Kapitel 33

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𝓖leich sehe ich endlich Liv und Grace wieder, worauf ich mich schon die ganze Zeit riesig gefreut habe. Wir haben uns viel zu lange nicht mehr gesehen, unter anderem, weil die beiden sehr viel um die Ohren haben. Sie befinden sich genau in der Klausurenphase und auf einmal bin ich doch ziemlich froh, dass ich nicht zur Schule muss, auch wenn mir dieser Ausgleich fehlt.

Wir gehen essen, was mir nicht so gut gefällt, aber das wird mir dieses Mal nicht alles kaputtmachen. Schon viel zu oft habe ich deswegen abgesagt — um Essen zu meiden.

Nach ungefähr einer Viertelstunde stehe ich vor dem Restaurant, zu dem wir früher fast jede Woche gegangen sind. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wann ich das letzte Mal hier war. Liv, Grace und ich haben vorher meistens zusammen einen Film im Kino geschaut, welches auf der anderen Straßenseite liegt, und haben uns danach die Bäuche vollgeschlagen, bis wir alle beinahe geplatzt wären.

Doch dieses Mal ist es anders. Dieses Mal bin ich die gestörte Aurelia, die Essen mehr als alles andere hasst und sich um hundertachtzig Grad gedreht hat. Die sich von allem zurückgezogen und isoliert hat. Ich bin nicht mehr die, die ich früher war. Vielleicht ist es gut, aber in dieser Hinsicht eher weniger. Früher habe ich mich mehrmals in der Woche mit meinen beiden besten Freundinnen getroffen und heute habe ich nur noch Kalorien im Kopf und wie ich am wenigsten essen und am meisten wieder verbrennen kann.

Es ging mir nie ums Abnehmen. Und mittlerweile ist in meinem Leben so gut wie nur noch dafür Platz.

Wie konnte das alles nur passieren? Wie konnte es bloß so weit kommen? Und vor allem wieso habe ich es so weit kommen lassen?

Mein Körper zittert und ich hoffe, dass die beiden jeden Moment eintreffen werden, da wir ausgemacht hatten, dass wir uns vor dem Restaurant treffen. Der Winter steht vor der Tür, worüber ich mich ganz und gar nicht freue. Ich hasse Kälte, auch wenn man beim Frieren Kalorien verbrennt.

»Hey!«, quietscht jemand hinter meinem Rücken, weshalb ich mich zu der Stimme umdrehe. Meine kleine, blondhaarige beste Freundin strahlt mich fröhlich an und läuft mir mit ausgebreiteten Armen entgegen.

»Hey, Kleine«, sage ich und schließe Liv in meine Arme. Sie drückt sich an mich und schließt ihre ozeanblauen Augen, in denen sich mit Sicherheit schon einige Jungs verloren haben.

»Ich habe dich vermisst«, flüstert sie gegen meine dicke Winterjacke und meinen kuscheligen Schal, während sie ihre Arme noch mehr um mich schlingt.

»Ich dich auch...«

Wenige Minuten später trifft auch Grace ein, die mich ebenfalls in eine enge Umarmung schließt. Ihre hellbraunen Haare fallen locker über ihre Schultern und der grauer Mantel passt gut zu der weißen Hose, die sie trägt und ihrer Figur schmeichelt.

Die beiden sind bildhübsch, das kann niemand abstreiten. Ich habe sie schon immer ein wenig beneidet. An ihnen sieht jedes Kleidungsstück hervorragend aus und ich bin nie mit mir zufrieden. Auch Liv hat sich heute wieder mal richtig hübsch gemacht. Sie hat ihre Haare gelockt, trägt dazu eine rote Jacke sowie eine schwarze, enganliegende Jeans.

Und ich? Ich sehe aus wie immer — das war's. Man merkt, dass ich seit längerem nicht mehr shoppen war. Ich brauche unbedingt neue Klamotten.

Ich hatte keine Zeit, um mich um neue und schöne Kleidung zu kümmern. Das Abnehmen stand an erster Stelle und an mir sieht sowieso alles kacke aus. Also habe ich mir den Aufwand einfach gespart, da mir ohnehin nichts gepasst hätte.

»Lasst uns reingehen, ich habe echt Hunger!«, ruft Liv und zieht uns hinter sich her.

Die junge männliche Bedienung zeigt uns einen freien Tisch und fragt, welche Getränke wir trinken wollen.
»Ein Wasser bitte«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen. Wenn ich gleich tausende Kalorien in mich reinstopfe, kann ich wenigstens beim Getränk sparen.

Die magere WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt