Kapitel 25 - Über Nacht

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Ein paar Minuten später kam sie umgezogen und zusammen mit einer duftenden Wolke wieder aus dem Badezimmer. Ihr ganzes Gesicht war nun rot, nicht bloß die Wangen wie vorhin.
Die Haare hatte sie in einem ziemlich unordentlichen Dutt gebunden und der Anblick von diesem Gesamtbild war einfach süß.. Und schön.
Es wirkte normal und gleichzeitig einzigartig, sie so zu sehen.
"Du bist ja noch immer da", stellte sie mit einem Lächeln fest. Tatsächlich hatte ich mich kaum bewegt und saß noch immer auf ihrem Bett.
Ich bemerkte wohl gar nicht richtig wie die letzten Minuten verstrichen waren.
Zu sehr war ich in meinen eigenen Gedanken versunken, die ohnehin einzig und allein an Emilia hingen.
Aus irgendeinem Grund hatte keiner dieser Gedanken damit zu tun, die Badezimmertüre zu testen.
Dafür war schlichtweg noch nicht der richtige Zeitpunkt, auch wenn ich für gewöhnlich wohl kaum gezögert hätte. Das hier war allerdings nicht gewöhnlich.
"Es ist eben gemütlich", antwortete ich schließlich und bekam ein Nicken.
"Stimmt. Weißt du, worüber ich nachgedacht habe?", fragte sie, während sie den Knoten in ihren Haaren löste und sich neben mich fallen ließ.
Ich musste schmunzeln und schloss für einen Moment die Augen, um mich ganz von ihrem Duft einhüllen zu lassen.
"Zufälligerweise kann ich noch nicht Gedanken lesen."
"Meine Therapie", erklärte sie nun wieder mit ernstem Blick und sofort hatte sie wieder meine volle Aufmerksamkeit.
Oder besser gesagt konzentrierte ich mich nun auf den Inhalt ihrer Worte anstatt darauf, wie sie roch und aussah.
"Was ist damit?"
"Naja, ich.. Ich weiß nicht ob ich sie weiter machen soll. Irgendwie gefällt mir der Gedanke wieder hinzugehen überhaupt nicht."
Und wieder mal sprach ich das erste aus was mir in den Sinn kam.
"Dann lass es bleiben."
Ihr Blick war fragend, gleichzeitig aber auch etwas überrascht.
"Es zwingt dich niemand und du möchtest nicht mehr. Also was gibt es zu überlegen?"
Ja.
Was gab es eigentlich wirklich zu überlegen?
Für mich an ihrer Stelle hätte sich die Sache mit dem Gedanken, dass ich nicht mehr hin wollte bereits erledigt.
“So einfach ist das doch nicht..”, murmelte sie leise und machte damit mal wieder deutlich, wie unterschiedlich wir beide in manchen Bereichen waren.
“Warum nicht?”, fragte ich nach.
Vielleicht kamen wir ja auf einen Mittelweg - eine Lösung die irgendwo zwischen meiner Spontanität und ihrer Nachdenklichkeit lag.
“Na.. Ich kann doch nicht einfach aus einer Laune heraus damit aufhören. Ich meine.. Die Therapie hat mich schon eine ganze Weile lang begleitet. Und mir geholfen. Was, wenn es wieder bergab geht sobald ich damit aufhöre?”, dachte sie - zum Glück - laut nach. Das waren nun wirklich Dinge, die man nicht einfach im Stillen mit sich selbst ausmachen sollte.
Auch wenn sie das anscheinend schon viel zu lange so gehandhabt hatte.
“Das mag sein. Aber du hast dich in der Zeit doch auch weiter entwickelt. Oder würdest du sagen, du bist immer noch genau da wo du angefangen hast?”
Ich musste einfach fragen.
Einerseits interessierte es mich persönlich und andererseits wollte ich, dass es Emilia selbst bewusst wurde. Sie war nicht mehr dort, wo wir uns vor einem halben Jahr begegnet waren.
Eindeutig nicht mehr. Das würde wohl jeder bestätigen können, der es mitbekommen hätte. Sie schüttelte den Kopf.
“Nein, definitiv nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass das nicht primär an der Therapie liegt.”
“Sondern?”, fragte ich sofort weiter. Ich war neugierig, das wusste ich.
Doch dieses Gespräch hatte gerade so plötzlich angefangen und einen ziemlich interessanten Weg eingeschlagen.
Ein wenig verlegen senkte sie ihren Blick, bevor sie mich schmunzelnd wieder ansah.
“Ich glaube du hast dazu einen sehr großen Teil beigetragen. Mit allem.”
“Besser als die Therapie?”
Sie nickte und irgendwie machte mich das stolz.
Vielleicht gab es tollere Dinge auf die man stolz sein konnte, doch mir genügte es völlig, dass diese wundervolle Frau die Zeit mit mir für effektiver hielt als ihre Therapie. 

Ich konnte nicht anders, als ihre Lippen für einen kurzen Moment mit meinen zu verschließen. Sie lächelte zufrieden.
"Viel besser. Sowas hat sie nämlich nicht im Angebot."
"Im Angebot hätte ich es schon länger gehabt", hörte ich mich selbst sagen und kaum schaltete sich mein Gehirn dazu, folgte ein etwas ratloses "Äh.. Also..", was mir auch nicht unbedingt weiter half.
Ich hoffte nur, sie würde auf diese Bemerkung nicht weiter eingehen.
"Ach ja? Wie lange schon?"
Natürlich ging sie darauf ein. Hätte ich an ihrer Stelle ebenso getan.
Doch ich konnte auf ihre Frage keine vernünftige Antwort geben - ich wusste es selbst nicht.
Konnte keinen fixen Zeitpunkt festmachen.
Daher zuckte ich bloß etwas ratlos mit den Schultern, als mir im nächsten Moment doch noch eine brauchbare Antwort in den Sinn kam.
"Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich zu Silvester schon gerne eine Neujahrskuss gehabt hätte."
Darüber konnten wir allerdings zu einem anderen Zeitpunkt noch sprechen, vorzugsweise wenn ich in der Lage war vernünftig zu antworten.
Ich lenkte daher das Thema wieder zurück.
"Aber darum geht es gerade ja nicht. Wenn ich du wäre, dann würde ich einfach nicht mehr hingehen. Für dich ist das aber nicht die richtige Lösung. Was hälst du davon wenn du zumindest noch ein mal eine Stunde nimmst - dann könnt ihr alles besprechen und du kannst danach noch immer entscheiden, was du machen möchtest."
Eigentlich hatte ich gar nicht an einen so ausführlichen Ratschlag gedacht, doch kaum ausgesprochen kam er mir selbst gar nicht so schlecht vor.
Auch Emilia nickte.
"Das klingt gut. Ich denke so kann ich es machen."
Ihr Blick fixierte mich und ließ mich eine ganze Weile nicht los.
"Wie machst du das?", fragte sie mich dann plötzlich und stiftete damit ordentlich Verwirrung in meinem Gehirn.
Ich musste mir unbedingt merken, ihr irgendwann den Titel 'Miss-spontane-verwirrende-Fragen' zu geben. Sie hatte schließlich schon oft Fragen aus genau dieser Kategorie gestellt.
"Wie mache ich was?"
Die Fragezeichen standen mir wohl deutlich auf die Stirn geschrieben.
"Spontan sein. Ich kann das einfach nicht."
"Das weiß ich nicht. So bin ich eben. Allerdings ist das auch nicht immer passend", zuckte ich mit den Schultern.
Wenn ich Glück hatte dann erkannte ich schon im Vorhinein, was für ein Verhalten in einer bestimmten Situation angebracht war.
Und wenn ich kein Glück hatte.. Nun ja, dann musste man schließlich auch irgendwie damit zurecht kommen.
"Kann man.. Also, kann man sowas lernen?"
Schon war sie wieder süß.
Wie sollte ich das alles denn bitte auf Dauer aushalten?
Leicht schmunzelnd schüttelte ich den Kopf.
"Ich glaube nicht. Das kommt irgendwann von selbst, wenn du dich wohl fühlst. Ohne dass du darüber nachdenkst - genau darum geht's ja."
Emilia nickte und sah dabei aus, als würde sie sich gerade in ihrem Kopf ein paar Notizen machen.
"Macht Sinn.."
"Versuch nicht es zu erzwingen. Und wenn dir eine spontane Idee kommt, dann tu es einfach. Nachdenken kannst du danach noch immer", erklärte ich trotzdem weiter und bekam wieder ein Nicken.
Allerdings gähnte sie im nächsten Moment erneut und rieb sich kurz über die Augen.
Ein Zeichen, langsam das Gespräch zu beenden.
Auch wenn ich nicht unbedingt wieder zurück ins Wohnzimmer wollte. Ich räusperte mich, küsste ihre noch immer leicht rosige Wange und stand anschließend schnell auf.
Sonst wäre die Gefahr, einfach bei ihr zu bleiben viel zu groß.
"Na dann mal gute Nacht."
"Hmm.. Gute Nacht", antwortete sie etwas zögerlich und ließ sich nach hinten fallen. Kurz bevor ich ganz den Raum verlassen hatte hörte ich nochmal leise ihre Stimme.
"Und.. Danke."
Ich lächelte in mich hinein und wollte gerade die Türe hinter mir schließen, als Susi noch schnell an meinen Beinen vorbei hinein flitzte.
Gut, dann ließ ich eben einen Spalt weit offen.
Ein kleines Nachtlager auf dem Sofa war schnell zurecht gemacht und tatsächlich musste ich zugeben, dass auch ich mittlerweile ziemlich müde war.
Normalerweise trug ich auch im Winter nichts außer Boxershorts und Socken zum schlafen doch heute ließ ich zusätzlich noch das Shirt an, welches ich unter dem Pulli hatte.
Eigentlich bräuchte ich auch wärmere Socken, denn ohne schlief es sich bei diesen Temperaturen wirklich nicht so gut.
Aber es würde schon gehen, dachte ich noch als ich mich in die kuschelige Decke wickelte.
Ja.
Man konnte eindeutig sagen, dass heute ein sehr, sehr  guter Tag war.
Zufrieden schloss ich die Augen und hatte kaum mehr Zeit einen Gedanken zu fassen bevor ich eingeschlafen war. 

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