Kapitel 7

2.3K 98 61
                                    

»𝓚omm schon, Aurelia, du musst etwas essen!«, sagt meine Mutter hoffnungsvoll mit diesem Unterton, der mir verdeutlicht, dass ich tun sollte, was sie von mir verlangt.

Doch meine Gedanken kreisen gerade nur darum, dass der Pfannkuchen 182 Kalorien hat und im Nutella ebenfalls ganze 81 Kalorien enthalten sind. Ich will das nicht essen müssen, doch gerade führt leider kein Weg daran vorbei. Sobald ich fertig bin, muss ich Sport machen und alle Kalorien wieder verbrennen! Ich lasse nicht zu, dass meine Mutter mir meine Erfolge komplett zerstört.

Widerwillig schneide ich den Pfannkuchen in kleine Stücke, doch vorher trinke ich ein ganzes Glas Wasser, damit das Sättigungsgefühl schneller eintritt.

Als ich den ersten Bissen qualvoll herunterschlucke, habe ich das Gefühl, dass die Kalorien schon förmlich an meiner Figur ansetzen und ich gleich zehn Kilogramm schwerer bin.

»Schatz, jetzt stell dich doch nicht so an. Es ist nur ein Pfannkuchen. Außerdem hast du sie früher immer geliebt!«, äußert sich meine Mutter nun wieder. Warum lässt sie mich nicht in Ruhe, wenn sie mich schon zum Essen verdonnert? Abgesehen davon ist es nicht einfach nur ein Pfannkuchen. Für mich sind es 263 Kalorien zu viel, die ich erstmal wieder verbrennen muss. Unnötige Dickmacher, die meinen ganzen Tag und nicht zu vergessen meine Erfolge ruinieren, weshalb ich mich jetzt schlecht und hässlich fühlen muss.

Ich schweige weiterhin; traue mich nicht, sie anzuschauen und schäme mich für das, was ich hier tue. Mein schlechtes Gewissen plagt mich und der Gedanke an die Zahlen sorgt beinahe dafür, dass mir das schreckliche Essen in meiner Luftröhre stecken bleibt und ich ersticke. Wobei das gar nicht mal so schlimm wäre — dann müsste ich immerhin nichts mehr essen!

Die Hälfte habe ich geschafft und es fühlt sich tatsächlich so an als würden Steine in meinem Magen liegen. Ich fühle mich voll, was definitiv nicht gerade angenehm ist. Das war immer das, was ich am Essen gehasst habe — das Völlegefühl. Es ist einige Tage her, dass ich das das letzte Mal gespürt habe und ich muss ehrlich sagen, ich habe es kein Bisschen vermisst. Viel eher liebe ich das Gefühl von einem leeren Magen, der schon schmerzt, weil ich einige Stunden nichts mehr zu mir genommen habe. Es ist unbeschreiblich und lässt mich auf Wolke sieben schweben. Ich habe es nicht verdient zu essen und satt zu sein, ich bin zu fett dafür. Doch das Wichtigste, was ich dann spüre ist, dass ich lebe, obwohl ich es oft gar nicht mehr möchte. Es kommt mir so vor als würde sich das alles widersprechen — was vermutlich auch so ist.

Meine Gedanken fahren zusammen mit mir Achterbahn und obwohl mir schon übel ist, schaffe ich es nicht auszusteigen. Alles dreht sich — es ist ein Teufelskreis. Das Schlimme am Nachdenken ist, dass man seine Gedanken nicht beeinflussen kann. Ich versuche mich zusammenzureißen, meiner Mutter zuliebe, doch ich schaffe es nicht. Stattdessen spüre ich wie meine Atmung schneller wird und mein Herz immer stärker und lauter schlägt. So sehr ich auch versuche das zerkaute Essen herunterzuschlucken, es gelingt mir nicht.

»Es tut mir leid, Mama...«, stottere ich, bevor ich ruckartig das Besteck zurück auf meinen Teller lege, von meinem Stuhl aufspringe und ins Badezimmer sprinte. Nachdem ich abgeschlossen habe, sinke ich auf den Boden. Ich schaffe das alles nicht, ich will nichts essen!

Tränen laufen in Strömen an meinen Wangen herunter und meine Brust hebt und senkt sich viel zu schnell als sie sollte. Ich bin total verzweifelt und überfordert, weiß einfach nicht, was ich machen soll. Auf keinen Fall darf ich aufgeben. Doch noch bevor ich weiterdenken kann, klopft meine Mutter an der Tür.

»Aurelia, mach sofort auf!«, ruft sie. Doch ich weiß nicht, ob ich tun soll, was sie will. Sie würde mich nur wieder zum Essen zwingen, aber ich kann es nicht, weil es mich zerstört.

Die magere WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt