Kapitel 1

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Kapitel 1

„Verdammte Scheiße, mein Pass lag doch vor einer Minute noch genau in dieser Schublade!", schrie ich verzweifelt und blickte auf die alte, leere Holzschublade, die kurz vor dem Zusammenbruch stand. Hätte ich sie weiter mit diesem Blick angestarrt, wäre dies vermutlich auch jeden Moment passiert.

Ich warf mich, wahrscheinlich zum letzten Mal in meinem Leben, auf das große Bett in meinem Zimmer und blickte verzweifelt an die Decke.
„Oh", augenverdrehend fasste ich mir an die Stirn. Ich hatte den Pass gestern Abend schon in meinen Koffer gelegt, um vorbereitet zu sein und nicht in Stress zu verfallen. Manchmal war mein Gedächtnis mit dem eines Toast zu vergleichen.

„Ist alles okay, Süße?", meine Mutter öffnete langsam meine Tür, aus Angst, mich beim Umziehen zu erwischen, denn unsere nackten Körper waren nur uns selbst, und unserem späteren Partner vorbestimmt.
Natürlich war ich schon fertig umgezogen, geschminkt und frisiert. Ich habe mir einen genauen Zeitplan für den heutigen, vermutlich wichtigsten, Tag meines Lebens erstellt, und würde niemals auf die Idee kommen, mich jetzt erst, zehn Minuten bevor wir losfahren, fertig zu machen.

„Ja, Entschuldigung Mama, ich bin einfach nur ein wenig nervös", antwortete ich und strich mir durch meine dunkelbraunen Haare. Meine Mutter lächelte und setzte sich zu mir aufs Bett.

„Juliette, vor vielen Jahren saß ich mit meiner Mutter auf der Couch und habe geheult, weil ich so unfassbare Angst vor dem Verfahren und somit meiner Zukunft hatte - Schließlich würde es über mein späteres Leben bestimmen.
Ich konnte nächtelang nicht schlafen.
Was ist, wenn der Test einen Fehler machen würde, wenn ich mein Leben mit einem falschen Partner verbringen müsste? Ich malte mir die schlimmsten Szenarien aus, doch dann unterbrach mich deine Oma und sagte, dass ich mir sie und deinen Opa angucken solle. Das tat ich dann auch", meine Mutter schüttelte lächelnd den Kopf.

„Der Test macht keine Fehler, der einzige Fehler ist es, nicht auf ihn zu vertrauen", zitierte sie meine Oma. Auch ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen. „Oma und Opa waren bis an ihr Lebensende glücklich, und Papa und ich werden es ebenso sein", sie tippte mir auf meine Nasenspitze, „und genauso wirst du es sein."
Es stimmt, meine Eltern sind ein absolutes Traumpaar. Das ließ meine tausend Gedanken, die in meinem Kopf umherschwirrten, jedoch auch nicht aufhalten.

„Was ist, wenn niemand zu mir passt oder der Test einen Fehler macht?", fragte ich sie zögerlich. Daraufhin musste meine Mutter lachen. „Süße, so etwas gibt es nicht.
Jeder Topf hat seinen Deckel und der Test hat eine enorme Datenbank und eine Erfolgsquote von 100%. Dort findet jeder seinen perfekten Partner." Sie drehte mich zum Spiegel. „Sieh, wie wunderschön du aussiehst mit deinen braunen verspielten Locken, deinen dunkelgrünen verführerischen Augen und deiner tollen Figur", sie strich mit ihren Fingern sanft an meinem Körper hinunter, welcher zugegebenermaßen wirklich gut aussah in dem weißen Kleid, das ich trug. Ganz nebenbei kaschierte es auch noch das ein oder andere Speckröllchen an meinem Bauch.

Ich bin eigentlich schlank, aber ich hatte das Glück, dass sich jedes Stück Schokolade sofort am Bauch ansetzte. Vielleicht waren es aber auch eher Tafeln als Stückchen, die meinen Röllchen zu Schulde sind.

„Danke Mama", ich drehte mich zu ihr um und umarmte sie. Ihre dunkelgrünen Augen strahlten vor Stolz. Zumindest das hatte ich von ihr geerbt. Die hellblonden Haare hat meine Schwester Liv abbekommen – Außenstehende bezeichnen uns oftmals als Yin und Yang, Engel und Teufel, zumindest äußerlich.

Im Wohnzimmer angekommen erwarteten mich mein Vater, Liv und ihr Partner Kyle schon sehnsüchtig. Der Tag des Verfahrens ist für jede Familie ein aufregender Tag, denn sie geben ihr Kind, Bruder oder Schwester, und vor allem einen guten Freund dem Verfahren und einem neuen Partner frei zur Verfügung.
Als Liv uns Kyle das erste Mal vorstellte, waren wir alle hellauf begeistert und gleichzeitig verwundert – nicht das jemand von uns je am System und dem Verfahren gezweifelt hätte, doch Liv und Kyle waren wirklich das perfekte Paar. Liv mit ihren langen blonden Haaren und braunen Augen, die voller Lebensfreude strahlten, seitdem sie mit Kyle zusammen ist, und er, der Typ in den Highschool-Filmen, in den einfach jedes Mädchen verliebt ist. Abgesehen vom Aussehen, sind ihre Charaktere aber auch perfekt aufeinander abgestimmt.

Es war nicht leicht loszulassen. Meine Eltern und ich liebten Liv über alles, und dass wir sie von nun an nur noch ein paar Mal im Monat sehen sollten, war anfangs nicht leicht, aber sie so glücklich in ihrem neuen Leben, dem Leben nach dem Verfahren zu sehen, machte das alles fast wieder gut.

„Juliette, du siehst wunderschön aus", sie drückte mich ganz fest an sich und ich spürte ihre üppigen Brüste. Punkt zwei, den ich leider nicht geerbt habe. „Wir haben natürlich noch was für dich."
Am Tag des Verfahrens bekommt jeder Teilnehmer etwas von seiner Familie geschenkt, so besagt es die Tradition. Liv kramte eine kleine Box aus dem Schrank und übergab sie mir mit einem sanften Lächeln. Als ich sie öffnete, fiel ich ihr und meinen Eltern augenblicklich in die Arme.

„Danke, Danke, Danke! Ich liebe sie jetzt schon."
In der Box befand sich eine filigrane Silberkette, mit einem kleinen Adler als Anhänger.

Ich kam viel zu früh am Testgelände an, doch meine Freunde waren bereits da. „Juli, da bist du ja endlich!", Naomi, meine beste Freundin stürmte energisch  auf mich zu und umarmte mich ganz fest. Ohne wirklich etwas erwidern zu können, zog sie mich zu den Anderen. Ihr Freund Artur hielt sie fest in den Armen und Alicia und Matt begrüßten mich ebenfalls herzlich.

Wir fünf haben uns irgendwann Ende zehnter Klasse kennengelernt, als wir zu spät zu einer Französischstunde gekommen sind und unser Lehrer uns zur Strafe dazu beauftragt hat einen 15-minütigen Film auf Französisch zu drehen, was sich als ziemlich schwer herausstellte, wenn sich unser Französischwortschatz auf „Salut" und „Ça va" beschränkte, und wir den Film also mehr mit Landschaftsaufnahmen als mit Dialogen füllen mussten.
Ob es die Verzweiflung, die 5 Kannen Kaffee und lange Nächte oder Matts schlechte Witze und Alicias Schweinelache war, die uns alle nur noch lauter lachen lassen hat, zusammengebracht hat, kann keiner von uns genau sagen, vielleicht war es die Mischung. Wir haben übrigens eine 5 für unseren Film bekommen, aber das war uns egal, denn wir haben uns gefunden, und seitdem sind wir irgendwie unzertrennlich.

„Der Test muss einfach sagen, dass wir zusammengehören!", sagte Naomi und blickte Artur verliebt in die Augen. „Das wird er schon", erwiderte er ihre Aussage und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.  „Ich hoffe, der Test wirft mir einen halbwegs gutaussehenden Typen raus. Grüne Augen, knackiger Hintern- ",
„Danke Alicia, aber du brauchst deine Fantasien nicht weiter auszuführen, abgesehen davon, dass du uns schon unzählige Male erzählt hast, wie dein Traumtyp aussieht", scherzte Matt und warf Alicia einen gespielt genervten Blick zu. Diese warf nur ihre glatten, blonden Haare hinter die Schulter und verdrehte die Augen. „Zumindest erzähle ich irgendwas über meine Wünsche und Vorstellungen, nicht so wie du, der sich schon wegdreht, wenn ich nach der Lieblingsaugenfarbe frage-"
„Wer fragt denn auch bitte nach der Lieblingsaugenfarbe, das kann man gar nicht so pauschal sagen", antwortete Matt ein wenig beleidigt.
Genau in dem Moment erweckte ein lautes Signal unsere Aufmerksamkeit.

Es ging los.

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