Erste Beute

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Jodie hätte wissen müssen, dass ihre heimlichen Waldausflüge nicht ewig unbemerkt bleiben würden. Vor allem nicht von Daryl. Daryl, der selber Jäger war und öfter durch den Wald streifte.

Es war Zufall, dass er Jodie gefunden hatte, da er eigentlich die Spur eines Hasen verfolgt hatte. Aber dann sah er sie, wie sie zwischen zwei Bäumen stand und mit der Armbrust auf etwas zielte.

„Ich glaub, ich seh nicht richtig", murmelte er fassungslos.

Wie hatte sie es hier raus geschafft? Und was dachte sie sich eigentlich? Für ein Mädchen in ihrem Alter, war es viel zu gefährlich, allein herumzustreifen. Eigentlich wollte er sie sofort damit konfrontieren, aber dann hatte er sich entschieden, sie zunächst zu beobachten. Ihr Atem war ruhig und sie schien konzentriert. Ihre Finger lag bereits auf dem Abzug und er konnte deutlich sehen, wie ihre Muskeln arbeiteten, um das Gewicht der Armbrust zu halten. Dann drückte sie ab. Der Pfeil schnellte von der Sehne und folg in den Wald hinein. Von seinem Beobachtungsposten aus, konnte Daryl nicht sehen, auf was sie gezielt hatte und wohin der Pfeil genau geflogen war, aber anhand des enttäuschten Gesichtsausdruck des Mädchens, konnte er feststellen, dass dieser Pfeil wohl sein Ziel verfehlt hatte.

Sie ließ die Armbrust sinken und Daryl trat aus seinem Versteck hervor.

„Sag mal, spinnst du eigentlich? Willst du dich umbringen?", fuhr er sie nun an, als er auf sie zu kam.

Jodie sah ihm überrascht, aber auch ruhig entgegen, als er auf sie zu stapfte.

„Was zur Hölle machst du hier?", fauchte er sie an. Jodie hielt die Armbrust hoch. Es war klar, dass sie ihm damit sagen wollte, dass sie hier übte.

„Du bringst dich nur selbst in Gefahr. Was wenn dich mal ein Beißer angreift oder mehrere. Dann wird dir keiner helfen, weil keiner weiß, dass du überhaupt hier bist, kapierst du das nicht?"

Jodie biss sich auf die Lippe. Dann sah sie plötzlich an Daryl vorbei und ihre Augen weiteten sich.

„Wie bist du überhaupt hier rausgekommen?"

Jodie achtete gar nicht mehr auf seine Frage, stieß ihn leicht an und zeigte hinter ihn. Daryl drehte sich um. Nur etwa 15 Meter entfernt von den beiden stand ein Hirsch, der friedlich vor sich hin graste und die beiden Menschen überhaupt nicht zu bemerken schien. Überrascht blickte auch Daryl auf den Hirsch. Die Beute konnte er sich nicht entgehen lassen. Sie brauchten jedes bisschen Fleisch für die anderen.

Er hob die Armbrust und zielte damit auf den Hirsch, der ihn noch immer nicht zu bemerken schien. Aus dem Augenwinkel nahm Daryl eine Bewegung wahr und bemerkte, dass Jodie lautlos neben ihn getreten war und ebenfalls die Armbrust schussbereit in den Händen hielt. Dennoch ließ sie ihn vorgehen und beobachtete sowohl ihn als auch den Hirsch. Daryl ging ein paar Schritte vorwärts und legte den Finger auf den Abzug.

Nur noch ein, zwei Schritte...

Daryl drückte ab. Der Pfeil traf sein Ziel und das getroffene Tier jaulte auf, als sich der Pfeil in seinen Hals gebohrt hatte. Das Tier lief los und Daryl folgte ihm, darauf achtend, das Jodie immer dicht bei ihm blieb. Daryl wusste, dass der Hirsch bei dieser Verletzung nicht mehr weit kommen würde. Und tatsächlich nach etwa 40 Metern, hatten sie das verletzte Tier wieder eingeholt. Der Hirsch lag auf einer Lichtung nur noch schwach atmend. Daryl senkte die Armbrust. Ein weiterer Schuss war nicht mehr nötig. Er sah wie Jodie ein paar Schritte vorwärts machte und den sterbenden Hirsch betrachtete. Er beobachtete ihr Mienenspiel. Mitleid, Bedauern und auch Faszination lagen in ihren Augen. Es war, als täte ihr der Hirsch leid. Einen Moment betrachtete Daryl den Hirsch ebenfalls. Und es tat ihm leid. Es tat ihm leid, ein Lebewesen töten zu müssen, das so unschuldig war, nur damit seine Leute etwas zu essen hatten. Es war nicht fair, dafür zu töten. Daryl war überrascht, was Jodie für Emotionen bei ihm hervorbrachte. Aber gleichzeitig war er auch dankbar dafür. Sie machten ihn wieder menschlicher und verständnisvoller für andere.

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