Kapitel 1 - Vergangenheit und Gegenwart

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Ich verlor völlig das Zeitgefühl, während ich mit immernoch geschlossenen Augen begonnen hatte, durch die Vergangenheit zu reisen. Die vielen schönen Erinnerungen an all die Dinge, die mir irgendwann einmal Freude bereitet hatten, schafften es mich zumindest innerlich zum lächeln zu bringen. Hier, in meinen Erinnerungen, fühlte ich mich wohl und gleichzeitig zerfraß mich der Gedanke daran, dass dieses wunderschöne Gefühl sofort wieder verschwinden würde sobald ich die Augen öffnete. Und doch wollte ich nicht gehen, wäre am liebsten für immer irgendwo in der Vergangenheit geblieben, in der ich noch der festen Überzeugung gewesen war die Welt erobern zu können. Die erste Auszeichnung der Band, dieses unglaubliche Gefühl von Erfolg, welches sich damals so intensiv angefühlt hatte und mittlerweile war es derart verblasst, dass ich es nicht einmal mehr in meiner Erinnerung völlig rekonstruieren konnte. Es war, als hätte sich ein großer Schatten über meine Tagträume gelegt.
"Samu, Ich bin wieder da!", erfüllte auf einmal eine bekannte Stimme die Wohnung und ließ mich aufschrecken. Ich schlug hart auf dem Boden der Realität auf und konnte nichts dagegen tun, dass die vielen alten Bilder langsam verschwanden und darauf warteten, dass ich sie bald wieder abrufen würde. Zusammen mit meinen Erinnerungen war auch diese Wärme wenige Sekunden später völlig weg, als hätte es sie nie gegeben. Schnell wischte ich mit dem Handrücken über meine Wange, denn ohne dass ich es wirklich registriert hatte, hatten sich ein paar einsame Tränen ihren Weg über meine Haut gebahnt. Und ich wusste, das wollte sie nicht sehen. Es genüge wohl schon, wenn ihr gleich die Weinflasche ins Auge springen würde und mein Anblick dazu war vermutlich auch nicht der schönste. Ich versuchte zu lächeln als sie sich mir näherte und es sah ganz danach aus, dass dieser Versuch erfolgreich war, denn ihre Mundwinkel hoben sich ebenfalls.
"Gemütlich hast du es hier.", kommentierte sie noch, doch dann fiel ihr Blick auf den Rest hier im Zimmer und so schnell wie es eben noch gekommen war, war ihr Lächeln auch schon einer ernsten Miene gewichen. 
Natürlich wusste meine Freundin um meinen Gemütszustand bescheid, wenn auch vielleicht nicht in dem Umfang, der wirklich der Realität entsprach. Aber sie wusste wie es mir mit meinem Job ging, jedoch wollte sie meistens nichts davon hören. Also riss ich mich jedes Mal wieder aufs Neue zusammen sobald sie in der Nähe war, aber manchmal - viel öfter als es mir lieb war - kam es vor, dass sie mich durchschaute und genau das schien gerade eben auch der Fall zu sein, denn sie sah mich vorwurfsvoll an.
„Samu…“, meinte sie leise und klang dabei um einiges besorgter als ihr Blick es hätte vermuten lassen. Seufzend setzte sie sich neben mich auf unser Sofa und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Ihre Hand legte sie sanft an meine Wange und strich leicht darüber – eine Berührung die mir in diesem Moment unfassbar gut tat, denn jetzt wusste ich wirklich, dass ich nicht alleine war. Wenn ich auch gerade nicht mit ihr darüber sprach so genügte mir das schon. Und der zarte Kuss den sie mir daraufhin auf meine Lippen, die noch ein wenig salzig schmecken mussten hauchte, erwärmte zumindest für einen Moment wieder mein Herz. Wie ein kleiner hoffnungsvoller Funke der zwar kurz aufleuchtete, aber sofort gemeinsam mit ihren Lippen wieder verschwand. Sie sah auf die leere Flasche und seufzte erneut.
„Die erste?“, fragte sie mich bloß und schon alleine bei dem Ton ihrer Stimme bekam ich ein schlechtes Gewissen, nickte aber. Sie stand wieder auf und entfernte die Flasche aus meinem Blickfeld und obwohl ich eigentlich nichts großartiges gemacht hatte fühlte ich mich als könnte ich jeden Moment einschlafen.
"Tut mir leid.“, murmelte ich ziemlich kraftlos, nicht sicher ob sie mich gehört hatte oder nicht und sank mit geschlossenen Augen wieder zurück in die Sofakissen. Meinen Arm legte ich über meine Stirn, atmete tief aus und im nächsten Moment hörte ich bereits ihre Schritte, die sich mir leise näherten.
„Das kann doch so nicht mehr weitergehen..“, sagte sie und ich wusste ganz genau worauf sie hinaus wollte. 
Das Thema hatten wir bereits mehrere Male gehabt. Sie wollte, dass ich zwar weiter meinen Job machte, aber hielt es für eine gute Idee wenn ich wenigstens ab und zu in eine Art Therapie gehen würde. Tatsächlich hatte ich mich schon öfter dazu breitschlagen lassen, aber immer wieder auf's neue fühlte ich mich komisch dabei. Auf einem Stuhl oder einer Bank, mit einem völlig fremden Menschen mir gegenüber, der mir die persönlichsten Fragen stellte die man sich nur ausdenken konnte. 
Wie ich es gehasst hatte, mich wie bei einem Verhör zu fühlen. Da war es schon schwierig genug in offiziellen Interviews mein Privatleben rauszuhalten und bloß kein Wort über irgendwas zu verlieren nur damit sie am Ende doch weiterbohrten, und jetzt sollte ich das alles freiwillig jemandem erzählen? Auf gar keinen Fall!
„Nein!“, rief ich also und saß im nächsten Moment schon wieder aufrecht auf dem Sofa. Ihre Hände legten sich sanft auf meine Brust, doch ich wollte mich nicht wieder hinlegen. Egal wie kraftlos ich mich bis vor ein paar Sekunden noch gefühlt hatte, jetzt schien es als würde sich der Alkohol langsam auf andere Weise bemerkbar machen.
„Ich hab dir doch schon tausendmal gesagt, dass ich das nicht kann.“, wurde ich lauter und klang dabei zu allem Überfluss auch noch wie ein verzweifelter Alkoholiker. Ganz wundervoll.
„Und wenn du es mal bei einer Frau versuchst?“, fragte sie, als hätte sie meine letzten Worte gar nicht gehört. Bei einer Frau? Na klar. Das war ja wohl noch schlimmer als es die Tatsache, dass sie mich schon wieder zu einer Therapie schicken wollte sowieso war. Als ob ich mich wohler fühlen würde wenn mir eine fremde Frau gegenüber saß, die am Ende noch ganz genau wusste wer ich war und mich gleich in den ersten paar Minuten um ein Autogramm fragen würde oder so ein Blödsinn. Schon allein bei dem Gedanke daran drehte sich mir der Magen um, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, von der Presse gesehen zu werden wie ich aus einer solchen Praxis heraus spazierte.

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