte.
"Gibt es einen Grund, warum du mich so anstarrst?"
Ertappt stieg eine Röte in Gabriels Wangen, welche dank seiner Maske vor der Frau verborgen blieb. Offenbar waren ihr seine verzehrenden Blicke nicht entgangen.
Aus ihrer irritierten Frage formte sich eine hartherzige Miene, Augenbrauen und Lippen bildeten zwei eiserne, gerade Linie. "Hat der Phönixkönig dich und deinen Freund geschickt, um mich auszuspionieren?", donnerte die mysteriöse Schönheit mit den flinken Beinen, "Seid Ihr etwa seine neuen Gehilfen? Was für ein Honorar hat er euch versprochen? Reichtum? Macht?"
"Nichts von alledem", versicherte Gabriel ihr hastig und hob ergeben seine Hände, da fiel ihm etwas Ausschlaggebendes ein: "Aber ich habe den Begriff 'Phönixkönig' bereits in den Nachrichten aufgeschnappt - Stimmt, es wurde gesagt, der Terrorist am Kinderkrankenhaus hätte sich selbst so genannt!" Interessiert wagte er es, der Pfauenfrau in die magentafarbenen Augen zu Blicken. "Ist er dir vielleicht bekannt, weil du mich damit konfrontierst?"
Das Misstrauen in ihrem Gesichtsausdruck schwächte ein wenig ab. "Du... Ihr Zwei gehört also nicht zu seinen Schergen?", wiederholte sie ihre Frage mit mehr Irritation als zuvor.
"Nein", stellte Gabriel mit fester Stimme klar, "Alles, worin mein Vorhaben besteht, ist die Rettung von Unschuldigen. Ich weiß weder auf welche Art, noch weshalb man mich dazu berufen hat, aber ich möchte unbedingt helfen." Die beiden teilten einen lang anhaltenden, intensiven Blick, in welchem sie versuchten, die Absichten des jeweils anderen zu ergründen. Für den verwandelten Modedesigner war es, als ob die geheimnisvolle Schöne die tiefsten Empfindungen in seiner Seele herauslesen konnte, ohne ein einzigen Wort auszusprechen.
Und ungeachtet der empathischen Fähigkeiten seiner Miraculous, schaute auch er in ihr Herz, das sich hinter der verschwiegenen Fassade verbarg.
"Genau wie du."
Ein Blinzeln der Pfauenfrau unterbrach ihren nicht enden wollenden Blickkontakt, die dunklen, voluminösen Wimpern fügten zu ihrem träumerischen Äußeren bei. "Woher willst du wissen, das wir das gleiche Ziel verfolgen?", fragte sie nun mit einer milderen Miene, und Gabriel wusste nun mit Sicherheit, dass sie ihr Misstrauen ihm gegenüber zurückschraubte.
"Weil ich dich gesehen habe", antwortete der Blonde wohlbedacht, seine Gedanken flogen zurück zum Moment ihres ersten Aufeinandertreffens, welches eine wunderliche Gefühlsexplosion in ihm ausgelöst hatte. Doch mithilfe des Schmetterlings-Miraculous gelang es ihm, sein emotionales Chaos mühevoll zu bädingen. Und doch schwoll seine Stimme vor Bewunderung, während er mit ihr redete. "Du hast schonmal einem Menschen das Leben gerettet, und ich traue dir zu, dass du dies bei Gelegenheit jederzeit wieder tun würdest, ohne jeglichen Zweifel."
Ein kurzer Moment des Schweigens verstrich, und die Frau im Pfauenkleid lockerte ihren eisernen Griff auf seinen Handgelenken. Erleichterung durchströmte Gabriel, als sie sich dann langsam auf die Beine erhob und ihm mit einer helfenden Hand zurück in den Stand hievte.
Er hatte ihr Vertrauen gewonnen, und freute sich unbändig darüber, am liebsten würde er einen Luftsprung vollführen und bis in den Himmel jubeln.
Doch die Lage blieb immer noch todernst, denn der Himmel war mit dichten, schwarzen Rauchwolken verhangen.
"Na schön, du hast mich überzeugt", seufzte die Frau und stämmte die zarten Hände in die Hüften, "Und wie steht es mit deiner rechten Hand hier?" Sie drehte sich zum Mimen, welcher nach wie vor die Schutzbarriere aufrecht erhielt, damit der Qualm ihnen keine Schwierigkeiten bereitete.
"Dies ist mein Begleiter, der Mime", stellte Gabriel den akumatisierten Fred angemessen vor, welcher begrüßend den Hut vor der Dame zog und ein versöhnliches Lächeln aufsetzte, "Er ist nicht sehr wortgewandt, aber man kann sich definitiv auf ihn verlassen."
"Hast du ihn etwa erschaffen?"
"Ich glaube, 'rekrutiert' wäre hierbei bessere Ausdruck."
"Verstehe." Die Frau nickte aufmerksam, die vollen, nachtblauen Lippen zu einem halben Lächeln geformt. "Dann haben die Meister dir also die Verantwortung über das Miraculous des Schmetterlings zugeschrieben. Sie haben die Idee für weitere Besitzer ja schon seit Längerem im Sinn gehabt. Schön zu sehen, dass sie endlich eine Entscheidung getroffen haben."
Gabriel öffnete verwundert den Mund. Also wusste die Frau bestens über die magischen Juwelen Bescheid - und offenbar reichten ihre Kenntnisse seinen bisher gesammelten weit voraus. Erst jetzt stach dem Modedesigner der Anstecker ins Auge, welcher im Brustkorb-Bereich auf ihrem Kleid steckte. Er besaß die Form und das Muster eines Pfauenfederkleides. Seine Vermutungen schlossen darauf, dass es sich hierbei um das Pfauen-Miraculous handelte. Natürlich - das erklärte so Einiges! Die Schnelligkeit, die Stärke, die Beweglichkeit, das opulente, auf einem bestimmten Tier basiernde Aussehen...
Folglich mussten wohl mehr von diesen Schmuckstücken existieren.
"Dann wurdest du also ebenfalls auserkoren?", schloss Gabriel seine Theorie und musterte die Frau im Pfauengewand von Haarspitze bis Schuhabsatz.
Ein leiser, amüsierter Laut drang aus ihren Mund. "Der Monsieur hat eine flotte Auffassungsgabe", neckte sie ihn mit einem schelmischen Funkeln in den magentafarbenen Augen.
"Nooroo - mein Kwami - hat mir flüchtig von zwei Meistern erzählt", erzählte der Modedesigner ihr eilig, "Was hat es mit ihnen auf sich?"
"Der gute Nooroo." Die Blauhaarige senkte einfühlsam den Kopf. "Momentan kann ich dir nicht alles auf einmal erklären, da du Vieles nicht auf Amhieb verstehen würdest. Deine Fragen werden bald beantwortet werden, doch das braucht Zeit." Eine Entschlossenheit, so inbrünstig wie eine Flamme aus Licht, flackerte in ihrer Iris auf. "Und in dieser sollten wir uns um das brennende Krankenhaus kümmern."
"Oh ja, selbstverständlich." Gabriel straffte energisch die Schultern und so setzten er und der Mime ihren raschen Weg über die Gebäudedächer von Paris fort - dicht gefolgt von der Pfauenfrau, die im gleichmäßigen Tempo mit den Männern Schritt hielt. Der Modedesigner erlaubte sich nach jedem fünften Sprung, auf seine weibliche Begleiterin aus dem Augenwinkel zu spähen: Unglaublich, wie sie mit solch einer enormen Geschwindigkeit mithielt, und dabei gleichzeitig so leicht wie eine Feder im Wind wirken konnte.
"Ich bin nicht dazu gekommen, mich nach deinem Namen zu erkundigen", fiel ihm atemlos ein, denn dieser Begehr brannte ihm wie scharfer Minzkaugummi auf der Zunge. Er wollte die Schöne endlich bei ihrem Titel rufen können.
Die Freundlichkeit in ihrer Stimme weichte ihn innerlich komplett auf, als sie sagte: "Ich heiße Mayura. Und du solltest dir deine Luft lieber fürs Atmen aufsparen, Flattermann."
"Mayura." Wie der Klang einer mythischen Göttin säuselte der Wind die Silben um sein pochendes Herz. Es gäbe keinen Namen auf der Welt, fand Gabriel, der ihrem Wesen mehr gerecht hätte werden können. "Es ist mir eine Ehre, Mayura."

LE PAON ET LE PAPILLON - Un Amour Complexe 🐦💘🐛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt