KAPITEL 15 - Ein ganz normaler Junge

193 12 1
                                    

"...und dann hat mich Cat Noir bei meinem Sturz vom Eiffelturm gerettet!", beenderte Marinette ihre Erzählung und zog die Decke um ihre Schultern enger an sich heran, den blauen Blick verträumt auf den Boden gerichtet, "Er war unglaublich mutig und selbstlos, und trug trotzdem immer einen Witz auf den Lippen."
"Das hätte ich liebend gerne miterlebt", seufzte Alya mit aufglimmender Enttäuschung und ließ die Schultern hängen, während sie ihre auf der Bank in der Aula sitzende beste Freundin in eine halbe Umarmung zog, "Nur leider habe ich zu diesem Zeitpunkt nach Nino gesucht, als die Massenpanik ausgebrochen ist. Als ich ihn auf der Avenue de Suffren wiedergefunden habe - keine Ahnung, was du dort verloren hattest - aber als wir zurückgekommen sind, waren die Clowns bereits verschwunden."
"Echt krass, was diese Woche alles abgeht", murmelte Nino kopfschüttelnd und rückte sich die rote Kappe zurecht, die Miene ungewohnt sorgenvoll und unsicher, "Zuerst dieser Brand beim Krankenhaus gestern und heute diese Terrorclowns... Da bekommt man es glatt mit der Angst zu tun!"
Adrien lauschte der Konversation der Schulkameraden mit großen Bedenken, seit er sich neben Marinette auf der Bank niedergelassen hatte. Diese erschütternden Ereignisse, allesamt arrangiert im Namen des mysteriösen, grausamen Phönixkönigs, stellten tatsächlich ein riesiges Rätsel und eine potentielle Gefahr dar, und sie verwirrten den Jungen mindestens genausosehr wie der Siegelring an seiner rechter Hand, welcher seine tiefgründige, schwarze Farbe sowie die Fähigkeit der Zerstörung verloren zu haben schien und nun wie ein gewöhnliches Schmuckstück unauffällig an seinem Ringfinger prangte. Nicht zu vergessen schlummerte nun ein winziges, magisches Wesen im Inneren seiner Weste, welches einen ungesunden Appetit auf jegliche Käsesorten besaß.
Und dass ich außerdem als ein waschechter Superheld gegen das Böse kämpfen muss, kommt auch völlig überraschend für mich, fügte Adrien in Stillen hinzu und ballte die Hand, an welcher er seinen Ring mit den Zauberkräften trug, mit eiserner Entschlossenheit zur Faust, Egal, was passiert, der Phönixkönig und seine Gefolgsleute können von heute an sich warm anziehen!
"Wir sollten uns alle dennoch nicht einschüchtern lassen", erwiderte der Blonde deshalb ermutigend und sprach somit seine Gedanken vor seinen neuen Bekannten frei aus, was ihn selbst ein wenig verwunderte. Wie leicht es ihm doch plötzlich fiel, unverblümt vor anderen zu sprechen, wenn man Minuten zuvor im Gefecht gegen mehrere Rebellen verschlagene Sprüche und Wortwitze reißen konnte! "Immerhin haben Hawk Moth, Mayura und dieser eine, neue Superheld doch geschworen, uns vor diesen Schurken zu beschützen, was sie uns heute wiedermal demonstriert haben."
Die drei Freunde blickten ihn blinzelnd - teilweise sogar verblüfft - an, und Marinette nickte beipflichtend. "Das stimmt. Wir brauchen uns nicht mehr zu fürchten!"
Das vor ein paar Stunden noch so verängstigte Bäckermädchen mit solch einer Bestimmtheit reden zu hören, erleichterte Adrien und zauberte ihm ein Lächeln auf die Lippen. Da kreuzten sich erneut ihre Blicke, und der Blonde konnte sich nur verlegen den Nacken reiben. Mein Selbstbewusstsein ihr gegenüber hat wohl das Katzenkostüm verschluckt...
"Du warst unfassbar mutig, als du mich vor diesen Clowns und den Gepardentypen beschützen wolltest", staunte die Dunkelhaarige abermals und lächelte ihn mit unsagbarer Dankbarkeit an, "Heute wurde mir das Leben von zwei coolen Jungs gerettet!"
Adriens Herz machte einen übermütigen Saltosprung. Wenn sie nur wüsste, dass es sich bei den coolen Jungs, von denen sie so schwärmte, um ein und diesselbe Person handelte! Die Schweigepflicht, an welche seine Teamkollegin Mayura ihn vehement erinnert hatte, ließ seine Freude jedoch nur halb so sehr schwinden wie die Tatsache, dass Marinette auf andere Art und Weise ansah als Cat Noir. Es fehlte dieser verträumte, sprachlose Gesichtsausdruck, wenn sie mit ihm als Adrien interagierte.
Eines Tages, sobald Paris wieder sicher ist, dann werde ich es ihr sagen.
"Ich muss dringend Nachforschungen über diese Helden betreiben!", beschloss die vor Eifer brodelnde Alya inzwischen mit einem Fingerschnipsen und schenkte nun den Bildschirm ihres Handys ihre gesamte Aufmerksamkeit, "Ich werde die ganze Nacht im Internet surfen, damit ich an Informationen über die neuen Verteidiger unserer Stadt komme!"
"Ich kann dir dabei helfen, wenn du magst", meldete sich Marinette freiwillig und winkte den beiden Jungs noch zu, bevor sie sich mitsamt ihrer besten Freundin aufmachte, um das Schulgebäude zu verlassen, "Wir sehen uns dann morgen, Nino! Und vielen Dank nochmal für alles, Adrien!"
"Jederzeit gern, kommt gut nach Hause!", rief der Blonde ihr noch sehnsüchtig nach und schaute ihr so lange hinterher, bis sie aus seinem Blickfeld verschwand.
"Alter", wurde Adrien dann von Nino aus der Starre gerissen, welcher sich ungewöhnlich emotional zeigte, "Ich bin ehrlich verdammt froh darüber, dass dir in dem ganzen Chaos nichts passiert ist."
Frohgesonnen lächelnd betrachtete der Blonde den musikbegeisterten, stets frei seine eigene Meinung äußernden Gleichaltrigen, den er schon nach kurzer Zeit in sein Herz geschlossen hatte. "Ich bin auch erleichtert darüber, dass wir alle heil aus dieser Sache herausgekommen sind. Das nächste Mal begegnen wir uns hoffentlich nicht bei so einem Tumult."
"Auf alle Fälle, mein Bester!", stimmte Nino ihm nun aufgeheitert zu, legte freundschaftlich einen Arm um den Jungen und hielt ihm die Faust hin, "Wir sind ab jetzt Kumpels, okay?"
Adrien tat nichts lieber, als das Angebot einer Freundschaft anzunehmen und seine eigene Faust gegen die des anderen Jungen zu stoßen. "Alles klar, Kumpel."
Die beiden Jugendlichen lachten unbeschwert, und der Blonde wurde auf einmal von einem Gefühl der Leichtheit überwältigt.
Ich hätte nie gedacht, dass es so schön sein könnte, einen echten Freund zu haben.
Während Adrien und Nino sich gegenseitig ihre Handynummern austauschten, tapste eine ziemlich verunsicherte Sabrina hinter einer ziemlich verstimmten Chloé hinterher, welche hochroten Kopfes mit ausfallenden Armgestiken umherschmiss.
"Ich werde Papa sofort über diese unangebrachten Vorkommnisse informieren!", verkündete die arrogante Blondine ihrer einzigen, treuen Zuhörerin tobend, "Einfach eine Horde an affigen Zirkusclowns frei herumlaufen lassen, wodurch ich meinen Friseurbesuch verpassen musste! Lächerlich ist das! Äußerst lächerlich!"
"Absolut", stimmte die rothaarige Brillenträgerin im Karo-Pullunder ihrer herrschsüchtigen Freundin euphorisch zu und kraulte dabei die schwarze Katze Noire am Kopf, welche bei der Liebkosung wohlwollend miaute. "Und ich werde meinen Vater darum bitten, sich dem Fall vom Phönixkönig weiterhin anzunehmen!"
Chloé wirbelte in einer entzürnten Drehung zu Sabrina um, welche bei deren lautstarken Worten verängstigt zusammenzuckte.
"Es geht hier um mein Image, Sabri! Wen interessieren diese beiden Vollpfosten schon?!"
Hausmeister Wong, welcher in ihrer Nähe gerade mit einem Besen die Konfetti-Häufchen zusammenkehrte, murmelte leise in sich hinein: "Denjenigen, der hier aufräumen muss, zum Beispiel."
Nachdem Nino sowie Chloé mitsamt Sabrina sich von Adrien verabschiedeten und den Weg nach Hause antraten, wurde der Blonde von einer ihm vertrauten Stimme überrascht, die ihn von hinten neugierig ansprach: "Irgendetwas in mir hatte schon vermutet, dass es dich hierherführen würde."
Adrien wandte sich um und blickte erfreut in das ihn freundlich anlächelnde Gesicht seiner Lebensretterin. "Oh, Nathalie!", stellte er erstaunt fest, "Ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie hier antreffen würde..."
Der zartorange, frühe Abendhimmel zeichnete sich von ihrem ordentlich zu einem Dutt gebundenen, dunklen Haar ab wie eine Vogelfeder hinter einem Lagerfeuer. "Ein Freund von mir hatte mich darüber informiert, dass du dich hier aufhälst", erklärte Nathalie und warf einen beiläufigen Seitenblick auf den mies gelaunten Hausmeister, über dessen Gesicht sich flüchtig ein Schmunzeln stahl, "Dein Vater hatte dich heute nämlich verzweifelt gesucht, da du ohne seine Erlaubnis eure Wohnung verlassen haben sollst. Er war ganz krank vor Sorge, ich konnte ihn kaum davon abbringen, den gesamten Bezirk nach dir abzusuchen."
Diese Nachricht versetzte Adrien natürlich einen Schlag in die Magengrube, und seine unbedarfte Stimmung dämmerte.
"Bitte erzählen Sie ihm nicht, dass ich hierhergekommen bin!", flehte er seine Lebensretterin nun inständig an, "Es wird einen Riesenkrach geben, wenn ich ihm vorher nicht in Ruhe erzählen kann, warum ich eigentlich hinausgegangen bin!"
Nathalie sah auf, sodass sie über ihn hinwegschaute. "Ich befürchte, dafür könnte es bereits zu spät sein."
Adrien folgte ihrem Blick und seine Hoffnungen auf ein friedliches Gespräch mit seinem Elternteil zerfielen zu Staub, als er genau jenen hochgewachsenen, breitschultrigen Mann im hellgrauen Maßanzug unmittelbar hinter sich stehend entdeckte, in Begleitung sein wie üblich schweigsamer Bodyguard. Der eisige, vernichtende Gesichtsausdruck des Blonden und die vor der Brust verschränkten Arme wiesen unweigerlich darauf hin, dass nach ihrer Rückkehr in die Wohnung eine ganze Ladung an Ärger auf ihn wartete.
Und den hatte er sich nur dank seiner unbezwingbaren Gutmütigkeit eingehandelt.

LE PAON ET LE PAPILLON - Un Amour Complexe 🐦💘🐛Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt