Kapitel 3

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Jena

Obwohl ich von Leonardo und seiner Frau Marina immer wieder eingeladen wurde, mich beim Abendessen zu ihnen und den Schaustellern zu gesellen, verbrachte ich die ersten Abende lieber mit den anderen Helfern. Hier wurde bei lauter Musik aus einem uralten Plattenspieler gemeinsam gekocht und anschließend an einer riesigen Tafel, bestehend aus einigen zusammengeschobenen Holztische und vielen bunt bemalten Stuhlen, gegessen.

Danach halfen alle beim abräumen, nur um sich daraufhin für den Rest den Abends etwas abseits der Waggons in einem großen Kreis in die Wiese zu setzen. Es wurde ein Feuer angezündet und bis spät in die Nacht geredet, gelacht oder zusammen Musik gemacht. Wenn es regnete, wurde das Ganze nach drinnen verlegt, natürlich ohne das Lagerfeuer. 

Zwar hatte ich hier auch noch keinen richtigen Anschluss gefunden, aber immerhin sprach hin und wieder jemand mit mir oder lud mich zu einer Partie Karten ein. Ich bemühte mich zwischen all den Fremden möglichst zu entspannen, aber eine gewisse Nervosität ließ sich einfach noch nicht unterdrücken. 

Als ich hier her gekommen war, hatte ich mir so sehr gewünscht, Anschluss zu finden, dass ich es mir mit dem Helferteam auf keinen Fall verscherzen wollte, zumal ich bei den Athleten bisher nur auf Ablehnung gestoßen bin.

Doch als Marina mich auch am sechsten Tag zu ihnen einlud, gab ich nach. Ich wollte den Rossis nicht noch länger vor den Kopf stoßen, besonders nicht nach allem, was sie für mich getan hatten. 

Als ich meine Schicht an diesem Tag beendet hat, sprang ich also eilig unter die Dusche und zog mir frische Klamotten an. Ich legte ein klein wenig Makeup auf und schloss um kurz vor acht Uhr die Tür meines Wohnwagens hinter mir ab.

Um zu den Wohnwagen der Artisten zu kommen, musste ich quer über die Wiese, vorbei an der Unterbringung der Pferde und dem imposanten Zirkuszelt laufen.

Schon von weiten konnte ich den bunt bemalten Waggon von Marina und Leonardo erkennen. Er war über und über mit unzähligen Farbtupfern, Mustern und Verzierungen bemalt, die die einst weiße Fassade zierten.

Ich war gerade auf der Hälfte meines Weges angekommen, als ich Nadja begegnete. Sie trug einen großen Weidenkorb voll bepackt mit Wäsche in Richtung ihres eigenen Wohnwagens. Als sie mich sah, winkte sie herzlich mir zu oder versuchte es zumindest, denn mit dem schweren Korb in ihren Armen war dies nur begrenzt möglich. Ich erwiderte ihren Gruß freudig und beschleunigte meine Schritte in ihre Richtung.

„Nadja, kann ich dir helfen?", rief ich ihr im Laufen entgegen.

„Nein, nein, meine Liebe", erwiderte sie und ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. 

Nadja war wunderschön, hatte karamellfarbene Haut und langes dichtes Haar, das immer noch tiefschwarz war, ohne dass sie es färben musste. 

Ihre großen mandelförmigen rehbraunen Augen strahlten immer Lebensfreude und Zuversicht aus und wurden ganz klein, wenn sie lachte, so wie jetzt. Sie gehörte zu den Menschen, deren Lächeln immer das ganze Gesicht erfüllte. Es zog sich über ihre Wangen hoch zu ihren Augen, die dann von unzähligen Lachfältchen umrahmt waren, und man musste unwillkürlich mit lachen.

Bei ihr angekommen, blieb sie stehen und setzte mit einem leisen Seufzen den Wäschekorb ab.

„Leander und Matteo haben mich gefragt, ob ich Lust habe, heute mit ihnen eine Partie Karten zu spielen. Möchtest du meine Teamkollegin sein?", fragte sie mich, als sie sich wieder aufgerichtet hatte und strich sich beiläufig eine Haarsträhne hinters Ohr. Ich lächelte verlegen.,

„Eigentlich sehr, sehr gerne, nur leider bin ich heute Abend bei den Rossis zum Essen eingeladen"

Noch während ich sprach, spürte ich, wie sich die Atmosphäre zwischen uns änderte. Nadja wich einen Schritt Lächeln zurück und ihr Lächeln verwandelte sich mit einem Mal zu einem misstrauischen Blick. Der warme Ausdruck in ihren Augen war verschwunden.

Die Schatten ihrer VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt