Kapitel XXXII

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Ganz ehrlich.
Ich hatte keine Ahnung was ich von dem Abendessen vergangene Woche halten sollte.
Seit jenem Abend, hatte ich Austin nicht mehr gesehen.
Blanco meinte es wäre irgendwas familiäres vorgefallen.
Und obwohl ich Austin eigentlich nicht ausstehen konnte—oder ich wenigstens versuchte mir das einzutrichtern—betete ich für ihn, dass keiner aus seiner Familie, im sterben lag oder gar gestorben war.
Denn so beschissen Austin sich manchmal auch verhielt, das wünschte ich einfach niemandem.
Gerade weil ich so viele geliebte Menschen in meinem Leben verloren hatte.
Wo wir gerade bei geliebten Menschen waren; es war der elfte November und mein Vater war wieder in der Stadt.
Als er vor einigen Tagen hier ankam, war er tatsächlich nüchtern gewesen.
Trotzdem sprach er nicht viel.
Er kam lediglich kurz ins Wohnzimmer, als ich gerade dabei war The Flash zu schauen.
Und ja, ich hatte tatsächlich Mal seit einer Ewigkeit ein wenig Zeit für mich und den schnuckeligen Barry Allen gehabt.
Jedenfalls teilte Papá mir mit, dass er in der nächsten Zeit später Zuhause sein würde.
Und er hatte sein Wort gehalten.
Es war gerade 22:03 Uhr und er war noch immer nicht Daheim.
Es war echt gruslig, dass er so schuldunbewusst mit mir sprach.
So als könnte er sich noch nicht einmal mehr daran erinnern, dass er mich jemals so grauenhaft behandelt hatte.
Und diese Tatsache, schmerzte mehr als irgendwelche Schläge seinerseits.
Ich beschloss, dass ich für heute genug trainiert hatte.
Ich hatte um kurz vor acht angefangen und meine Muskeln kribbelten bereits. Und das war sicher nicht gesund.

Ich stellte die laute Stereoanlage ab und schnappte mir mein Telefon.
Als hätte ich alle Zeit der Welt, schlenderte ich zu dem Badezimmer rüber und schloss die Tür hinter mir ab.
Ich wusste nicht einmal weshalb ich sie abschloss, da ich ja sowieso allein war. Es war einfach eine Art Schutzmechanismus meines Körpers.
Ein Reflex.
Sowie bei dem menschlichen Auge. Wenn etwas auf es zurast, setzte der unwillkürliche Reflex ein, und das Auge schloss sich mit dem folgenden Wimpernschlag. Es passierte einfach, man konnte es nicht kontrollieren. 
Das, sollte man in seinem Zuhause definitiv haben.
Vielleicht als Matt Damon in the Bourne Identity...?
Ha Ha.
Was stimmt nicht mit dir Lu? Wieso zum Teufel denkst du ausgerechnet jetzt an Reaktionszeiten?
Mr Archer, der neue Bio-Lehrer, unterrichtete Biologie grandios.
Sowas. Von. Verkorkst.
Das war ich wohl...

Ich seufzte und schaltete eine Playlist ein um gleich danach rasch unter die Dusche zu springen.
Kalt.
So konnte ich immer schon am besten abschalten, Schmerzen betäuben und zusätzlich sparte es Geld.
Sparsam, ganz wie mein Vater.
Wenigstens eine gute Eigenschaft die er mir vererbte.
Jedenfalls, für mich persönlich war es einfach angenehmer und erfrischender so zu duschen und half mir dabei runterzukommen.
Und solange ich mir sagte, dass ich das verdiente, machte mir die Kälte auch nichts aus.

Etwa fünf Minuten später, verließ ich die Dusche—angezogen—und verzog mich in mein Zimmer.
Zu meiner Überraschung, erledigte ich noch meine erstaunlich einfachen Hausaufgaben.
Als ich auch damit fertig war, kramte ich mir noch meine Sachen für den morgigen Tag zusammen und stopfte sie in meine Tasche.
Gerade als ich mich in mein Bett legen wollte, hörte ich die Eingangstür ins Schloss fallen.
Keine Sekunde später, hörte ich wie mein Vater nach mir schrie.
Mich überfiel ein unangenehmer Schauer.
Er brachte eine Gänsehaut und ein rasendes Herz mit sich.
Mein Puls schoss in die Höhe und ich brach in kaltem Schweiß aus.
Ich konnte das Blut förmlich in meinen Ohren rauschen hören.
Und ich konnte seine Schläge jetzt schon spüren. Manche Menschen sagten sowas wäre unmöglich.
Aber...die Art wie er mit mir umging und sprach.
Jedes Mal wenn er mir eine Ohrfeige, einen Faustschlag oder einen Hieb verpasste.
Das darauffolgende und unerträgliche Kribbeln oder das Pochen, welches in das Gefühl überging, das jene Stelle anzuschwillen schien.
Neugierige und mitfühlende aber so unwissende Blicke der Menschen die meine blauen Flecken zu Gesicht bekamen. Ich trug sie mit Stolz.
Klar war ich nicht stolz darauf jeden Tag von meinem eigenen Vater verprügelt zu werden. Und ja ich versteckte meine Verletzungen auch oft, aber das tat ich nur zur Sicherheit.
Und diese ganzen Prellungen und Verletzungen mit Stolz zu tragen, und so zu tun als wäre es bloß wieder eine kleine Prügelei außerhalb der Schule gewesen, war auch nichts weiter als Fassade um meinen Vater und mich, meine Familie, zu schützen.
Und es war ganz sicher nicht einfach das zu tun. So zu tun als wären sie eine Medaille.
Dass musste man einfach verstehen.
Anders ging es nämlich nicht.
Es war die einzige Option, denn so würde niemals irgendwer auf den wahren Grund meiner Blessuren kommen.
  Als hätte mein Vater meine Gedanken gehört, rief er erneut meinen Namen.
Panik breitete sich in mir aus. Ich konnte sie bis in meine Zehenspitzen spüren.
Die Angst saß wirklich, wirklich tief in meinen Knochen.
Doch das schwache Wesen in mir, die echte Lucía, ignorierte all das willkürlich und hoffte weiter auf ihren echten Papá.
  Reflexartig griff ich nach der Klinke um meinem Vater zur Hilfe herbeizueilen, hielt jedoch inne.
Ich dachte daran was gewesen wäre wenn ich so tat als würde ich schlafen. Wobei ich wusste was er dann tun würde...
Was wenn ich mich versteckte und er denken würde ich wäre nicht da. Ich dachte daran was er tun würde.
Was er tun würde, würde ich irgendwann fortgehen. Würde ich plötzlich nicht mehr da sein.
So ein Quatsch. Sei nicht so egoistisch!, schrie eine Stimme in meinem Kopf. Stimmte es? War ich egoistisch?
Das war doch völliger Blödsinn! Welche grausame Tochter dachte nur an sowas und zögerte den Moment hinaus, um ihrem Vater nicht helfen zu müssen?!
Die Tochter die sich ein einziges mal selbst helfen will?, erklang eine weitere Stimme in meinem Kopf.
So selbstgefällig konnte ich nicht sein.
Immerhin ist er mí Papá.
  Kopfschüttelnd drückte ich die Klinke letzten Endes doch runter und rannte die Wendeltreppe aus Mamor hinunter.
»Lucía!«, brüllte er.
»Wo warst du?! Bist du taub, du verdammtes, ungezogenes Miststück?!«
Ich wusste nichts zu erwidern und ging davon aus es eine rein rhetorische Frage gewesen war.
Also schwieg ich.
»Antworte mir gefälligst wenn ich mit dir spreche«, lallte er und der starke Geruch des Alkohols, welchen er wohl getrunken hatte, fand seinen Weg in meine Nase.
»Verzeihung«, murmelte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Habe ich dich so erzogen? Haben wir dich so erzogen?!«
Gerade als ich dachte er würde sich beruhigen und ich würde unversehrt bleiben, fing er wieder an zu brüllen und ohrfeigte mich.
Wie konnte ich auch nur davon ausgehen mein Vater würde sich beruhigen...
Ich hielt mir meine pochende Wange und blickte beschämt zu Boden. Vielleicht ohrfeigte mein Vater mich aus dem falschen Grund.
Dennoch hatte ich die Ohrfeige verdient da ich...gezögert hatte.
Ich wollte mich lieber verstecken als mich mit meinen Problemen rumzuschlagen.
Ich erschrak. Ich hatte meinen eigenen Vater, mein Fleisch und Blut, gerade ein Problem genannt.
Wäre mein Körper nicht von Taubheit übernommen worden, würde ich mir jetzt wahrscheinlich vor Schreck die Hand vor den Mund halten. Ich konnte es meinem Vater nicht einmal übel nehmen würde er mich ein weiteres Mal schlagen...
»Wir haben dich besser erzogen. Bring mir und deiner Mutter mehr Respekt entgegen!«, brüllte er erneut, plötzlich seltsam nüchtern, auf Spanisch.
Er spuckte die Worte gerade zu aus.
»Es ist so unfair Hija
Plötzlich war da kein einziger harscher und schroffer Ton mehr zu hören. Viel eher, flüsterte mein Vater und hörte sich...so verletzlich an.
Ich wusste nicht mit diesem plötzlichen Umschwung umzugehen.
Weisst du denn jemals mit deinem Vater umzugehen?, erklang wieder eine andere Stimme in meinem Kopf. Nein. Anscheinend nicht...
»Wieso siehst du nur genauso aus wie sie? Es ist so unfair...«
Gerade lag seine Hand noch, geradezu liebevoll, auf meiner Wange, bis er sie, als hätte er sich verbrannt, zurück zog und den Kopf merklich schüttelte.
Als er danach aufsah, mir direkt in die Augen, war da wieder dieser unbändige Zorn. Der Zorn, vor dem ich eine solche Angst hatte.
Und ehe ich weiter denken konnte, schubste er mich während er mir weiter Vorwürfe machte.
Irgendwann stolperte ich, ich riss die Augen auf und fiel...

Fortsetzung folgt...

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