Kapitel XXX

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Die Stereoanlage im Wohnzimmer vibrierte, mein Körper bebte.
Spanische Zeilen und gerollte R's, gesungen von JLo.
Es war ein bisschen so, als wären meine Hüften eine eigene Person mit eigenem Willen, sie bewegten sich sinnlich im Takt, es war mir unmöglich sie zu stoppen.
Ich sang mit JLo mit, fast so als wäre das hier eine Live Aufführung, nur sie und ich, laute Stimmen, singende Instrumente und eine nicht verwechselbare Venezuelaharmonie.
Aber da war nur ich, ich wie ich den großen Esstisch deckte und ich wie ich mein Herz jede Minute beim Loopings drehen erwischte.
Es war frei fühlen, mein Herz wie es Loopings machte, meine Hüften wie sie taten was sie sich sonst nicht trauten, meine Stimme wie sie mal furchtlos in der Villa widerhallte, und ich einfach hier, dabei ein Familienessen vorzubereiten, all das war frei fühlen und frei sein.
Lange war ich nicht mehr so gut gelaunt und hatte mich so erfüllt von Glück gefühlt wie ich es gerade tat.
Ich war so unglaublich aufgeregt.
Obwohl es eigentlich keinen Grund dazu gab.
Es war nur die Familie, ein kleiner Teil davon, vier Leute maximal.
Es war nur ein Essen.
Meine Füße die in gepunkteten Socken steckten trugen mich zum Spiegel, nahe des Eingangs.
Blasse Haut, große neugierige Augen, verwirrtes Haar, Waschmaschinengefühle.
Ich fuhr mir durch die Haare, es klingelte.

»Ich komme!«, schrie ich durch die Villa und über die Musik hinweg.
Ich rannte schnell zurück ins Wohnzimmer, zur Stereoanlage und stellte dann die Musik leiser.
Ich fühlte mich ein bisschen taub.
Nachdem ich die Waschmaschine meiner Gefühle ausgeschaltet hatte, weil sie zu laut und zu brummend war um sie zu überhören, öffnete ich die Tür.
Ich pustete mir eine Strähne aus dem Gesicht bevor ich meinem Onkel um den Hals fiel.
Ich schloss die Lider und lächelte.
Geborgenheit empfang mich als ich meine allzu vertraute Angespanntheit zurückließ.
Nach meinem Onkel umarmte ich Blanco, küsste ihn auf die Wangen und kniff danach grinsend hinein. Er quittierte es mit einem Augenrollen. Ich grinste noch breiter.
Mein Blick glitt nach links, Angespanntheit schlich sich zurück in meine Muskeln.
Stocksteif stand ich da, fühlte mich wie eine Eisstatue.
Ja, dachte ich, ich war ein bisschen Eisstatue, ein bisschen Waschmaschine und ein bisschen ich.
Aber besser ein Eisklotz als Eissorbet dass sich von einem Löffel ankratzen ließ. Niemals Eissorbet, immer Eisklotz. Ja, dachte ich wieder, das war ich.
Dann plötzlich fiel ein Name, sechs Buchstaben, zwei Vokale.
Austin.
Ich stellte fest, ich war die, die den Namen über die Lippen brachte.
Mein Herz machte wieder diese Loopings, nur anders.
Diesmal war da kein Gitter das es hielt, diesmal war da nur mein Herz das flog, es flog Loopings.
Die Frage war, wann würde es fallen?
Meine Wangen brannten für meine Gedanken.
Verflucht was war bloß los mit mir?

Um mein Unwohlsein zu kaschieren, verschränkte ich die Arme vor der Brust. Wenn man sich so fühlte, was machte man dann damit es wegging? Dieses Gefühl.
Austin blickte irritiert auf meine Arme, dann hob er zögerlich seine Hand, als könnte ich ihn beißen bei der kleinsten Bewegung.
Er gab ein stumpfes »Hi« von sich. Auch ich hob die Hand zum Gruß, nahm sie allerdings irritiert wieder runter.
Was soll der Scheiß, dachte ich.
»Kommt doch rein«, sagte ich.
Diesmal waren es nicht meine Hüften, sondern meine Füße die sich verselbstständigten und mich forttrugen.
Fort war die Küche.
Was mein Vater wohl gerade tat, fragte ich mich, ging es ihm gut?
Ein dumpfes Gefühl machte sich in mir breit, als hätte jemand einen Baseballschläger genommen, mein Herz malträtiert und Whisky drüber gegossen.
Jemand war mein Vater.
Mein Herz war mein malträtiertes Whiskyherz. Nur das meine Blutbahnen nicht aus Whisky bestanden, wie die meines Vaters, nur die Verletzungen.
„Nur" war ein bisschen zu wenig für das was mein Vater mit mir machte.
Aber es war eben nur ein kaputtes Herz, neben den anderen Verletzungen unter denen ich litt.
Ich ging in die Küche, holte das restliche Essen und stellte es auf dem Esstisch ab.
Dann verschwand ich wieder in der Küche weil, weil, weil.
»Macht es euch gemütlich!« rief ich über die Entfernung hinweg.
Das Lächeln das ich lächelte war angespannt.
Ja aber wer hätte auch damit gerechnet dass Austin hier auftauchen würde?
Ein Bild von seinem Gesicht ploppte in meinem Kopf auf wie Blubberblasen wenn ein Fisch unter Wasser atmete.
Dann dachte ich, dass ich das auch gern können würde, das Wasser mal atmen und nicht daran ersticken.
Mal eine Lunge zum leicht fühlen und nicht sacknass und tropfend.
Als müsste ich mich daran erinnern dass sie das gerade nicht tat, tropfen und sich mit Wasser oder Wolken oder was auch immer füllen, atmete ich tief durch.
Ich sah das Essen an das ich gekocht hatte und dann dachte ich wieder an Austin.
Was war, wenn Austin mein Essen nicht schmecken würde?
Dann wirfst du es ihm ins Gesicht. Außerdem seit wann interessiert dich sowas?!
Es interessierte mich nicht. Zumindest sollte es das nicht.
Und die Variante es ihm ins Gesicht zu werfen, ließ mich ehrlich lächeln als ich ihn ansah.
Überrascht lächelte er zurück, ich senkte den Blick.
Dann schüttelte ich den Kopf um meine wirren Gedanken loszuwerden.

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