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Alles zersprang, als die Zeit scheinbar stehen blieb und jedes Geräusch, das Getöse der Verzweiflung, in sich aufzusaugen schien. Nur der Laut der Waffe echote tausendfach wieder. Um dich herum floss alles zäh wie Teer, während du von der Heftigkeit des Schusses stolpertest. Eine halbe Ewigkeit fielst du ins seichte Wasser. Du hörtest deinen Herzschlag, rochst das beißende Schießpulver... die Tragik eines Momentes von der Länge eines Augenaufschlags…

„Du, Marco?“
„Was ist los, Missy?“, fragte der Blondschopf und sah von der Liste mit der wöchentlichen Inventur auf. Whitebeards erstem Kommandeur unterlag die Kommission der Vorräte und Waffen an Bord. Keine leichte Aufgabe, aber Marco war ein heller Kopf und meisterte dies mit einer beispiellosen Leichtigkeit.
„Sag mal, wie findest du den Neuen… diesen Ace?“, flüstertest du, als sei es ein Sakrileg über den Neuzugang an Bord zu reden.
Amüsiert ließ Marco die Zahlentafel, auf der ein wirres Gekritzel aus Nummern, Namen und Rechnungen zu sehen war, sinken: „Er gefällt dir, was?“
„Vielleicht ein wenig.“, grinstest du verlegen und kratztest dich am Hinterkopf, „Ich denke, dass er es zu etwas bringen wird.“
„So?“
„Sieh mich nicht so an, Marco!“, keiftest du mit rotem Kopf, „Ich mag ihn! Ist das nicht in Ordnung?“
Lächelnd legte Marco seinen Arm um deine Schulter und gab dir einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn: „Missy, du bist wie eine Schwester… was immer dich glücklich macht, ist in Ordnung.“

Die Kugel zerriss die Stille, deine Gedanken, das siechende Schleichen des Augenblicks und drang durch Marcos Brust wie ein Messer durch warme Butter. „Mi-Missy!“, ächzte er und presste seine Hand gegen die Schusswunde, aus der das Blut zu fließen begann wie die Kaskade am Fluss. Erschrocken ließ er die Eisenstange, die lustlos auf dem Wasser aufschlug, fallen und begann zu taumeln. Bitter schmeckte das Blut in seinem Mund. Es wurde immer mehr und egal wie sehr es wollte, konnte er es nicht mehr herunterschlucken. Lange war es her, dass Marco Schmerz gespürt hatte, doch nun litt er mehr denn je darunter. Marcos Pupillen brachen, als sich seine Augen nach oben drehten und er rücklings in die Brandung fiel.  
Du fühltest nichts. Weder Angst, noch Reue, noch Wut, nur eine dumpfe Leere, so als könntest du nicht glauben was du da gerade getan hattest. Zitternd entglitt dir die Waffe.

Wie gerne wärst du jetzt woanders gewesen… eine andere Zeit, einen anderen Ort… als anderer Mensch… weg… einfach nur weg von diesem Irrenhaus, in dem du selbst der größte Narr warst. Wie hattest du nur glauben können, dass du so einfach glücklich sein konntest? Alles Glück erforderte ein Opfer. So war es schon immer gewesen. Es war nicht Marco dem du die Kugel durch den Leib gejagt hattest… es war deine eigene Unschuld gewesen. Nun hattest du das erste Blut vergossen und es lag keine Befriedigung oder Glanz darin, nur die traurige Erkenntnis, dass etwas in dir verschwunden war, was nie wieder zurückkehren würde. Du hattest deinen letzten Trumpf ausgespielt und dabei die Sicherheit deiner Unantastbarkeit verloren.      

Die restliche Bande, die dem ganzen erst mit einer entsetzen Schweigsamkeit beigewohnt hatten, schrie panisch auf. Einige Männer aus Marcos Division eilten zu ihrem Kommandant, um ihn aus dem Wasser zu fischen. Kaum einer schenkte dir noch Beachtung und so konntest du ungehindert zu der Stelle waten, an der Ace regungslos auf dem Meeresboden lag. Schlaff rollte sein Kopf nach hinten und aus der Platzwunde an seiner Schläfe sickerte ungehindert das Blut. „Ace, oh Ace…!“, wimmertest du als du versuchtest seinen leblosen Körper an Land zu ziehen. Angestrengt legtest du seinen Arm über deine Schulter und umklammertest seinen Brustkorb. Deutlich konntest du die beiden gebrochenen Rippen an seiner rechten Seite fühlen. Sie hoben sich unter seiner Haut hervor wie kleine Hügel.

Kaum, dass du ihn sicher halten konntest, stürzten die ersten aus Marcos Division auf dich zu. Eine harte Faust traf dich am Kinn. Ganze Galaxien explodierten vor deinen Augen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht gingst du in die Knie, ließt Ace wieder ins Wasser rutschen. Unter wüsten Beschimpfungen zog man dich an den Haaren an den Strand und warf dich in dessen weichen Sand. Was konntest du schon einer Horde aufgebrachter, ausgewachsener Männer entgegensetzen? Nichts, außer dem flehentlichen Hoffen auf das Erwachen aus diesem Alptraum.
„Du Miststück hast unseren Kommandant erschossen!“, keifte dir ein junger Mann entgegen und packte dich am Ausschnitt deines Tops, zog dich grob nach oben und holte zum Schlag aus. Es kümmerte dich nicht, denn deine ganze Aufmerksamkeit ruhte auf Ace, der reglos im flachen Wasser lag. Jozu stand in seiner Nähe, unternahm allerdings nichts um den jungen Befehlshaber zu retten. In der Tat schien er besorgter um seinen Kameraden Marco zu sein, der genauso regungslos im Meer trieb wie die Feuerfaust. Du flehtest, betteltest und weintest, dass man ihm doch helfen solle. Wie konnten sie nur so grausam sein? War das noch deine Familie, diese Dämonen, deren ganzer Zorn sich jetzt gegen dich richtete? „Was hast du nur getan?!“, spuckte dich der Pirat an und seine Faust raste hernieder.

„Schluss jetzt, mit diesem Unsinn!“, ein dunkler, großer Schatten tat sich über dem Jungpiraten auf, bevor eine kräftige Hand seine zusammengeballte Faust ergriff und fest zusammendrückte. Schreiend knackten die feinen Knochen seiner Hand und brachten den jungen Mann zum winseln.
Plötzliche Ruhe breitete sich aus, als sich alle Blicke auf ihn richteten. Seine Augen waren streng, hart und hatten die Wunder der Grandline lange vor deiner Geburt gesehen. Legenden rankten sich um seinen Namen, der nur in tiefer Erfurcht ausgesprochen wurde. Er war der unangefochtene Herrscher des Meeres, ein Relikt aus der alten Epoche, auf Augenhöhe mit dem großen Gold Roger. Whitebeard, euer Kapitän, euer Vater. Er war beeindruckend, wie er da in voller Größe, mit erhobenem Haupt, dastand. Der schwere, weiße Kapitänsmantel hing ihm nonchalant über den breiten Schultern und wurde von den Klauen des ersten aufkommenden Nachwindes leicht geschüttelt.
„Habt ihr denn alle den Verstand verloren?!“, grunzte er als er sich auf den Weg zum Meer machte und in stoischer Gelassenheit Ace und Marco aus dem Wasser hob. Wie zwei kleine Kinder hingen die beiden in seinem Griff.
„Vater, bitte!“, riefst du panisch und sprangst erneut auf, nahmst den reglosen Körper der Feuerfaust entgegen. Zu groß war deine Angst, dass der Alte einen Anfall erleiden und Ace in seinen Händen zerquetschen könnte. Nachdem du die abscheuliche Fratze deiner Familie gesehen hattest, trautest du sogar deinem eigenen Vater jedweden Wahnsinn zu.
Neben euch legte Whitebeard Marco in den Sand, dessen Körper sofort von einem blauen Flackern eingehüllt wurde. Lebendig tanzten weißblaue Feuerarme aus der Schusswunde in seiner Brust, schlangen sich um den Körper ihres Besitzers. Er begann sich selbst zu heilen. Dein Schuss war genau aber nicht sofort tödlich gewesen und solange Marco noch lebte, konnte er sich selbst wie ein Phönix aus der Asche neu auferstehen lassen. Ace konnte das leider nicht von sich behaupten. Er hatte viel einstecken müssen.
Besorgt sahst du die Feuerfaust an, hofftest auf ein Lebenszeichen, auch wenn du nicht wusstest, wie lange Marco den jungen Mann unter Wasser gehalten hatte.

Endlose Minuten harrtest du vor seinem Körper aus, doch Ace blieb beunruhigend still, die Augen geschlossen, so als würde er schlafen. Er sah so friedlich aus, so schön. Weinend zogst du ihn an dich, als wolltest du mit ihm für die Ewigkeit verschmelzen. Was hättest du jetzt für eines seiner dämlichen Kommentare gegeben. Ein Lächeln, eine Berührung… einen Atemzug. Nichts, nur Stille und ein gähnender Abgrund aus bleicher Leere, der dich verschluckte wie die qualvolle Erkenntnis, dass es wohl zu spät war.
Das konnte Ace nicht tun! Er durfte nicht einfach an einen Ort gehen, an den du ihn nicht folgen konntest! Er durfte dich einfach nicht alleine lassen…

Leuchtkäferlicht  Verbotene Liebe  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt