Kapitel 14

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Ihr Gesicht war so schön. Sie hatte ihre Augen geschlossen und den Kopf gen Himmel gerichtet. Dann überkam es mich. Ich musste husten, ein stechender Schmerz, als ich nach Luft japste. Blut kam aus meinem Mund gespritzt. Alles tat mir weh. Ich zitterte. Sie riss den Kopf nach unten und sah mich aus ihren tränenverquollenen Augen an. Ihre Augen, ihre wunderschönen grünen Augen. Alleine dafür hatten sich diese Schmerzen und all das Leid gelohnt. Für einen letzten Blick in ihre Augen, einen letzten Blick auf sie, den einzigen Menschen den ich aufrichtig und bedingungslos liebte. Ich musste lächeln, trotz der unerträglichen schmerzen musste ich sie einfach anlächeln. "Du Idiot!" Sie stieß mir gegen meine Schulter, nicht fest, aber ich konnte sehen, wie sie erleichtert auflachte. "Dorran, dass ist wirklich ernst." Ich sah an mir hinunter, ich musste tief ausatmen, jede Bewegung war mit höllischen Schmerzen verbunden. Ich konnte sehen, dass sie mir den Arm verbunden hatte. "Also ich finde, ich sah noch nie besser aus." Ich lachte auf, doch es änderte sich sofort zu einem schmerzverzerrtem Stöhnen. Sie schüttelte den Kopf. Ich sah wie sie am ganzen Leib schlotterte. "Wir müssen so schnell es geht zurück. Du brauchst Hilfe." Sie sah sich ängstlich um. Ich wurde etwas dösig und konnte mich nicht mehr wirklich konzentrieren. "Findest du nicht auch, dass der Mond wunderschön ist heute Nacht?" Leuchtend weiß stand der Halbmond direkt über uns. Ich war sehr müde. Ich würde nur kurz meine Augen zu machen und einen Augenblick schlafen...


"Dorran? Du musst wach bleiben, okay?" Ich sah ihn besorgt an und er öffnete seine Augen wieder. "Du hast so viel Blut verloren!" Ich sah auf die Lache aus Blut die sich um seinen geschundenen Körper gesammelt hatte. "Ich bringe dich nachhause. Ich werde dich nicht alleine lassen." Ich versuchte ihm hoch zu helfen. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Es war offensichtlich, dass er schmerzen hatte. Ich ließ ihn langsam herunter und legte ihn wieder auf meine aufgerollte Jacke, die ich unter seinen Kopf gelegt hatte. Dann hörte ich etwas. "Chio?" Eine Stimme in der Ferne. "Wo bist du?" Cailean kam auf uns zugelaufen. Im Schlepptau hatte sie Dearbhail und Liosa. "Gott sei dank! Du bist hier!" Sie verstummte als sie Dorrans Körper und den der Frau sah. Sie kniete sich neben uns und sah ihn sich kurz an. "Er hat ein paar Knochenbrüche, Hämatome, vermutlich eine Milzruptur. Innere Blutungen." Ich sah sie mit großen Augen an. "Woher?" Rutschte es mir heraus, doch sie lächelte mich nur an. "Wir müssen ihn stützen und so schnell wie möglich ins Haus bringen." Sagte sie und im selben Augenblick ließ sie zwei Kristallstäbe aus dem Boden wachsen. "Damit können wir ihn stützen. Das Portal ist etwa 100 Meter in diese Richtung." Sie hob einen Finger. Dann schob sie die Stützen unter Dorrans verletzten Körper. "Vorsichtig." Ermahnte sie sich selbst. Doch ich konnte sehen, wie jede Veränderung seiner Position ihn in unermessliche Schmerzen versetzte. Cailean griff nach zwei der Enden und nickte mit dem Kopf zu den anderen Beiden. Dearbhail und Liosa griffen beide jeweils einen der Stäbe und langsam hoben sie ihn hoch. Er ließ ein Stöhnen ertönen, doch biss sich auf die Lippe. Ein Tropfen Blut quoll hervor und lief ihm den Kiefer hinunter. "Ist schon okay. Jetzt kann dich niemand mehr verletzen." Ich griff nach seiner Hand. Seine Finger fühlten sich kalt an und er drückte schwach meine Finger. "Wir müssen uns beeilen!" Ich sah zu Cailean hoch. Sie nickte und legte an Tempo zu. Ich konnte den Spiegel nun auch sehen. Wir gingen geradewegs darauf zu. Dorrans Augen fielen immer wieder zu. Ich wurde panisch. "Konzentrier dich einfach auf meinen Herzschlag Dorran." Ich sah ihm in die Augen, doch ich konnte sehen, wie er mir immer mehr entglitt. 

Meine Augen schmerzten immer noch von der kalten Luft in den Bergen und mein Gesicht war geschwollen als ich vor der verschlossenen Tür auf und ab ging hinter der er sich befand. Cailean hatte gesagt sie müsse erst seinen offenen Bruch am Flügel versorgen bevor wir ihn ins Krankenhaus bringen könnten. Die schwere der Erschöpfung machte sich in mir breit, doch ich konnte ihn jetzt nicht alleine lassen. Immer wieder hörten wir schmerzverzerrte Schreie hinter der Tür hervorkommen. Liosa betrat den Flur auf dem ich auf und ab lief und reichte mir mein Telefon. "Sie sind auf dem Weg, sie beeilen sich. Wir müssen ihn an den Grundstücksrand bringen." Ich zuckte zusammen, als ein lautes Knacken aus dem Raum hervorkam und Dorrans Schreie verstummten. "Ich muss da rein." Ich ging zielstrebig auf die Tür zu. Doch bevor ich die Klinke überhaupt greifen konnte öffnete jemand die Tür von innen. Cailean stand dahinter. "Er ist okay. Seine Flügel sind wieder unsichtbar. Aber er muss ins Krankenhaus. Er hat eine Menge Blut verloren." Ich ging an ihr vorbei. Er lag aufgebahrt auf einer Krankenliege. "Was ist mit ihm? Er bewegt sich nicht!" Ich wollte gerade zu ihm laufen, doch Cailean hielt mich zurück. "Ich habe ihm etwas gegeben damit er ruhig ist. Sieh genau hin. Er atmet." Dann nahm sie die Hand von meiner Schulter. Ich atmete ein paar mal tief durch und beobachtete ihn. Langsam hob und senkte sich seine Brust. "Ich werde mit ihm fahren. Du kannst hinterher kommen. Aber ruh dich vorher etwas aus. Es wird vermutlich etwas dauern bis er wieder aufwacht." Von hinten griff Dearbhail meine Schultern. "Komm ich bring dich ins Bett. Wir gehen später zu ihm." Ich konnte nur noch nicken. Wie in Trance führte sie mich zu meinen Bett und deckte mich zu. Erst jetzt spürte ich das volle Ausmaß meiner Erschöpfung über mir einbrechen. 

Ich wusste nicht wie lange ich geschlafen hatte, doch draußen schien die Sonne am Himmel. Ich stand auf und sah auf die große Standuhr. 10 Uhr morgens. Ich ging ins Badezimmer. Gerade als ich unter der heißen Dusche stand fiel mir alles wieder ein. Die ganze vergangene Nacht passierte Revue. Ich sprang aus der Dusche, zog mir schnell etwas über und rannte nach unten. Dearbhail stand in der Küche. "Können wir los?" Sie nickte und wir fuhren zusammen zum Krankenhaus. 

Ich klopfte gegen die weiße Tür die die große Nummer 164 auf ihr stehen hatte. "Ja?" Ich öffnete langsam die Tür. Cailean saß auf einem Stuhl in der Ecke des Zimmers. Ihr Kopf war auf ihre rechte Schulter gefallen und sie schien zu schlafen. Im Bett lag Dorran. Sein Torso war verbunden, genauso sein linker Oberarm. Das rechte Bein war gegipst und hing an einer Schlaufe die von der Decke baumelte. Er hatte eine Infusion mit vermutlich Schmerzmitteln und einem Beutel Blut. "0 Rhesus Positiv?" Dearbhail lief an mir vorbei auf sein Bett zu. Er nickte, doch er wendete seinen Blick nicht von mir ab. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich rannte auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. "Uff!" Er holte laut Luft. "Vorsichtig! Ich bin verletzt." Sagte er gepresst, doch gleichzeitig scherzhaft. Doch ich konnte ihm nicht antworten. "Dass hat ja ganz schön lange gedauert bis du mich besuchen kommst." Ich lies ihn los und sah ihn verdutzt an. Dearbhail drehte sich zu mir um. "Du hast zwei Tage lang geschlafen." "Und euch ist nicht in den Sinn gekommen mich zu wecken als er aufgewacht ist?" Rief ich laut. Er griff nach meiner Hand und drückte sanft zu. "Ganz ruhig. Ich bin fast wieder der Alte." Er lächelte mich liebevoll an. "Liosa hat nach neuen Hexen gesucht. Beziehungsweise nach Leuten mit der Veranlagung zur Hexerei." Gähnte Cailean im Hintergrund. "Keine Sorgen. Ich bin ihm nicht von der Seite gewichen." Fügte sie spöttisch hinzu und zwinkerte Dorran zu. "Seit wir hier sind, sind bei vielen jungen Hexen ihre Kräfte zum Vorschein gekommen und nun brauchen sie ein Zuhause." Dorran sah mich aus seinen gutmütigen Augen an. "Die Hexen sind in die Welt der sterblichen zurückgekehrt. Und bei vielen hat es verborgene Kräfte erweckt. Dass ist doch genau was du wolltest." Sagte Dearbhail und stieß mir gegen die Schulter. Ich grinste sie an. "Ja, dass ist was ich wollte." Ich sah Dorran in die Augen. Eigentlich war das nun nebensächlich. Das Wichtigste war, dass es ihm gut ging. Dem einen Menschen, Hexer, den ich aus vollem Herzen liebte. Mir war egal, was der Zirkel davon halten würde. Ich würde alles schaffen, solange wir nur zusammen waren.  


- Ende



Hexen- Das ErwachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt