Kapitel XXIV

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Gerade hörte ich das Lied Corre von Jesse, ein furchtbar schönes Lied.
Es war das Lieblingslied meiner Mamá.
Bis sie starb jedenfalls.
Mamá. Ich vermisste sie so sehr. Wieso war sie gegangen?
Von allen, hatte sie den Tod am aller wenigsten verdient...
Während ich also das Lied hörte und mitsang, putzte ich.
Erst wischte ich den Boden, dann kümmerte ich mich um die Küche und schließlich gelangte ich im Zimmer meines Vaters an.
Außerdem wusch ich Wäsche und machte den ganzen anderen Mist den ich regelmäßig machen musste.
Mittlerweile war es 12:07 Uhr. Und es war Donnerstag.
Es war Halloween.
Heute würde ich zusammen mit Papá zu diesem verblödeteten Geschäftsessen von Austin gehen.
Aber erstmal, würde ich Flash von Leighton abholen.

»Und wie sieht dein Leben zur Zeit aus?«, fragte Leighton neugierig. Ich seufzte.
Nachdem ich endgültig mit dem putzen durch war, fuhr ich so schnell es ging zu Leighton um Flash abzuholen.
Als ich dort ankam nahm sie mich zwar direkt in Empfang, zwang mich jedoch noch zu einem Kaffee zu bleiben.
Sie meinte ich hätte es ihr immerhin versprochen. Aber irgendwie, konnte ich mich beim besten Willen, nicht daran erinnern. Ich hatte Mal gelesen dass man sehr verwirrt und vergesslich war, wenn man gestresst war. Stress hatte ich ja reichlich.
Na ja auch egal.
Jedenfalls setzte ich dann zu einer simplen Antwort an.
Obwohl mein Leben alles andere als simpel war.
»Nun ja. Wie soll ich es sagen?
Es...ist kompliziert«, sagte ich schließlich.
Leighton lachte.
»Ja, da hast du vermutlich recht. Wir alle haben unsere Probleme und unser aller Leben ist sehr kompliziert.«
»Ohja«, antwortete ich mit einem sarkastischen Grinsen, von dem ich mir sicher war dass es ans gruslig Sein grenzte. Ohja, wenn du nur wüsstest Leighton...
Ich kann dir nicht sagen, wie kompliziert es wirklich ist, dachte ich.
Ich konnte es niemandem sagen.

»Nun erzähl schon. Gibt es jemanden? Einen Jungen vielleicht?«
Sowie Leighton mir diese...diese völlig durchgeknallte Frage mit einem Unterton den ich nicht deuten konnte, gestellt hatte, ploppte ein Bild von Austin in meinem Kopf auf.
Ich verschluckte mich abrupt an meinem Kaffee und riss meine Augen weit auf, als ich wie eine Irre in meine Armbeuge hinein hustete und zeitgleich, hektisch den Kopf schüttelte. Ich musste aussehen wie eine Geisteskranke auf Crack.
Ich benahm mich heute total daneben. Vielleicht war ich ja wirklich eine Geisteskranke auf Crack. Nur eben nicht auf Crack.

»W-was? Zum Teufel, nein natürlich nicht! Dazu habe ich doch überhaupt keine Zeit.«
Oder die Nerven. Aber das ließ ich aus.
»Ahja? Wozu hast du denn Zeit?«
»Du meine Güte, stehst du vielleicht auf Mädchen? Ich bin nämlich noch single«, erklärte Leighton im anzüglichen Ton. War das etwas ein Flirt?
Diesmal fiel ich fast vom Stuhl.
Sicher dass du da nicht ein wenig übertreibst?
Und wenn schon, dachte ich.
Ein Flirt.
Ich hatte rein gar nichts gegen Menschen die auf das gleiche Geschlecht standen oder ähnliches, wäre auch seltsam immerhin war ä Leighton einer meiner engsten Freunde.
Dennoch, für mich persönlich kam das überhaupt nicht in Frage.
Ich fühlte mich im Gegensatz zu Leighton von Frauen einfach überhaupt nicht angezogen. Nicht, dass ich nicht offen für neues wäre aber, ich konnte es mir kein kleinstes bisschen vorstellen.
Etwas neues. Wann hatte ich eigentlich das letzte mal geflirtet?

»¡Dios mio! Leighton!«
»Natürlich nicht! Nur habe ich einfach viel zu tun, die Schule eben und ich habe einen neuen Job und-«
»Oh wie schön! Du wurdest also angenommen?«, unterbrach sie mich breitlächelnd.
Du meine Güte! Ich war noch nie so dankbar in meinem Leben unterbrochen worden zu sein.
Ich spürte meinen Puls rasen, spürte wie er in die Höhe stieg.
Das war mir noch nie passiert! Noch kein einziges Mal, war mir die Sache mit Papá beinahe herausgerutscht . Kein einziges Mal.
Was in Gottes Namen war nur los mit mir?!
Aber abgesehen davon, war es wirklich erstaunlich wie schnell Leighton Themen fallen ließ um ein neues aufzugreifen.
Ich nickte also bloß angespannt.
Noch immer unruhig wegen meines fatalen beinahe Fehlers.
»Das freut mich so sehr für dich!«, erwiderte Leighton und nahm mich in eine kurze aber herzliche Umarmung.
Ich lächelte gezwungen, da ich mich plötzlich furchtbar unwohl fühlte.
»Also«, fing ich an, das o dabei gedehnt.
»Ich denke ich sollte jetzt gehen. Denn ich muss ja Flash noch abliefern—abliefern wie seltsam das klingt nicht?—und außerdem muss ich mich anziehen und mein Papá geht ja immer früher los und da es schon 16:34 Uhr ist«, meinte ich ausweichend. Ich wollte nur noch ins Auto springen und weg. Ich hetzte mich, das war mir klar. Doch ich ertrug es nicht länger. Es machte mich nervös, dass ich mich beinahe verplappert hätte. Würde mir das wieder passieren? Würde ich es verhindern können? Was, wenn es passieren würde? Ich hatte Angst dass es jetzt passieren würde, nochmal. Also sah ich Leighton an, hoffte sie würde verstehen, irgendwie. Auch wenn das wohl dämlich war, denn sie hatte keine Ahnung und selbst wenn sie die hätte, könnte sie es niemals verstehen.
Ihr Lächeln wurde blasser ehe sie nickte.
Ich stand eilig auf und nahm meine Kaffeetasse um sie in die Spüle zu stellen.
»Nochmals vielen, vielen Dank, Leighton!«, bedankte ich mich während ich vor meinem Auto stand, wachsam, nervös, unruhig, gehetzt und unsicher. Und diese Unsicherheit machte mir Angst. Unsicherheit bedeutete Schwäche und was wäre ich mit Schwäche? Wer wäre ich? Ich musste tapfer sein und vorsichtig. Drei mal denken bevor ich etwas sagte oder tat. Ich durfte mir keine Schwäche erlauben. Denn, würde ich sie zulassen, wüsste ich nicht weiter. Ich würde mich verlieren und die Schwäche vor der ich so eine Angst hatte dass ich sie stets leugnete, würde mich lebendig verbrennen. Nachdem sie mich von innen heraus zerfressen hatte.
»Kein Problem für dich immer wieder gern«, meinte Leighton.
»Ciao Buddy, ciao Chester!«, rief ich und streichelte den beiden nochmals über das Fell bevor ich eilig ins Auto stieg. Ich ließ die Scheibe hinunter.
»Pass auf dich auf, Lu«, flüsterte Leighton. Ich lächelte. Diesmal ehrlich, ein klein wenig beruhigt sogar.
»Mach ich aber nur wenn du das auch tust!« rief ich ihr, winkend, aus dem fahrendem Auto zu. Sie winkte im Autospiegel zurück.
Dann war ich auch schon rechts abgebogen und fort.

Oh man! Ich hasste Stau! Das gibt es doch nicht, dachte ich. Seit einer Stunde stand ich im Stau!
Wieso zum Teufel gab es an Halloween, noch dazu um diese Uhrzeit, Stau? Die Unruhe kehrte zurück, ich fühlte mich schrecklich. Ich wusste nicht worauf ich mich konzentrieren sollte, wollte schreien, weinen und zur selben Zeit nichts davon. Ich war erfüllt von Wut und tiefer Verzweiflung. ¡Mierda! Ratlos und planlos, beschrieb es gut, denn ich hatte absolut keine Ahnung was ich tun sollte. Was, wenn mir nochmal etwas über die Situation Zuhause herausrutschte? Oder schlimmer, was, wenn jemand dahinter kam was Zuhause los war? Noch dazu, fürchtete ich mich vor heute Abend. Nein, ich fürchtete mich vor Papá und der Feier. Mir war klar dass ich wieder vorspielen musste glücklich zu sein. Aber würde Papá mir wieder weh tun? Denn, das war es wovor ich wirklich Angst hatte.
Ein frustrierte Schrei entkam meiner Kehle und ich legte meinen Kopf auf dem Lenkrad ab. Meine Augen glitten zur Zeitanzeige am Armaturenbrett.
Es war schon 17:45 Uhr und um 20:00 Uhr also eigentlich 19:45 Uhr fuhren wir los.
Dios mio ich hasste Stau!

Etwa zwanzig Minuten später, war ich dem Stau entkommen und fuhr nun auf leeren Straßen. Es waren kaum Autos auf dieser Straße, an den Feldern.
Welch eine Ironie...
Der Weg zu Blanco war recht ungewohnt im Dunkeln. Ich konnte den Winter verflucht nochmal nicht ausstehen. So gar nicht!
Meine Mutter starb zu dieser Jahreszeit und mein Ex-Freund hatte mich mit meiner ehemals besten Freundin betrogen. Außerdem war diese Jahreszeit kalt und es wurde viel zu schnell dunkel.
Wie konnte man den Winter denn nur mögen?
Mir fiel einfach kein Grund ein.
So schön Schnee auch aussehen mochte, es war nur Schein denn in Wirklichkeit, war der Schnee eiskalt und einfach nur matschiges, gefrorenes Wasser.
Außerdem war es sicherlich auch nicht einfach bei diesen Temperaturen draußen zu überleben. Da sollte man doch mal einen Obdachlosen fragen, der Erfahrungen damit hatte. Mitleid überkam mich. Allerdings hielt dies nicht lange an...
Was, wenn mein Vater mich jemals rausschmeisst würde? Dann müsste ich im Winter auch draußen übernachten.
Oh mein Gott! Ich musste mir definitiv mehr Geld zur Seite legen! Viel mehr Geld!
Sehr viel mehr Geld...

Wenig später, stand ich vor Blancos Tür und klingelte. Mierda mach doch auf! Ich hätte den Zweitschlüssel für seine Wohnung doch an meinen Schlüsselbund binden sollen.
Nochmal klingelte ich.
Dann klingelte ich Sturm und-
Oh.
Ein Mädchen in etwa meinem Alter öffnete die Tür. Sie sah süß aus.
Und ich meinte sie schonmal gesehen zu haben.
»Ähm...wer genau bist du?«, fragte ich also aus reiner Neugier.
»Oh-ohhh. Ähm, tut mir leid. Ich bin...eine Freundin von Blanco und du bist Lucía?« Verwirrt nickte ich.
Ich mochte die Kleine. Aber ich war noch immer in Eile.
»Die einzig Wahre«, erwiderte ich, in der Hoffnung die Stimmung etwas aufzulockern.
Ich war irritiert.
Wie hatte ich nicht mitbekommen können dass mein Cousin jemanden kennengelernt hatte? War ich so sehr mit mir selbst beschäftigt?
Ich kannte meinen Cousin und er schleppte Frauen nicht mehr wahllos ab. Er stand nie auf diese nuttigen Mädchen und er nahm sie auch nie mit zu sich. Nicht, wenn es nicht ernst war.
Das Mädchen vor mir sah verunsichert aus.
»Äh ja...darf ich Mal kurz durch? ich bin etwas in Eile.«
Noch bevor sie antworten konnte, schob ich mich an ihr vorbei.
»Blanco! ¡Gilipollas!«, rief ich.
Ich hörte das Mädchen neben mir kichern. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen.
»Cousinchen?!«, fragte Blanco überrascht.
»Urgh! Blanco du solltest auf Flash aufpassen!«, fauchte ich.
Sein Gesicht erhellte sich.
»¡Dios mio Lu! Das ist doch nicht dein Ernst!«
Mein Gesicht verzog sich zu einer wütenden Miene. Ich schmeckte Bitterkeit in meinem Mund.
»¿Que? Blanco du wirst jetzt auf Flash aufpassen!«, knurrte ich.
Und es kostete mich Überwindung, denn ich wollte ihn um nichts bitten.
Doch das gehörte zu meinen Schwächen und diese durfte ich mir nicht erlauben. Ich musste unerbittlich sein, ich musste undurchdringbar wie Stahl sein.
»¡No!«, widersprach Blanco, ganz so, wie ich es mir gedachte hatte.
»¿NO
»¡NO
»¡Blanco tu prometiste
»¿Cuando debería haber prometido eso?«, fragte er.
Ay!
»Blanco, por favor. Tu prometiste el lunes
Er seufzte.
»Bueno«, antwortete er gedehnt und gab nach. Bingo!
Die Tatsache dass er genervt drein blickte ignorierend, warf ich mich in seine Arme.
Ich drückte ihm die Leine in die Hand und rannte schnell zurück zu meinem Auto. Ich winkte nochmal und fuhr dann davon.
Jetzt hieß es aber wirklich, alles im Schnelldurchlauf durchzuführen.
Ansonsten würde dieser Abend hässlicher enden, als geplant.

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