Kapitel XXXIII

4 0 0
                                    

Mein Kopf traf den Boden als ich fiel.
Alles in mir und um mich fing an sich zu drehen. Ich wollte kotzen.
Lustige, kleine Punkte tanzten vor meiner Nase herum, sie machten mich fertig, sie amüsierten mich.
Mir war schlecht und schwindlig, mein Schädel tat mir weh.
Doch ich ging nicht davon aus ernsthaft verletzt zu sein.
Zumindest nicht so.
Nicht wegen wegen meines Falls.
Sondern eben weil er passiert war. Weswegen er passiert war.
Durch welche Hand.
Fast hätte ich theatralisch aufgeseufzt. Aber auch nur fast. Rechtzeitig biss ich mir auf die Zunge, so sehr, dass ich Blut schmeckte.
Denn kein Schmerzensschrei dieser Welt könnte meinen Vater davon abbringen mir jetzt weiter weh zu tun, es sei denn er wollte es. Im Gegenteil. Es hätte ihn noch angestachelt weiterzumachen. Ihn angekratzt, ohne ihn aufzukratzen.
Er brüllte.
Seine Worte, verletzender als jeder Schlag und er wiederholte sie, wiederholte, wiederholte, wiederholte sich. Wieder und wieder und ich konnte einfach nicht weghören.
Adjektiv um Adjektiv.
Unnütz. Billig. Falsch.
Alles beschrieb mich so perfekt.
Es war so nah an mir dran, denn ich ließ es so nah an mich ran. Und doch war es so fern.
Für mich blieb keine Liebe übrig, denn ich wurde nicht geliebt, so meinte mein Vater.
Nicht von ihm, nicht von irgendwem.
Es gab nur noch mich, und nur noch mich, die mich lieben konnte. Und mittlerweile fing selbst ich an an der Liebe zu mir zu zweifeln. Es trieb mich in den Wahnsinn. Ich wollte mir die Haut aufkratzen und die Haare herausreißen wenn ich daran dachte, was mein Vater in mir anrichten konnte und auch ich selbst.
Und mittlerweile war ich mir selbst zu viel, zu schwer, zu falsch.
Unliebbar. Das war ich. Das war ich wirklich.
Erst dieser Gedanke, dann seine Faust die meinen Kiefer traf, direkt danach. Ein Fausthieb, nur einer, und doch ein doppelter Schlag. Mitten ins Gesicht, ins Herz und in die Seele. Meine Seele.
Es war geschehen. Innerlich da war ich bitterlich und hässlich am weinen, auf dem nackten Fliesenboden.
Denn ich fühlte mich genau so nackt.
Und roh und verletzt und einsam.
Und unliebbar denn das war ich ja.
Doch immerhin hörte er auf.
Er ließ mich liegen.

Meine Gedanken wirbelten Minuten, vielleicht auch Stunden (ich hatte jedes Gefühl, auch für Zeit, verloren), noch immer durch die Luft, waren bei den Knöcheln meines Vaters und beim letzten Mal als sie auf meinem Knochen zwischen Auge und Wangenknochen niederfuhren, mit voller Wucht.
Ja, dachte ich da, voll auf die Zwölf.
Immer wieder die Zwölf, immer wieder ich.
Nach dem Aufprall bei meinem Sturz, war für mich alles nur noch geschwächt wahrnehmbar, die vergangenen Schläge waren an meinem Verstand vorbeigezogen und auch an meinen Nerven, aber sie sickerten alle direkt in mein Herz. 
Alles war nur noch ein gedämmtes Licht, alles war in die Ferne gerückt, sogar mein Vater. Ich erkannte nichts, sah nicht scharf, ich war wie in Watte gepackt und unter der Erde begraben während es in Strömen regnete, als er ging.
Keiner würde mich finden, keiner würde mich finden wollen.
Keiner würde mir helfen.
Und es war mir egal.
Und so fühlte ich mich noch immer, ein kleines Bisschen.
Jedes Mal wenn ich vor Schmerz aufstöhnte wann immer er mich schlug, es galt nicht länger als Zeichen des Schmerzes, es war nur noch ein Reflex. Und sonst nichts.
Mal hier ein Zischen, mal da ein Wimmern.
Mal eine Faust hier, mal eine da.
Und augenblicklich fragte ich mich, ob das auch nur ein Reflex war.
Ob mein Vater gar nichts dagegen tun konnte. Selbst wenn er wollte.
Die Frage war nur, ob ihn das zu einem Monster oder zu einem Menschen machte.
Mensch, dachte ich, immer Mensch. Denn, ich war ja auch einer. Oder war ich vielleicht das Monster?
Denn, wenn mein Vater eines war, dann musste ich es ja auch sein.
Ich knurrte.
Er hatte mich liegen gelassen, im Dreck, in meinem Blut. Seinem Blut.
Mit tausenden Fragen im Kopf.
Und Millionen Stichen im Herzen.
Doch ich ließ mich nicht unterkriegen!
Ich würden mich aufraffen, wie ich mich immer aufraffte.
Es war schwer und es tat weh.
Aber es war mir scheiß egal.
Verfluchte Scheiße, es musste sein.
Wenn ich die Hochachtung in den Augen meines Vaters schon verloren hatte, so wollte ich sie nicht auch vor mir selbst verlieren, nieniemals.
Vor allen, aber nicht vor mir selbst.
Ich war zu stolz, ich war zu stark um weinerlich auf dem Boden liegen zu bleiben, wie eine zerrupfte Puppe die darauf wartete abgeholt zu werden.
Ich wusste es besser.
Oder zumindest musste ich mir das einreden.
Einreden, dass ich es schaffen konnte.
Und meinen Stolz, nein, mein Herz, bewahren konnte.
Denn das konnte ich.
Eventuell erhob ich mich auch wegen meines Rückens, der in dieser Position verflucht weh tat aber immerhin erhob ich mich.
Im Schneckentempo ging ich zur Treppe. Aber immerhin.
Mit jedem Schritt war es, als würden Nadeln meinen Körper grausam durchbohren.
Es fühlte sich an, als wäre ich schon hunderte von diesen Schritten gelaufen, ohne jemals am Ziel anzukommen.
Doch schließlich gelang es mir und ich versteckte mich in meinem Zimmer.
Vor meinem Vater, der Angst, der Wut, dem Schmerz, vor mir selbst. Vielleicht auch vor meinem Zeitgefühl. Denn ich wollte kein morgen. Wollte überhaupt niemals wieder irgendwas, nur schlafen. Und nie wieder aufwachen.
Denn ich triefte vor Erschöpfung, ich verspürte tief in mir einen Zorn, so unbändig und roh, dass ich ihn kaum zügeln konnte und außerdem eine Bitterkeit, die nicht auszuhalten war.
Es war ein dumpfes, schwach pochendes aber stark pulsierendes Gefühl und es mischte sich Ekel gegenüber meinem Vater unter.
Wie konnte er nur?
Heute ist er zu weit gegangen, dachte ich, als meine Augen sich selbst im Badezimmerspiegel fanden.
Nicht nur heute, gestern, vorgestern, immer, jeden Tag und jedes Mal war er zu weit gegangen. Nur heute realisierte ich es.
Das rechte Auge war komplett zugeschwollen und genau wie das Linke blutunterlaufen.
Lila Spuren kennzeichneten mich schon jetzt und meine Lippe war auf's böseste aufgeplatzt.
Sie blutete mein und sein Blut.
Meine Augen wurden glasig als neue Gefühle, Gefühle wie Demut, Angst und Schrecken über mich hinweg schwappten, wie eine Monsterwelle.
Sie spülten meinen Zorn fort.
Und dann war da nur noch trauriges Entsetzen. Ich war innerlich zerrüttet, bis auf meine Mauern zerfallen.
Wie hatte er das tun können?
Wie konnte er mich so hassen? Wo ich doch sein eigen Fleisch und Blut war. Das, was er hätte am meisten lieben sollen, seine Tochter, sein Kind.
Was konnte ich getan haben dass er mich überhaupt so sehr hasste?!
Wie hatte es so weit kommen können? Und wie hatte ich, wie hatte er das zulassen können?
Mein Blut fing wieder an zu kochen, doch ich blieb traurig, auch wenn meine Wut erneut aufwallte.
Der Zorn in mir war so schrecklich dass ich das nächstbeste was ich zu greifen bekam nahm und mir entgegen schleuderte.
Der Spiegel zerbarst, die Splitter klirrten, es war mir egal.
Ich zersprang in Tausend Teile.
Schluchzend wegen meiner Einsicht ließ ich mich in die Hocke und Scherben fallen um meine Knie zu umklammern.
Sein eigen Fleisch und Blut.
Ich schüttelte den Kopf. Alles tat so weh. An und in mir und um mich herum, auf und unter mir.
Alles, alles, alles.
Doch ich weinte nicht. Ich gönnte ihm keine einzige meiner Tränen mehr.
Er würde mein Vater bleiben, deswegen würde auch ich bleiben, bei ihm.
Aber keine Träne würde ich ihm mehr nachweinen.
Keine Hand wird er mehr an mich legen. Ich würde es verhindern. Schluss mit alledem.
Das schwor ich mir in dieser Nacht.
Den Kopf hielt ich hoch, sah nicht auf die Spiegelscherben die mich an meine Seele erinnerten. Denn in den Splittern der Seele, da befanden sich mehr Regenbögen, schon beim kleinsten Lichteinfall. Deswegen würde ich mein eigenes Licht sein. Morgen.
Jetzt, wollte ich einfach nur noch schlafen.
Schlafen, schlafen, schlafen.

fading awayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt