Kapitel XXIX

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Austin:

Ich blieb den ganzen Tag über fern von der Schule. Hielt mich stattdessen den halben Tag Zuhause auf.
Mir blieb keine Zeit für Zahlen, Formeln, Elemente oder bunte Acrylfarben.
Die Clique kam vorbei, so zockten wir erst GTA und schmiedeten schließlich in bekannter Angespanntheit einen neuen Plan. Einen Plan für eine Übergabe.
Bei der gewiss nichts schief gehen durfte.
Ich hatte eine Heiden Angst um meine Leute—auch wenn ich das nie laut aussprechen würde...war es so.
Es war gefährlich. Immer ein Risiko.
Ein Schwimmen mit schlafenden Krokodilen, nur dass manche nicht schwimmen konnten. Also plantschten sie mit den Armen im Wasser umher, laut und stark. Und sie wurden gefressen, brutal und blutig zerfleischt von scharfen Zähnen. Und genau davor hatte ich Angst. Und trotz des Risikos gab es Menschen wie uns die auf diese Krokodile pfiffen. Es war ja nicht so dass irgendeiner von uns das Geld wirklich dringend nötig hatte—selbst wenn, dem würde unter uns finanziell geholfen werden—es war viel mehr wegen des Kicks. Wenn man reich war, hatte man alles und gleichzeitig nichts. Aber vor allem hatte man nicht viele besondere Momente im Leben. Das Dealen war dabei wie eine kühle Brise. Oder viel weniger das Dealen und mehr das Adrenalin dabei.
Nichtsdestotrotz wäre es meine Schuld wenn etwas nicht so lief wie geplant und einem meiner Leute auf dem Gewissen tragen zu müssen...
Ich würde es nicht ertragen.
Ich dachte wieder an meine Leute, Joey, Buster, Daniel, Cole und Denzel.
Blanco und ich verstanden uns zwar ziemlich gut—ach was eigentlich sehr gut, wir hatten gleiche Ansichten verschiedener Dinge und alles...
Allerdings gehörte er nicht wirklich zur Clique. Nicht dass ich ein Problem damit hätte! Das hatte ich nicht. Aber die anderen schienen nicht allzu begeistert von ihm zu sein.
Sie hassten ihn nicht. Allerdings war er ihnen auf irgendeine Art unsympathisch, soweit ich das beurteilen konnte.
Ob das jetzt daran lag, dass er mit Lucía verwandt war oder dass ich in letzter Zeit mehr Zeit mit ihm verbrachte als mit der Gang, wusste ich selbst nicht. Sie sollten ihn aber definitiv besser kennenlernen. Immerhin hatten sie bisher kein einziges Wort mit ihm gewechselt.
Und wenn ich so darüber nachdachte...
Er würde wirklich in das Bild unserer Gruppe passen.
Mal abgesehen vom Aussehen, war er sehr loyal, er hatte zwar einen schrägen Humor aber er kannte sich sehr gut in unserer Branche aus.
Wahrscheinlich hatte er sogar mehr Erfahrungen als wir alle zusammen.
Nichtsdestotrotz, war er selbst nicht sehr angetan dabei, zur Clique zu gehören. Er wollte die anderen aber gerne Mal auf ein Bier treffen.
Nur hatte er an dem...dem anderen Ding kein Interesse.
Nichts persönliches, hatte er gemeint, er hatte schlicht kein Interesse zu irgendwelchen Gangs zu gehören, noch weniger auf's Dealen oder ähnlichem. Er meinte auch, er hätte seinen besonderen Kick wenn er irgendsoein Mädchen sah, das er erst vor kurzem hier getroffen hatte.
Der Sack war wohl verknallt.
Sich auf nur ein Mädchen fixieren, dachte ich spöttisch, so eine Verschwendung.
Wie dem auch sei, laut ihm, hatte er wegen der anderen Sache, genug Probleme in Los Teques und würde deswegen auch nicht mehr so schnell ins Geschäft einsteigen. Oder überhaupt wieder.
Er genoss sein Leben.
Und irgendwo in mir, unter Haut, unzähligen Schichten Fleisch und Blut, irgendwo da in meinem verdorbenen Herz, da war ich neidisch. Weil ich das nicht konnte.
Obwohl ich im Luxus badete, buchstäblich und Blanco sehr viel weniger davon hatte.
Doch er hatte dieses eine Mädchen, was er so mochte, eine sehr ansehnliche Wohnung für sich allein, Videospiele die er bis ins Morgengrauen spielen konnte während er Essen futterte bis er Sodbrennen bekam.
Er lebte, als gäbe es keinen Morgen.
Ich lebte, als gäbe es kein Heute.
Nur die Vergangenheit, die ich nicht ändern konnte und die Zukunft die ich kaum kontrollieren konnte.
Ich schämte mich plötzlich für meinen Neid. Ich hatte so viel.
Und Blanco war ein so guter Kerl, ein wirklich guter Kumpel auf den immer Verlass war.
Ja das war er.
Und Ja, das war ich wohl weniger.

Gerade als ich mich wieder auf die anderen konzentrieren wollte, nach meiner langen Gedankenpause, spürte ich mein Handy an meinem Bein vibrieren.
Wunderbar.
Ich verließ die gerammelt volle Bar in der wir uns mittlerweile befanden.
Wir waren vor ungefähr einer Stunde hergefahren und haben beschlossen etwas Besser-Mach-Bier zu trinken während wir den Plan austüftelten. Erstaunlicherweise war das aber schon nach einer Dreiviertelstunde getan. Fünfundvierzig Minuten. Zweitausendsiebenhundert Sekunden. Zeit. Vergänglich.
Vor kurzem erst, hatten wir angestoßen und seitdem schütteten wir uns das Besser-Mach-Bier rein. Außer Denzel. Der hatte das kurze Streichholz gezogen und musste fahren. Streichholzpech.
Ich ächzte.
Körper drängten sich an mich, Worte die nicht mir bestimmt waren fanden ihren Weg in mein Ohr und fremde Hände schenkten mir Berührungen die ich nicht wollte.
Ich schob mich vorbei an einem Mädchen im pinken Kleid, das mir ins Auge stach, als würde ich in eine Sonne schauen, nur eben eine Pinke.
Pinke Sonnen, fremde Hände und verlorene Worte, dachte ich, als ich die Bar verließ.
Die Luft die ich nun atmete war kühl und feucht und fühlte sich weniger an als säße man fest in einem Backofen.
Schnaufend wischte ich übers Display.
»Ja?«, fragte ich ins Telefon.
Verrückt dass so ein Kasten mich mit Personen sprechen ließ, die gerade Meilen entfernt waren.
Vielleicht würde man ja irgendwann auch über so einen Kasten mit Leuten reden die keine Meilen aber ein Lebenszustand entfernt waren.
»¡Hola Chico! Wo bist du gerade? Ich hoffe du hast gerade Zeit«, sagte jemand mit schwerem spanischen Akzent, Blanco.
Mannoman hatte der vielleicht gute Laune.
Was war denn in ihn gefahren dass er so...trällerte?
»In der Red-Rain Bar. Mit der Clique. Wieso fragst du und was Bitteschön hast du genommen?«
»¡Nada!«, rief er lachend in sein Handy. Er seufzte.
»Meine Cousine macht heute venezuelische Küche und ihr Essen ist eine gaaanz andere Liga, das kannst du mir glauben, also Cochino, willst du kommen?«
Er lachte wieder. Cousine? Dann hatte er hier also noch mehr Familie?
Das bedeutete dann wohl dass Lucía ebenfalls mehr Familie hier hatte.
»Hola
»Ich weiss nicht recht. Also...ich gehöre doch gar nicht zur Familie, Alter«, sagte ich.
Ich grübelte. Ich hatte echt Kohldampf.
Aber...könnte ich meine Leute wieder hängen lassen?
»Darum mach dir mal keine Sorgen, ich bin in drei Minuten bei dieser Bar also bis dann.«
Blanco legte auf.
Dieses verfluchte spanische Temperament und diese verdammte Sturheit! Waren alle Spanier so? Oder lag das einfach in der Familie? So schien es.
Seufzend ging ich wieder zurück in die Bar. Die pinke Sonne war diesmal fort.
»Leute, ich muss los. Hab noch was zu erledigen«, meinte ich betrübt. Ich freute mich. Keine Frage. Aber jetzt zu gehen fühlte sich einfach an wie...wie Verrat.
»Gut. Dann pass auf dich auf alter Mann!«, sagte Buster laut und klopfte mir auf die Schulter.
Auch die anderen schlugen bei mir ein.
Joey wandte sich jedoch noch kurz an mich.
»Ich sei verdammt wenn ich diesen Blanco nicht in spätestens einer Woche kennengelernt habe«, sagte er und lachte.
Die anderen nickten ebenfalls amüsiert.
Überrascht grinste ich. Vielleicht hatte ich mich ja getäuscht.
»Er ist wirklich schwer in Ordnung.« Mit einem letzten Wink verabschiedete ich mich und bahnte mir meinen Weg in die kühle Abendluft.
Wie hatte ich nur denken können die Jungs würden nicht darauf kommen wo ich hinging? Ich würde nie einfach so gehen. Es sei denn Kate hatte einen Notfall aber sonst wäre ich viel aufgewühlter und reizbarer gewesen. Vielleicht auch durchgedreht. Kate war meine Schwachstelle. Und das wussten die Jungs. Verdammt wie hatte ich nur eine Sekunde an ihnen zweifeln können? Sie akzeptierten mich wie ich war und natürlich wollten sie Blanco kennenlernen!
Ich kannte die Hälfte der Truppe seit meiner Kindheit, verflucht!
Sie standen immer zu mir, sowie ich zu ihnen. Wir hielten zusammen.
Es war nicht fair. Ich gab ihnen überhaupt keine Chance erst über Blanco zu urteilen. Wahrscheinlich weil ich wollte, dass ein Teil meines Lebens nicht verkorkst war...
Ach scheiße!
Ich atmete erstickt aus, als meine Brust zu brennen begann, Nebelschwaden folgten meinem Atem.
Ich hatte nicht einmal bemerkt dass ich aufgehört hatte zu atmen.
Bevor ich meine Gedanken, mich, hätte weiter ergründen können, sah ich Blanco heranfahren.
Seufzend lief ich auf den Wagen zu. Es kribbelte mir im Nacken als ich von Paranoia getrieben nach rechts und links schaute.
Schließlich könnten wir jederzeit beobachtet werden.
Hmm...ja klar! Von Satan persönlich? Lucía? Tante Kat würde jetzt fragen, wieso du dich das eigentlich nicht beim Sex fragst, denn Gott kann dich da nämlich genau beobachten!
Ich wusste ehrlich gesagt nicht was ich darauf erwidern sollte.
Also, öffnete ich nur die Tür des Wagens und stieg ein, in der Hoffnung mit dem heutigen Abend meine Gedanken endlich abschalten zu können.
Als die Tür zurück ins Schloss sprang, drehte ich mich zu Blanco um.
»Ich hoffe du bist hungrig Cochino
Sein Grinsen war echt und steckte an.
Er bretterte die Straße herunter und ich grummelte.
»Hmm...ja ein wenig«, sagte ich und untertrieb es damit maßlos.
»Ein wenig?!«, fragte Blanco ungläubig.
»Hermano! Du wirst dir den Bauch noch voll schlagen selbst wenn du zu platzen drohst! Ja so gut kocht meine kleine Lieblingscousine!«
Nun lachte er wieder und dieses Mal stieg ich in das Lachen mit ein, obwohl ich zum Teil noch immer in meinen Gedanken gefangen war.

Etwa zehn Minuten später, hielten wir vor der Villa der Rodriguez.
Verwirrt blickte ich Blanco an.
»Was machen wir...«
Ich stoppte mich selbst im Sprechen.
Oh du...scheiße! Fuck!
»Lucía ist die Cousine?!« fragte ich.
Es fühlte sich an als würde Eiswürfelwasser meinen Feuerschwitzenden Rücken hinablaufen. Auf die schlechte Art.
Unglauben packte meine Schultern, sie zitterten.
Ich hatte wohl ein Bier zu viel!
»Was dachtest du denn?«, fragte Blanco belustigt.
»Na!...na dass...ich...äh...«
»Ach keine Ahnung!«, hörte ich mich selbst sagen und beendete das, blamierende und sehr überflüssige, Stottern.
Ich war so ein Idiot! Ich dachte wirklich er meinte eine andere Cousine! Wieso hatte er aber auch nichts erwähnt? Und woher sollte ich bitte wissen dass Lucía kochen konnte?
Bei dem Gedanken an Lucía geriet ich ein wenig ins Stocken. Ich glaube mir dreht sich der Magen um.
»Du stotterst«, stellte Blanco skeptisch fest, ließ es aber wie eine Frage klingen.
Ich verdrehte die Augen und grummelte jeden Fluch vor mich hin, den ich je gehört hatte.
Mit einem Rums fiel die Autotür ins Schloss.
Ein weiteres Auto fuhr über den Schotter und brachte ihn zum Knirschen, fast als würden Knochen brechen.
Wir drehten uns um, bevor ein Finger die Klingel berühren konnte.
Wir standen Mr. Vasquez gegenüber.
Lucías Onkel.
Blanco setzte sich als erster in Bewegung und umarmte seinen Onkel.
Ich gab ihm die Hand.
»Hallo, Sir«, sagte ich.
»Ahja, wie geht's dir Junge?«
Fragend hob er eine dunkle Braue.
Sein spanischer Akzent war heute rauer als die bisherigen Male die ich ihn gehört habe. Er hatte keinerlei Ähnlichkeiten mit Lucía. Seine Kieferpartie war breit und massig wo Lucías spitz war. Sei Kinn formte ein Herz. Wahrscheinlich hatte sein Kinn sogar mehr Herz als mein Vater, dachte ich. Dann: ich weiß woher meine Gene stammen.
»Und du bist auch nett zu meiner Nichte?«, fragte Mr. Vasquez.
Ich räusperte mich, mein Halz krazte als hätte ich Sand verschluckt.
»Ich...äh...Ich gebe mein bestes sie wie eine...Prinzessin zu behandeln«, sagte ich ernster als ich eigentlich meinte und das bevor ich mir auf die Innenseite meiner Wange beißen konnte. Was redete ich denn da?
Ich sah zu Blanco. Er hob grimmig eine Augenbraue. Ich glaubte seine Mundwinkel zuckten.
»Hört sich an als wärt ihr ein Paar.«
»Was?! Um Gottes Willen! Wenn sie das hört, dann hackt sie uns allen dreien gleichzeitig den Kopf ab!«, zischte ich.
»Sind wir außerdem nicht«, meinte ich knurrend.
Mr. Vasquez lachte und klopfte mir mit seiner Pranke auf die Schulter.
Eine väterliche Berührung.
Sie lag schwer auf meiner Schulter.
»Sie hat es verdient wie eine Königin behandelt zu werden. Und so viel mehr«, säuselte er fast...wehmütig.
Mr. Vasquez erstarrte, sein Blick wurde leer, sein Ausdruck hart.
»Aber ich warne dich Cochino. Wenn du ihr weh tust, ob zusammen oder nicht, werde ich dir weh tun. Sehr, sehr weh tun.«
Dann drehte er sich um und lief auf breite Türen zu, Türen die eine Schatzkammer schützten und mir fehlte der Schlüssel. Buchstäblich. Me Vasquez rief über seine Schulter:
»Ach und Lucía würde ihrem Lieblingsonkel niemals den Kopf abreißen dafür liebt sie mich zu sehr. Euch beiden... tja euch schon.«
Er zuckte die breiten Schultern und drückte uns klobige Daumen.
Blanco und ich schauten uns an.
Dann liefen wir ihm grinsend hinterher.

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