Kapitel 17

453 53 30
                                    

Kapitel 17

Das Rauschen um mich herum entfernte sich immer weiter, als sich meine Umgebung plötzlich zu einem weißen, luxuriösen Badezimmer umformte. Wie eine höhere Macht blickte ich auf die junge Juliette herunter, die sich skeptisch über den winzigen Pickel, welcher auf ihrer Stirn ragte, echauffierte, welcher nur ein Vorgeschmack für die Akne sein sollte, mit der sie schon bald zu kämpfen haben müsste.

Ich fühlte mich wie in einem luziden Traum, doch als mir so langsam bewusst wurde, in welchem Badezimmer ich stand, wusste ich, dass es nicht nur ein Traum war, nicht nur ein schrecklicher Albtraum.
Nein, es war echt. Es war ein Teil meiner Vergangenheit, der sich wie ein Film vor meinen Augen abspielte. Unfähig mich zu bewegen, gar diese Halluzination zu verlassen, starrte ich nun auf mein früheres Ich, wohl wissend darüber, was sich in den nächsten Minuten abspielen würde.
Die klassische Musik, die aus den Lautsprechern des Badezimmers dudelte, verlieh dem ganzen nur einen ironischen Charme.
Es war der Tag, an dem der Wettbewerb stattfand, dessen Gewinn ein Stipendium für die renommierteste Musikschule unseres Landes war.

Meine Leidenschaft für die Gitarre entdeckte ich in der 4. Klasse, als mein damaliger Schwarm sich dazu entschieden hatte, unsere Schulband als Gitarrist zu unterstützen, und ich urplötzlich starkes Interesse für dieses Instrument aufwies. Als ich ihn dann mit Naomi nach deren Auftritt Händchen Halten gesehen hatte, verpuffte sich mein Interesse für ihn jedoch so schnell wie mein Vorrat an Schokolade. Entgegen Livs Erwartung, die mein damaliges Gefühlschaos mitverfolgen durfte, blieb mein Interesse für die Gitarre jedoch vorhanden, sodass mich meine Eltern an einer Musikschule angemeldet haben.
Jahre vergingen, ich lernte, dass meine Finger nicht zu dick waren, sondern ich einfach die falsche Handhaltung hatte, ich führte meinen Eltern kleine Konzerte vor, investierte all meine Zeit in das Gitarrenspielen, bis irgendwann aus den kleinen Konzerten, die Chance auf dieses Stipendium wurde.

Von meinem Ehrgeiz gepackt übte ich noch mehr, als ohne hin schon, steckte all meine Energie in diesen Wettbewerb um das begehrte Stipendium. Und wie so oft entwickelte sich mein Ehrgeiz ins Ungesunde. Setzte ich mir einmal eine Sache in den Kopf, brachte mich nichts mehr davon ab.

Ich hatte schon immer hohe Ansprüche an mich selbst, definierte mich ausschließlich über meine Leistung. Allein meine schlechte Französischnote kratze enorm an meinem Selbstwertgefühl.
Es war ein Weltuntergang für mich, Fehler zu machen, dementsprechend musste ich dieses Stipendium erhalten. Ich sehnte mich nach Anerkennung. Ich wollte mir selbst endlich genug sein.

Noch ganz genau konnte ich mich an die Gedanken erinnern, die ich vor diesem Badezimmerspiegel hatte. Ich stand wenige Minuten vor meinem Auftritt, doch meine Hände zitterten weder wegen des Lampenfiebers, noch pochte mein Herz mir bis zum Hals, weil ich mich gleich vor einer vierköpfigen Jury beweisen musste. Meine Nervosität war etwas anderem zu verdanken.
Ich hatte die Noten meiner stärksten Konkurrentin manipuliert, indem ich mir Zugriff zu ihrem Zimmer verschaffte und ihre Notenblätter so veränderte, dass sich ihr selbstgeschriebenes Stück schief und schrecklich anhörte. Es war ein leichtes Spiel für mich. Durch schlaues Austricksen und einem durchgefeilten Plan ging alles so auf, wie ich es mir vorgestellt hatte und ich konnte ihre Noten erfolgreich verändern und mir somit einen großen Vorteil ihr gegenüber verschaffen.

Mein Auftritt war fehlerlos und die Jury war begeistert, während meine Konkurrentin wahrscheinlich die bisher größte Blamage ihres Lebens erlitt. Da es ein selbst komponiertes Lied war, konnte sie auch nicht nachweisen, dass es manipuliert wurde.

Im ersten Moment war ich unglaublich stolz, dass ich tatsächlich so schlau war, mir alles so auszudenken, dass es funktionierte. Mir wurde oft gesagt, dass ich intelligent sei, aber erst damit habe ich es mir selbst bewiesen. Aber als ich dann meine Mitstreiterin heulend auf der Bühne sah und später gesagt wurde, dass sie an Krebs erkrankt ist, und die Schule ihr letzter Wunsch war, fühlte es sich so an, als würde jemand mein Herz aus der Brust reißen. Ich wollte all mein Schuldbewusstsein raus schreien, wollte mich selbst gnadenlos bestrafen, für das was ich getan hatte. Und als würde das nicht alles schon genügen, wurde ich nur Zweite, weil ein Kandidat, den ich für durchschnittlich hielt, sich als ein Wundertalent entpuppte und mir mein Stipendium so kurz vor dem Ziel wegschnappte. Es war alles umsonst.

Perfect LieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt