Nachdem Spencer aus dem Untersuchungsraum geschickt wurde, sahen sich die Ärzte das Mädchen genauer an. Es blieb anscheinend bei den Prellungen im Gesicht und den Würgemalen. Allerdings kam nach dem Röntgen heraus, dass ihr Knie zertrümmert war. Selbst die Ärzte hatten lange nicht so einen komplizierten Trümmerbruch gesehen. Sie musste sofort operiert werden, bevor die Heilung eintreten würde. Sonst würde es schief wachsen. Sie legten Jessica, die schon vorher wenig von ihrem Umfeld mitbekommen hatte, in Narkose und schoben sie in den OP.
Aufgeregt lief Spencer in dem Warteraum hin und her, hoch und runter. Er schwitze vor Aufregung und konnte einfach nicht stillstehen. Was war mit ihm los? Er kannte das Mädchen kaum. Trotzdem fühlte er sich verantwortlich. Sie hatte IHN angesprochen! Jetzt wollte er auch gefälligst da sein und helfen!
,, Reid!“ Stürmten auf einmal JJ und Derek in den Warteraum.
,, Ist alles in Ordnung bei dir, Kleiner?“, fragte Morgan sofort und legte sein Stirn besorgt in Falten. Selten sah er den jungen Doktor so aufgewühlt. Lag es wirklich nur an dem Fall?
,, Ja, ja! Ich muss nur hier warten. Ich muss ihr helfen können. Ich-“, stotterte Reid komplett abwesend. Er fühlte sich plötzlich so schlecht. Was, wenn bei der OP etwas schief laufen würde? Hätte er damals sofort eingegriffen, wäre sie jetzt nicht solch einer Lage! Noch mehr Schuldgefühle prasselten auf ihn ein.
,, Du musst gar nichts!“, unterbrach Morgan ihn und drückte ihn mit sanfter Gewalt auf einen Stuhl.
,, Doch muss ich! Wäre ich nicht so verdammt dumm gewesen, wäre dieses Mädchen jetzt nicht in diesem OP und ihr Vater würde noch leben!“, knurrte Spencer jetzt wütend, schubste Derek von sich und stand wieder vom Stuhl auf.
,, Warum bin eigentlich nur ich hier? Macht sich den niemand anderes Sorgen um dieses Mädchen?“, fragte Spencer wieder etwas ruhiger und schaute Morgan dabei entschuldigend an.
,, Deswegen sind wir hier. Sie hat kein-“, fing JJ an alles zu erklären, wurde aber von, der sich öffnenden Klapptür hinter sich, unterbrochen.
,, Sind sie hier für Jessica Taylor?“, fragte ein ernst aussehender Arzt, er war der Oberarzt. Alle drei nickten.
,, Wie geht es ihr? Hat sie die OP gut überstanden?“, platzte es sofort aus dem Jüngsten heraus.
,, Es geht ihr den Umständen entsprechend. Sie hat einen sehr komplizierten Trümmerbruch am Knie erlitten. Wir mussten eine Platte einsetzten und alles wird momentan mit 7 Nägeln zusammengehalten. Sie wird eine Schiene tragen müssen und ihr Bein für die nächsten 6 Wochen nicht belasten dürfen. Sie wird erst danach anfangen können das Bein wieder zu bewegen und zu krümmen. Sie wird auf jeden Fall zur Physiotherapie gehen müssen. Außerdem mussten wir ihr eine offene Wunde im Gesicht nähen. Sie ist jetzt sehr erschöpft und wird die nächsten Tage hauptsächlich schlafen. Sie ist im zweiten Geschoss in Raum 2011“, erklärte der Doktor mit bewegterStimme.
,, Danke, Doktor“, gab Morgan zurück.Als die drei schließlich im Fahrstuhl standen, um Jessicas Zimmer zu erreichen, fasste Morgan wieder das Gespräch von vorhin auf.
,, Hör zu Reid, sie hat noch nicht alles hinter sich. Ihr Vater war ihr letzter-“, erneut wurde die Erklärung unterbrochen.
,, Ich möchte gleich alleine in das Zimmer gehen, in Ordnung? Könnt ihr bitte vor dem Zimmer warten? Danke.“ Ohne eine Erwiderung von seitens der älteren Agents, machte sich Reid nach dem Pling des Fahrstuhls auf den Weg zu Zimmer 2011.
Tief atmete er durch, dann trat er in das Zimmer ein. Leise und vorsichtig schloss er die Tür hinter sich und schlich sich zu ihrem Bett. Sie hatte zum Glück ein Einzelzimmer.
Er stellte sich rechts neben ihr Bett und betrachtete sie mitleidig und schuldbewusst. Spencer tat es leid so zu denken, aber sie sah wirklich schrecklich aus.
Von den vielen Röhren und Schläuchen, die sie umgaben mal abgesehen, fiel einem sofort die genähte Wunde im Gesicht auf. Sie war direkt über der rechten Augenbraue und immer noch angeschwollen. Ihre Lippen waren hart verkrustet und ihre Hals zeigte immer noch deutliche Würgemale. Die Haare sahen immer noch sehr ungepflegt aus. Unbewusst musste er an die lächelnde Jessica Taylor auf dem Foto denken. Würde er je dieses wunderschöne Lächeln sehen können?
Bevor Spencer sie sich weiter ansah, versicherte er sich am Monitor, dass ihr Herz ordentlich und regelmäßig klopfte. Zufrieden nahm er es zur Kenntnis und schaute dann an ihrem Körper hinab. Sie hatte ein weißes Krankenhaushemd an und wurde von einer ebenso weißen Decke bedeckt. Ihr linkes Bein lag auf einer weichen Stütze, außerhalb der Decke, und war schon jetzt in einer festen Schiene gehalten. Sie atmete immer noch ruhig und gleichmäßig.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und eine etwas ältere Dame, mit einer viel zu großen Brille auf der Nase und etwas zu viel Speck auf den Hüften, trat ein.
,, Hier liegt Jessica Taylor, oder? Ich bin vom Jugendamt und-“, fing sie mit genervter Stimme an. Schließlich war es drei Uhr nachts, aber sie musste laut ihrer Chefin unbedingt nach diesem armen Mädchen gucken, welches ja jetzt ganz alleine war.
,, Sind Sie verrückt? Reden sie gefälligst leiser!“, flüsterte Reid mit einem scharfen Unterton und dirigierte die Frau aus dem Zimmer. Verwundert schaute er sich um, als sein komplettes Team vor ihm stand.
,, Wir konnten sie nicht aufhalten, sie ist vom Jugendamt“, erklärte Emily sofort, als sie Spencer verwirrten Gesichtsausdruck sah.
,, Jugendamt?“, fragte Spencer.
,, Das haben JJ und ich ja versucht dir zu erklären. Jessica hat keine lebenden Verwandten mehr. Ihre Eltern waren alles, was sie hatte. Sie wird nach dem Krankenhausaufenthalt in ein Heim oder zu einer Pflegefamilie müssen“, beendete Derek endlich seine Erklärung. Spencer allerdings, blieb der Mund offen stehen, Garcia wollte den Jungen gerade beruhigen, als dieser schon wieder zu Wort kam.
,, Habt ihr dieses Mädchen gesehen? Wie sie dort liegt? Was sie durch gemacht hat? Ihr Name ist Jessica! Sie hat Verdammtes gesehen und miterlebt und ihr wollt sie einfach in eine komplett fremde Umgebung abschieben?! Sie braucht etwas Bekanntes, etwas Vertrautes, an dem sie sich ihr Leben wieder neu aufbauen kann. Jemand, der auf sie aufpasst! Nicht eine komplett fremde Familie oder gar ein überfülltes Heim!“
Alle aus dem Team sahen ihn entweder mitleidig, verständnisvoll oder überfordert an.
,, So sind die Vorschriften“, kommentierte die Jugendamt-Tussi und ließ ihr aufgeblasenes Kaugummi platzen. Schnaubend raufte Spencer sich die Haare und schaute Hotch dabei fordernd an, er musste jetzt was sagen.
,, Entschuldigen Sie bitte, Jessica Taylor wird vorerst mit zur BAU kommen. Sie muss befragt werden und Personenschutz bekommen“, sagte Aaron zu der Frau vom Jugendamt mit einem Ton, der keine Widerrede ließ.
,, Na gut, dann ist das Mädchen jetzt erst einmal Ihr Problem. Ich werde mit meiner Chefin darüber reden! Guten Morgen!“ Mit übertriebener wackelnder Hüfte und einem beleidigtem Schnauben machte sie sich auf zum Fahrstuhl.
,, Personenschutz? “, fragte Morgan leise zu Hotch. Hotch lächelte nur, er hatte erreicht, was er erreichen wollte.
,, Und wo soll sie dann nach dem Krankenhausaufenthalt hin? Sind kann schlecht im Büro schlafen!“, argumentierte Emily.
,, Na zu mir. Wohin denn sonst?“, sagte der Jüngste des Teams, er fühlte sich verantwortlich. Alle drehten sich zu ihm um.
,, Zu dir, Kleiner? Hast du dich schon jemals um ein Kind oder Teenager gekümmert?“, fragte Derek mit hochgezogener Augenbraue. Er vertraute dem Jungen schon viel an, aber auf ein pubertierendes Mädchen aufzupassen?
,, Reid schafft das schon, schließlich wird Jessica bei ihm erst einmal in der Übergangszeit wohnen. Bald wird das Jugendamt uns wieder an den Hacken hängen, dann muss eine Langzeitlösung her“, erklärte Hotch und blickte Reid dabei erst an. Aaron war sich sicher, dass es das Mädchen nirgendwo besser haben könnte als bei Reid. Zumindest momentan.
In diesem Moment kam eine junge Krankenschwester den Gang entlang, sie wollte in Jessicas Raum um nach dem Rechten zu sehen. Erwartungsvoll sah sie die Profiler an, die sich alle vor dem Zimmer aufgestellt hatten.
,, Entschuldigung, ich muss nach der Patientin sehen. Wer gehört zu ihr?“, fragte sie also mit strenger Stimme.
,, Wir gehen dann mal...“, meinte Derek zu Reid, klopfte dem Jüngsten einmal auf die Schulter und ging den Gang hinab zum Fahrstuhl, der Rest des Teams folgte ihm. Jetzt stand nur noch Reid da.
,, Ja, ähm, ich“, stotterte Spencer nervös. Er hatte auf einmal so viel Verantwortung. Er sollte auf Jessica aufpassen. Das wurde ihm in diesem Moment klar. Ein bisschen Stolz machte sich ebenfalls in ihm breit und er musste lächeln.,, Sind Sie ihr Bruder, oder so?“, fragte die Krankenschwester, die sich als Hannah vorgestellt hatte. Sie wechselte den Tropf aus und schaute Reid danach fragend an.
,, Was? Ähm, nicht direkt. Man könnte sagen, ich wäre ihr Onkel.“ Spencer lächelte schief und verfluchte sich selbst, dass er so hibbelig war. Nie konnte er normal mit Frauen sprechen...
,, Onkel? Na gut. Sie braucht jetzt unbedingt jemanden, der auf sie aufpasst. Ich hoffe, Sie werden gut für sie sorgen. Ihr geht es wirklich nicht gut.“ Mit einer gewissen Strenge musterte Hannah Spencer jetzt.
,, Doch, dass werde ich!“, versicherte Reid und Hannahs Gesichtszüge entspannten sich. Noch einmal nickte sie ihm zu und verschwand dann aus dem Zimmer.
Jetzt war es ruhig. Nur das Piepen vom Beatmungsgerät war zu hören. Reid nahm sich einen Stuhl, stellten ihn neben Jessys Bett und setzte sich drauf. Er lehnte sich leicht nach vorne und stellte seine Ellenbogen auf seine Knie ab. Nachdenklich schloss er die Augen. Hoffentlich würde er nichts falsch machen.
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Ich will nicht zurück (Spencer Reid fanfiction)
FanficSpencer Reid ahnte nicht, was ihn alles erwarten würde, als ein junges Mädchen ihn um Hilfe bat. Sie wurde entführt und durchlebte die Hölle. Spencer macht es sich zur Aufgabe, ihr zu helfen. Aber war es schon zu spät? Hatte dieses Mädchen überhaupt...