KAPITEL 13 - Der schwarze Kater

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"Geht es nur mir so, oder wird er langsam müde?"
Schnaufend stützte sich der erschöpft wirkende Feuerspucker an einem LKW in der Nähe ab, die Haut vor Anstrengung errötet. "Fue... Fuegro... Wird aus euch Fackeln machen!", keuchte er unablässig und ballte mit Nachdruck die Fäuste, "Fuegro darf den Befehl Circus Masters nicht missachten!"
"Du hast recht", stimmte Mayura Hawk Moth verblüfft zu, während sie sich mit ihrem Handfächer Luft zuwedelte, "Ihm geht sichtlich die Puste aus, seit er gegen uns beide kämpfen muss. Da hatte der alte Mann doch recht behalten: Zusammenarbeit bewirkt tatsächlich einen Vorteil im Kampf, und ich musste nicht mal ein Senitmonster erschaffen!"
Hawk Moth konnte da nur sein schelmisches Schmunzeln aufsetzen. "Wir scheinen einander eben gut zu ergänzen, meine liebe Mayura", erwiderte der Träger des Schmetterlings-Miraculous mit einer galanten Bewegung seines Stocks.
Der ungleiche Kampf auf der Avenue de Suffren, welcher sich mit der Zeit mehr und mehr als eindeutig erwies, tobte schon seit einer gefühlten halben Stunde. Davor hatte Nathalie es noch mit einer ausgeklügelten Ausrede geschafft, den stämmigen Bodyguard der Agreste-Familie davon zu überzeugen, dass sie sich in einem nächstgelegenen Supermarkt einquartieren sollten. Sogleich hatte die Geschäftsführerin von Largesse dann die Gelegenheit in Anspruch genommen, sich heimlich davonzuschleichen und in Mayura zu verwandeln, um den durchgedrehten, von Circus Master heraufbeschwörten Feuerspucker in strammer Wrestling-Verkleidung Einhalt zu gebieten. Glücklicherweise stieß sie dabei schnell auf ihren gewitzten Partner, welcher bereits einen neuen akumatisierten Schurken rekrutiert hatte: Der Bubbler war dem Jargon nach zu urteilen ein Teenager, welcher sich als wesentlich gesprächiger und auch frecher erwies im Vergleich zum stummen und bescheidenen Mimen. Das äußerst grell ausgefallene Kostüm des Jungen bestand aus einem kirschroten, cyanblauen und quietschgelben Anzug, der einem aus mehreren Metern an Entfernung sofort ins Auge stecken würde. Ganz zu schweigen von den skurilen Abrundungen der Kleidung, welche dem Namen des akumatisierten Gehilfen nochmal deutlich unterstrichen...
"Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, dass du in deiner zivilen Identität einen meisterlichen Komiker abgibst", neckte Mayura Hawk Moth diesbezüglich scherzhaft, wofür sie eine beleidigte Schnute von ihrem Partner erntete.
"Würdest du wissen, wer ich in Wirklichkeit bin, dann nähmest du diese Bemerkung auf der Stelle zurück."
Die violette Schmetterlingmaske erschien über seinem Gesicht (dies war das optische Zeichen für die Kommunikationstelepathie, welche sowohl Hawk Moth als auch Mayura zu ihren Schergen öffnen konnten) und der Held sprach zu seinem auserwählten Rekruten. "Bubbler, du hast großartige Arbeit geleistet, indem du die Passanten von der Straße geschafft hast", lobte Hawk Moth ihn, "Achte darauf, dass du sie möglichst vorsichtig wieder freilässt, sobald wir hier fertig sind."
"Null Problemo, Chef!", versicherte der Bubbler ihn mit erhobenen Daumen, während der akumatisierte Teenager lässig auf einer seiner Seifenblasen in der Höhe schwebte und sie von dort aus beobachtete, "Kannst dich auf meinen Dienst verlassen, Bro, ich mach das spielend mit der linken Hand!"
Die Fähigkeiten des von Hawk Moth beseelten Jungen - wie dessen Titel schon vermuten lässt - bezieht sich darauf, unzerstörbare Seifenblasen in allen möglichen Formen und Farben zu erschaffen. Diese Kraft erwies sich als nahezu ideal dafür, die Fahrzeuge auf dem viel beschäftigten Verkehrsviertel mit den aus Seifenlauge bestehenden Pustekugeln vorübergehend in den Himmel zu verfrachten.
Mit verdutzter Miene brach Hawk Moth die Kommunikationsverbindung ab. "Reden alle Jugendlichen heutzuge mit diesem forschen Dialekt?", erkundigte er sich irritiert bei Mayura, welche nur amüsiert kichern konnte.
"Anscheinend gehst du eher selten unter die Leute, Flattermann."
Fuegro schien inzwischen am Limit seiner Kräfte angelangt zu sein, und sank taumelnd auf die Knie. Seine protzige, vergoldete Gürtelschnalle leuchtete dabei schwach auf, und er jaulte ein geschlagenes "Fuegro hat versagt, er verlässt die Manege!", bevor sich der Feuerspucker in einer weißen Rauchwolke auflöste, begleitet von einem puffartigen Geräusch.
"Hat er sich zurückgezogen?", fragte Hawk Moth seine Partnerin, welche zustimmend nickte.
"Ich hatte schon ein paar Mal mit Circus Master und seinen Tricks zu tun gehabt, und sobald diese Rauchwolke erscheint und die Phantome so etwas sagen wie "die Manege verlassen", tauchen sie nicht mehr auf."
"Das bedeutet, wir haben auch diesmal gesiegt", freute sich Hawk Moth und lächelte triumphrierend auf, allerdings nagte Mayura zweifelnd an ihrer Unterlippe. "Stimmt etwas nicht, mein schöner Pfau?"
"Normalerweise befindet sich Circus Master immer in der Nähe seiner Phantomartisten", grübelte die Besitzerin des Pfauen-Miraculous und strich sich bedächtig eine ihrer kurzen Haarsträhnen hinters Ohr, "Irgendetwas stimmt bei dieser Aktion nicht... Ich glaube, die Randale durch den Feuerspucker diente nur als Ablenkung."
"Ablenkung?", wiederholte Hawk Moth mit wachsender Unruhe im Unterton, "Willst du damit etwa sagen, dass dieser Circus Master woanders sein Unwesen treibt?"
"Ich bin mir nicht sicher", gestand Mayura und fasste einen Entschluss, "Aber mein Gefühl sagt mir, dass an hinter dieser Sache mehr steckt. Wir sollten lieber nochmal in der Gegend patroullieren, nur um sicher zu gehen."
"Ich vertraue deinem Gespür, meine liebe Mayu-" Plötzlich brach Hawk Moth mitten im Satz ab und schwankte bedrohlich, als würde er jeden Moment das Gleichgewicht verlieren. "Uuh.."
"Hawk Moth?", hakte Mayura alamiert nach, zutiefst besorgt über die unerwartete Gemütsveränderumg ihres Partners. Ob ihn der Kampf dermaßen mitgenommen hatte? "Alles in Ordnung, Hawk Moth?"
"Mir ist auf einmal so schwindelig", murmelte der Mann im Schmetterlingsanzug schwach und hielt sich eine Hand an die Schläfe, bevor er mit einem kraftlosen Stöhnen nach hinten kippte. Mayura konnte ihm gerade noch rechtzeitig auffangen, indem sie reflexartig die Arme um seinen Rumpf schlang.
"Hawk Moth! Was ist mit dir los?!", fragte Mayura entsetzt, hievte ihren Parnter vorsichtig auf ihren Schoß und tastete mit einer Hand sein erwärmtes Gesicht ab - trotz der Maske konnte sie fühlen, dass es schweißnass war, "Hast du dich etwa überanstrengt?"
"Woauh, uns geht hier wohl langsam aber sicher der Saft aus", fiel auch dem in der Luft schwebenden Bubbler auf und vollführte eine senkende Armbewegung, "Ich werde lieber die Leute vom Himmel schaffen, bevor es gleich menschliches Fallobst regnet."
Wie auf Befehl flogen die in den Seifenblasen eingehüllten Einwohner und Fahrzeuge zurück auf sicheren Erdboden, wo die Gefäße dann platzten und der Bubbler anschließend zeitgleich auf seinen Füßen landete. Die dunkle Zaubermaterie löste sich von seinem Körper und verwandelte ihn in sein ursprüngliches Ich zurück: Einen lang gebauten Teenager mit Brillengestell, roter Kappe, Kopfhörern und einem XL-T-Shirt mit Logo, der sich verwirrt am Kopf kratzte, als er zur Besinnung kam. "Alter, was geht 'n hier ab?"
Hawk Moth, der noch immer frierend in Mayuras Armen lag, stützte sich mit der Hand auf den Boden und setzte sich indessen benommen auf. Die andere Hand hatte er schützend um sein die Schmetterlings-Brosche gelegt. "Mein Miraculous", krächzte er gepresst und kniff die Augen zusammen, "Als ich mich verwandelt habe, war das anders als gestern... Viel... Unangenehmer..."
"Ist dein Miraculous etwa beschädigt?", flüsterte Mayura erschrocken und überprüfte die Brosche am Kragen ihres Partners, deren violettes Juwel leicht aufflimmerte, "Nein, sonst hätte es dir physischen Schmerzen übertragen."
"Mir tut nichts weh", versicherte Hawk Moth ihr und blinzelte träge, "Es fühlt sich nur so an, als hätte man mir Energie abgezapft..."
Da ging der Heldin im Pfauengewand ein Licht auf. "Hast du deinen Kwami denn gefüttert?", erkundigte sie sich mit hochgezogener Augenbraue bei ihm.
Ratlos blickte Hawk Moth seine Partnerin an. "Diese Wesen benötigen Nahrung?", fragte er irritiert und hob die Mundwinkel zu einem verlegenen Lächeln, als Mayura ihn verständnislos anstarrte.
"Natürlich müssen sie das!", erwiderte sie heftiger als gewollt. Der Gedanke, dass der arme kleine Nooroo in seiner Brosche bestimmt schon am Verhungern war, verärgerte sie ein wenig. "Nur, weil sie Kwamis heißen, bedeutet das nicht, dass sie deshalb zwingend Geister sind! Sie sind Lebewesen wie wir, die Gefühle haben und Essen brauchen, um ihre Reserven aufzufüllen. Wenn du dich nämlich mit deinem Miraculous verwandelst, ohne deinen Kwami vorher zu füttern, dann schwächt es deine Kräfte erheblich und zehrt dir deine Energie ab."
Schuldbewusst biss sich Hawk Moth auf die Lippen. "Nooroo hätte mir doch einfach sagen können, dass er hungrig ist..."
"Wahrscheinlich hattest du in deinem Privatleben viel Stress in letzter Zeit und er wollte dir nicht zur Last fallen", schätzte Mayura und erinnerte sich bedrückt an die stets höfliche Zurückhaltung des fliederfarbenen Kwamis.
"Ich bin für diese Aufgabe wirklich mehr als unbrauchbar", seufzte Hawk Moth reumütig und mit mutlosem Blick.
Um ihm Trost zu spenden, fasste Mayura ihrem Partner sachte bei den Schultern. "Lass nicht den Kopf hängen", munterte sie ihn mit einem versöhnlichen Lächeln auf, "Jeder macht einmal Fehler. Wären wir in jeder Hinsicht perfekt, würden wir doch kaum etwas im Leben dazulernen, oder?" Aus dem Fanphone ihres Fächers - welches auch zur Aufbewahrung von kleineren Gegenständen fungieren konnte - holte sie den Beutel mit den Hülsenfrüchten hervor, in welchem sie Duusus liebstes Nahrungsmittel stets mit sich herumtrug. "Such dir ein Versteck, detransformiere dich und gib Nooroo ein paar von denen zu essen", riet sie ihm und holte eine Handvoll Kürbiskernsamen aus dem Beutel, welche sie Hawk Moth bedachtsam überreichte, "Sobald der Kleine satt ist, kannst du dich wieder ohne Probleme in Hawk Moth verwandeln. Merke dir für zukünftige Missionen einfach, deinem Kwami regelmäßig zu füttern, ja?"
"Kommst du denn eine Weile lang ohne mich zurecht?", fragte der Besitzer des Schmetterlings-Miraculous sie ächzend, während er sich vorsichtig auf die Beine zu stellen versuchte. Sorge kennzeichnete seinen Gesichtsausdruck.
"Bien sûr", versicherte Mayura ihm sanftmütiger und erhob sich mit ihm vom Asphalt, "Ich werde in der Zwischenzeit die Gegend nach weiteren Schergen des Phönixkönigs durchforsten. Möglicherweise befinden sie sich irgendwo in der Nähe und treiben dort ihr Unwesen..."
"Boah, krass ey! Was geht 'n dort bitte ab?"
Der deakumatisierte Bubbler hatte indessen sein Handy hervorgezückt und gaffte mit aufgeklappten Kiefer darauf. Seine ungläubige Reaktion weckte Mayuras Aufmerksamkeit, und sie schritt interessiert auf ihn zu.
"Gibt es etwas, dass ich für dich tun kann?", erkundigte sie sich bei dem Jungen, welcher sie verdattert anblinzelte.
"Nee danke, ähm... Vogellady. Bei mir ist alles gut, aber in meiner Schule scheint irgendwas Heftiges am Laufen zu sein."
"Wie lautet dein Name?"
"Nino. Nino Lahiffe."
"Zeigst du mir mal bitte kurz dein Handy, Nino?"
Der Brillenträger bejahte und hielt ihr das Smartphone hin, auf dessen Bildschirm ein Chat mit einer gewissen Alya angezeigt wurde. Erschreckende Schnappschüsse von einer chaotischen Clownbande, die verängstigte Schüler und Lehrer durchs Schulgebäude hetzte, hatte jenes Mädchen an Nino gesendet.
Ich wusste, dass noch mehr hinter diesem Coup steckt!, dachte sich die Heldin im Pfauengewand und rümpfte entzürnt die Nase. Den verwackelten Fotografien nach zu vermuten, steckte eindeutig Circus Master hinter diesem geschmacklosen Affentheater.
"Wo liegt diese Schule, Nino?", fragte sie nun mit ernster Stimme an den Jungen gewandt.
"Gleich ein paar Straßen weiter, vorm Tour Eiffel", erklärte Nino ihr hastig, da er wohl an ihrem Tonfall erkannt hatte, das es sich um einen Notfall handelte, "Das Collège Françoise Dupont würden Sie nicht übersehen!"
"Bien. Danke für die Info."
Mayura wandte sich zum Gehen um, wurde aber von Nino davon abgehalten.
"Aber meine Freunde sind in Gefahr!", beteuerte der Brillenträger mit angstvoll geweiteten Augen, "Kann ich nicht mitkommen und irgendwie helfen?"
"Das wäre viel zu gefährlich für dich", verwarf Mayura den Vorschlag auf der Stelle, "Obwohl ich deine Courage zu Schätzen weiß. Ruf am besten die Polizei an, und wenn möglich auch die Rettungskräfte. Bleib solange hier, bis sich die Lage an deiner Schule beruhigt hat. Ich verspreche dir, es wird alles wieder gut werden!"
Und schon schwang sich die Trägerin des Pfauen-Miraculous davon, um einer terrorisierten Lehreinrichtung aus der Patsche zu helfen, ohne Ninos verwirrte Frage abzuwarten, die er ihr hinterherrief.
"Und wie bin ich eigentlich hierhergekommen?!"

LE PAON ET LE PAPILLON - Un Amour Complexe 🐦💘🐛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt