Kapitel 8

87 17 49
                                    

Jena

Heute war das erste Mal, dass ich bei einer Show assistieren durfte und ich war wahnsinnig aufgeregt. Schon den ganzen Nachmittag lief ich wie ein verrückt gewordenes Wiesel zwischen den Wagons und dem Zelt hin und her, checkte, ob auch alles genau da lag, wo es hingehörte, nur um es anschließend nochmal neu zu sortieren.

Irgendwann nahm mich Nadja beiseite. „Jena, alles ist gut, das wird schon, wir sind ja auch noch da", sagte sie mit ihrer sanften Stimme und fuhr mir beruhigend mit der Hand über den Rücken. Ich lächelte.

Noch am selben Abend, nachdem sich Nikan bei mir entschuldigt hatte, hatte Nadja an meinem Trailer angeklopft und ein langes Gespräch mit mir geführt. Wir haben uns auf die Stufen , die zu meinem Wohnwagen führten, gesetzt, der Sonne beim Untergehen zugesehen und den letzten Stimmen der Vögel um uns herum gelauscht. Sie hat mir die Geschichte erzählt, die ich schon von Nikan gehört hatte, nur dass ihre Ausführungen viel detailreicher und emotionaler waren.

„Und als du mir dann erzählt hast, du würdest die Rossis kennen, ich weiß nicht, irgendwie kam diese Angst ausgenutzt und verletzt zu werden wieder hoch. Natürlich war das nicht fair, du kannst ja nichts für meine Vergangenheit. Es tut mir so leid, dass wir dich so gemieden haben, vor allem weil dich die Alvarez-Brüder so schlecht behandelt haben und keiner für dich da war", ihre Stimme brach und trotz der über uns einbrechenden Dämmerung sah ich, wie eine kleine Träne ihre Wange hinab ran.

Ich legte meinen Arm tröstend um sie und wir schwiegen einen Moment gemeinsam. Dann erst sprach ich die Frage aus, die mir seit ihren letzten Worten im Kopf herum schwirrte.

„Die beiden sind also tatsächlich Brüder?"

Nadja nickte: „Ja, sie und die Zwillinge Eneas und Adrian"

„Oh nein, sag mir nicht, es gibt noch mehr von denen?"

Nadja lachte: „Keine Sorge, die Zwillinge sind schon in Ordnung, aber mit Taio, Sali und ihrem Kumpel Milan legt man sich besser nicht an"

„Milan? Echt? Oh..."

„Du kennst ihn?"

„Ja, er hat mich mal zum Arzt gefahren, da wirkte er eigentlich ganz nett."

Nadja ließ ein zynisches Schnauben los: „Das passt zu ihm, aber lass dich bloß nicht täuschen, er hat es wirklich ganz faustdick hinter den Ohren."

„Wie meinst du das?", fragte ich, doch Nadja zögerte.

„Es ist schon spät. Ein anderes Mal, ja? Wir sehen uns morgen.", sagte sie dann eilig, erhob sich, winkte mir noch einmal zu und verschwand.

"Warte!", rief ich ihr noch hinterher, doch sie hob nur nochmal winkend den Arm, drehte sich dabei aber noch nicht einmal um.

Ein ungutes Gefühl durchströmte mich. Die darauffolgende Nacht kam ich vor lauter Nachdenken, nicht zur Ruhe, wälzte mich von einer Bettseite zur anderen. Auf der einen Seite fragte ich mich, was da wohl vorgefallen sein mag? Und auf der anderen, ob ich mich wirklich so sehr in Milan getäuscht hatte. Klar, er war jetzt nicht übermäßig herzlich auf mich zu gegangen, aber bei unserem Gespräch war er mir freundlich und aufrichtig vorgekommen. Er hatte mir sogar gesagt, dass sein Freund mich geschubst hatte und der ganze Vorfall schien ihm sehr unangenehm gewesen zu sein. Konnte Nadja mit ihrer Warnung wirklich Recht haben? Andererseits, warum sollte sie so etwas erfinden? Außerdem schien sie das, was angeblich vorgefallen war, wirklich zu bedrücken.

Ich dachte an alles, was bisher vorgefallen war und an all meine offenen Fragen. Das quälende Gefühl, hier könnte vielleicht doch nicht der richtige Ort für mich sein, fraß mich innerlich fast auf und sorgte dafür, dass ich wach lag, bis die Vögel wieder zu singen begannen.

Die Schatten ihrer VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt