Vertrau mir

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Jessy wachte als erstes auf. Verschlafen rieb sie sich die Augen und schaute sich im Raum um. Die große Wanduhr tickte vor sich hin, es war 7 Uhr. Erstaunt stellte sie fest, dass Spencer auf dem Sessel gegenüber ihres Bettes geschlafen hatte. Ziemlich verrenkt saß er in dem Sessel, das gab bestimmt Nackenschmerzen.
Unbemerkt versuchte sie aus ihrem Bett zu rutschen, um ins Bad zu gelangen.
Vorsichtig griff sie nach ihren Gehhilfen und hievte sich hoch. Ein Fehler. Sie hatte die Schmerzen wiedereinmal unterschätzt. Wie ein Blitz zog der Schmerz durchs Knie und danach durchs restliche Bein. Leise fluchend gab sie es auf und lehnte sich ans Sofa.
Ihr Kampfgeist war wieder fort. Alleine diese Schmerzen im Knie stimmten sie wieder um. Sie versuchte tief durchzuatmen.
,, Guten Morgen, Jessy."
Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und klammerte sich noch fester an die Gehhilfen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass Reid wach war. Grummelnd stand er von dem Sessel auf und streckte sich. Seine Knochen knackten ein wenig und seinen Hals musste er ein paar Mal komisch bewegen, bis wieder alles in Ordnung war. Seine kurzen braunen Haare standen in alle Richtungen ab, noch mehr als sonst.
,, Was machst du da?", fragte Spencer interessiert und musterte sie. Verkrampft hielt sie sich an ihren Krücken fest und lehnte leicht am Sofa an.
,, Eigentlich wollte ich nur leise ins Bad gehen..."
,, Ich helfe dir", entschied Spencer. Hätte er seine Hilfe nur angeboten, hätte sie nur wieder abgelehnt. Jessica schaute ihn entschuldigend an.
,, Sind die Schmerzen im Knie wieder schlimmer geworden?", fragte Spencer, als sie im Bad angekommen waren und sie sich erschöpft hinsetzte. Sie hatte ein paar Tränen in den Augen.
,, Ja", gab sie zu.
Spencer sah sie überfordert an. Er hatte doch eine andere Antwort erhofft. Jessy sah ihm das nur zu deutlich an und fühlte sich sofort total nervig und belastend für ihn.
,, Tut mir leid", flüsterte sie deshalb und drehte sich von ihm weg zum Waschbecken.
,, Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Ich mache mir nur Sorgen um dich", seufzte Spencer.
,, Das ist ungewohnt." Es war nicht mehr als ein Hauchen. Spencers Herz zog sich zusammen. Er schüttelte leicht den Kopf und schloss die Augen. Sie tat ihm einfach so leid.
,, Ich mach das für dich", sagte er deshalb und half ihr beim Waschen und Vorbereiten für den Tag.

Kurze Zeit später saßen beide im Wohnzimmer. Jessy fühlte sich gleich etwas besser, so frisch. Ihr Bein hatte sie wieder auf dem Hocker liegen, es schmerzte in dieser Position sogar kaum, und Spencer saß ihr gegenüber in dem großen Sessel. Es herrschte eine angenehme Stille und jeder ging seinen Gedanken nach.
Spencer überlegte, wie er sie wieder auf das Thema der Beerdigung und der Befragung mit Hotch ansprechen sollte.
Sie dachte an die Zeit im Krankenhaus und blieb dann an einem Gedanken hängen.
,, Ähm, Spencer?", fragte sie schüchtern.
,, Ja?" Er lächelte sie leicht an.
,, Wer war der dunkelhäutige Mann aus dem Krankenhaus? Dirk, oder so ähnlich, hieß er."
,, Du meinst bestimmt Derek. Ja, er ist ein gute Freund und Kollege von mir", erklärte Spencer.
,, Arbeitest du beim FBI? Du hattest so eine Weste um", fragte Jessy weiter und biss die Zähne fest zusammen. Hoffentlich nervte sie ihn mit dieser Fragerei nicht.
,, Um genauer zu sein bei der BAU, der Behavioral Analysis Unit. Wir sind Profiler." Es war nicht zu übersehen, wie stolz er gerade war.
,, Profiler? Mein Dad hat mir davon mal etwas erzählt... Es war mal sein Traumjob aber letztendlich saß er nur im Büro. Er war Steuerberater." Spencers Stolz verschwand augenblicklich.
Irgendwie versuchte er die Situation zu retten.
,, Würdest du gerne mal unsere Zentrale sehen?", fragte er deshalb, im Hinterkopf behaltend, dass sie vielleicht auch zur Befragung könnte. Zwar wollte er sie nicht zur Befragung schicken aber es musste leider sein. Einer dieser Momente, warum er Vorschriften hasste.
,, Ich weiß nicht, ob es so gut ist. Ich kann kaum laufen und die Treppen will ich auch nicht runter", seufzte Jessy. Ein wenig reizte es sie schon in die Zentrale zu fahren, aber das gab sich natürlich nicht zu.
,, Das ist doch kein Problem, wir haben es schließlich auch bis in meine Wohnung geschafft. Es ist wirklich interessant in der Zentrale, glaub mir", versuchte Spencer sie umzustimmen.
,, Ich weiß nicht so recht", gab sie leise von sich. Es würde bestimmt interessant dort sein aber sie hatte ein komisches Gefühl bei der Sache.
,, Es ist alles in Ordnung, wir werden nur etwas herum gucken, ja?", meinte Spencer erneut. Er wollte sie zwar zu nichts drängen, aber Ablenkung war immer gut.
,, Na ja, na gut. Was soll auch groß passieren?", stimmte sie schließlich doch zu.
,, Du wirst es nicht bereuen", sagte Spencer lächelnd, nicht wissend, dass er mit seiner Aussage komplett falsch lag.

Also machten sich die beiden für die Abfahrt fertig. Spencer suchte lediglich seine Unterlagen zusammen und Jessy zog sich ihre Jacke und Schuhe an, das dauerte auch so seine Zeit, wenn man so sehr in der Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
,, Wir halten auf dem Weg noch beim Bäcker. Du kannst dir dort was zu essen aussuchen", nuschelte Spencer, während er seine Schlüssel suchte. Jessy beobachtete ihn dabei misstrauisch.
,, Da ist er ja!"
Er schob Jessica leicht aus der Wohnung und schloss sie dann ab. Dann widmete er sich wieder dem Tragen von Jessy. Ihr war es diesmal noch unangenehmer, sie kam sich so schwer vor. Als hätte Spencer ihre Gedanken gehört, fing er an zu reden.
,, Du bist viel zu leicht, Jessy. Entschuldigung, dass ich das sage. Du hast starkes Untergewicht...", stellte er besorgt fest. Natürlich konnte das Mädchen nichts für ihr Gewicht, trotzdem musste sie jetzt etwas dagegen tun und versuchen mehr zu essen. Sie hatte schließlich schon genug Probleme.
Endlich unten angekommen setzte Spencer sie seufzend ab. Langsam gingen sie dann zu Spencers Auto.
Jessy war ein wenig übel, es fühlte sich komisch an jetzt weg zu fahren. Warum, wusste sie selber nicht.

Nachdem die Beiden noch beim Bäcker vorgefahren waren, Spencer hatte Jessy wirklich dazu gebracht ein Brötchen zu essen, kamen sie in der Tiefgarage an.
,, Da sind wir, wir müssen nur noch den Fahrstuhl nach oben", sagte Spencer und schaltete den Motor aus. Er ging schnell ums Auto um Jessy zu helfen, sie bedankte sich mit einem kleinem Lächeln. Ein Grund mehr für Spencer am Ball zu bleiben, denn ihr Lächeln hatte sie nicht verloren.
Im Fahrstuhl wurde sie plötzlich extrem hibbelig, schlimmer als Spencer normalerweise. Dieser strahlte diesmal allerdings absolute Ruhe aus.
,, Hey, es ist doch alles in Ordnung. Bleib einfach bei mir", beruhigte er sie und legte seine Hände auf ihre Schultern. Er war sonst nie auf viel Körperkontakt aus, aber bei ihr war es anders. Sie könnte er sogar den ganzen Tag in die Arme nehmen, alles würde er tun, wenn es ihr dann besser gehen würde.
Pling, die Fahrstuhltür öffnete sich.
,, Ich stütze dich, ja?", fragte Spencer sicherheitshalber nach. Sie schüttelte leicht den Kopf.
,, Ich... ich schaff das."
Diesmal wollte Jessy sich partout nicht helfen lassen und alleine laufen. Spencer nahm es so hin und ging ein paar Schritte voraus um ihr die Glastür zu öffnen. Zweifelnd sah er ihr dabei zu, wie sie sich förmlich zu ihm hin kämpfte. Er hoffte so sehr, dass die Schmerzen bald nach lassen würden.
,, Soll ich dir wirklich nicht helfen?", fragte er deshalb erneut. Sie schüttelte mit zusammengepressten Zähnen den Kopf. Sie wollte auf keinen Fall schwach rüber kommen!
,, Wir gehen gleich da vorne die kleine Treppe hoch, ja? Dann kann ich dir unseren Besprechungsraum zeigen. Hier stehst du sozusagen in unserem Großraumbüro. Hier haben die meisten Agents ihren Schreibtisch. Meiner ist da vorne und-", Spencer war gar nicht zu stoppen, bis Morgan aus Richtung Hotchs Büro zu den beiden herunter kam. Er nickte Spencer zur Begrüßung und auch etwas zur Anerkennung zu und widmete sich dann Jessy.
,, Hallo Jessica", er lächelte warm und machte sich etwas kleiner um nicht so groß für sie zu erscheinen. Jessy reagierte aber anders als erwartet und fing an schneller zu atmen. Mit kleinen Schritten entfernte sie sich von Derek und stellte sich dicht hinter Spencer. Morgan beobachtete sie dabei mit offenen Mund. Er konnte gerade keinen Gedanken fassen. Warum tat sie das? Er ging einen Schritt auf sie zu, aber sie griff darauf sofort zu Spencers Arm und fing an zu zittern.
,, Lass gut sein, Morgan", weißte Reid den verwirrten Derek zurecht.
Spencer drehte sich zu ihr um und schaute sie mit gütigen Augen an.
,, Es ist alles gut, das ist nur Derek. Hier passiert dir nichts, jeder im Raum ist nett. Vertrau mir", flüsterte er und schaute an seinen Arm, an dem sich Jessy immer noch etwas verkrampft fest hielt.
,, Ich weiß doch...", murmelte sie und schaute ihn traurig an. Mittlerweile hatte sie sich seelisch so sehr an Spencer geklammert. Sie kannten sich kaum, aber alleine diese Nacht mit dem Albtraum, brachte Jessy näher zu Spencer. Sie hing schon jetzt so sehr an ihm, niemand hätte es nach so kurzer Zeit erwartet.
,, Vertrau mir", wiederholte Spencer ein weiteres Mal.
,, Das tu ich doch." Sie senkte ihren Kopf und atmete tief durch, dann ließ sie vorsichtig seinen Arm los, ging an ihm vorbei und stellte sich wieder vor Derek. Er stand immer noch an Ort und Stelle.
,, Hallo Derek", sagte sie leise. Sie brauchte vor ihm keine Angst zu haben, nein.
Morgan atmete erleichtert auf und warf Spencer einen dankenden Blick zu.

Ich will nicht zurück (Spencer Reid fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt