1.1. Frauen schlägt Mann nicht

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Das Horn jagte durch die Hochhausschlucht. »Da steht'a schon«, dirigierte Paul seine Partnerin zu einem Herrn mittleren Alters, der vor einem der dreistöckigen Blockbauten stand und, um auf sich aufmerksam zu machen, die Hand hob.

Er kam ihnen entgegen, als sie sich notgedrungen in der zugeparkten Straße in zweiter Reihe postierten und ihr Einsatzfahrzeug verließen.

»Hatten Sie uns angerufen?«, erkundigte sich Paul Richter. Währenddessen streifte er seine schwarzen Handschuhe über. Der Einsatzbefehl lautete Verdacht auf häusliche Gewalt. Nichts, in das der Polizist unvorbereitet reinstolpern wollte.

Der Herr mit teils ergrauten, kurzen Haaren, nickte eifrig. »Ja, hab ich. Die zerlegen da ihre Bude vollkommen. Zumindest hört sich dat so an, woll?«

Um kurz nach ein Uhr nachmittags schied auch die Erklärung, dass es sich womöglich um eine Party handelte, beinahe aus. Beinahe. Aber zum jetzigen Zeitpunkt lag die Straße still da. »Wer zerlegt seine Bude?«, hakte er nach. Womöglich hatten sie am falschen Ende geparkt. »Können Sie mir einmal Ihren Namen sagen?«

»Uland. Herbert Uland«, stellte der Herr sich ihnen vor, ehe er auf den noch wichtigeren Teil zu sprechen kam. »Na, die Neuen im zweiten Stock.« Er deutete auf den Häuserblock hinter sich, vor dem sie standen. »Seit Sie hier mit ihrem Gedudel um die Ecke gekommen sind, ist allerdings Ruhe im Karton.« Offenbar war ihm selbst aufgefallen, dass seine Beschreibung nicht mehr der Wirklichkeit entsprach.

Wie auf's Stichwort näherte sich das Horn des nahenden RTWs, der mitalarmiert worden war.

Pauls Kollegin Ingrid Hall meldete sich auch zu Wort. »Ist das schon öfter vorgekommen?«

»Weiß ich nicht«, gestand ihr Anrufer schulterzuckend. »Wie jesacht, die zieh'n gerade ers' ein. Das sind die Neuen«, betonte er auf's Neue. »Ich weiß, dass dat auch scho'ma laut wer'en kann, wenn so'n paar junge Leut' einziehen und da sich auch ma' wer auf'n Daumen hauen tut, beim Aufhängen von de' Bilder, aber so ein Geschrei, dat hatten'wa noch nie. Dat sach ich Ihnen aber.«

Vor dem Hintergrund war die anhaltende Stille gar nicht mehr so beruhigend, fand Paul Richter. Er sah sich zu dem RTW um, dessen Besatzung auf sie zukam.

»Wisst ihr schon was?«, fragte Franco Fabiano, während er sich seinerseits seine Arbeitshandschuhe überzog.

Sein Kollege Fabian Graaf schleppte den Einsatzrucksack und hielt sich im Hintergrund.

Nein, so wirklich wussten sie nichts Genaues. Aber das würde sich ändern lassen. »Noch nicht«, gestand Paul Richter den Rettungskräften. »Scheint im zweiten Stock Krawall gegeben zu haben. Ich würd vorschlagen, wir gehen mal gucken und ihr haltet euch im Hintergrund. Wir geben euch dann Bescheid.« Fragend sah er zum Melder. »Zweite Stock war richtig, oder?«

»Ju, bei den Neuen«, wiederholte der Mann, dem offenbar sehr viel daran lag, deutlich zu machen, dass diese Individuen noch nicht lange zur Wohngemeinschaft gehörten. »Schild hängt auch noch nicht. Weiß nicht, wie die heißen. Haben sich noch nicht vorgestellt.« Fast sah es so aus, als mache er sich Hoffnungen, dass diesem Missstand auch noch durch ihre Hilfe Abhilfe geschaffen wurde.

Ingrid sah an der Fassade des angegrauten Flachdachhauses hinauf. Auch ihr war die trügerische Ruhe augenscheinlich nicht geheuer. »Wir schauen uns das mal an«, versprach sie dem Melder.

»Wir bleiben hinter euch«, versicherte Franco seinerseits, dass er das Vorgehen verstanden hatte und damit einverstanden war.

Mit einladender Geste wies Paul Herrn Uland den Weg zum nächsten Hauseingang. »Dann machen Sie uns mal die Tür auf und wir gucken mal nach dem Rechten.«


»Bleiben Sie bitte hier unten oder gehen Sie in Ihre Wohnung. Wir kommen später wieder auf Sie zu«, bat Ingrid Hall Herrn Uland, sich aus der polizeilichen Maßnahme herauszuhalten. Mit vier Leuten stünden sie schon mit genug Manpower vor der Tür. Da brauchte es nicht noch zwei neugierige Augen, die nichts zur Sache beizutragen hatten.

Widerwillig machte Herr Uland den Anschein, dieser Bitte nachzukommen, worum Paul Richter sehr dankbar war. Zweiter Stock, kein Schild. Das sollte zu finden sein. Während ihres Gangs nach oben, lauschte er immer wieder, doch im Flur herrschte Totenstille. Die Altbautreppe knarrte unter ihren Schritten und bei der geschätzten Breite von kaum mehr als einem Meter, hatte er jetzt schon Mitleid mit den Kollegen von der Feuerwehr, sollte der Fall eintreten, dass sie jemanden nach unten tragen müssten. Einen Aufzug gab es nicht. Wie auch sonst? Wäre ihr Einsatz im Erdgeschoss gewesen, hätte das Haus vermutlich über einen vollfunktionstüchtigen und hochmodernen Aufzug verfügt, in dem ein halbes Bataillon Platz gehabt hätte. So kam es ihm zumindest so manches Mal vor. Nach Francos abschätzigen Blick, mit dem er die schmalen Windungen der Treppe musterte, war er damit nicht allein.

Oben angekommen gab es drei Wohnungen. Zwei Eingänge wirkten auf den ersten Blick schon länger bewohnt. Vor den Türen lagen mehr oder weniger einladende Fußmatten, an einer der Wohnungstüren hing ein Willkommensschild. Statt sich aber dieser zuzuwenden und sich den Weg durch Kindergummistiefel zu bahnen, gingen die Beamten auf die kahle, weiße Wohnungstür zu, welche eben jene Accessoires nicht aufwies und an deren Klingel kein Namensschild zu finden war.

Ingrid Hall betätigte die Klingel. Ein unangenehmes, penetrantes Schrillen erklang im Inneren und hätte vermutlich sogar einen Toten wieder zum Leben erweckt. Bei der Schelle konnte niemand behaupten, er habe sie nicht gehört.

Tatsächlich wurde ihnen nur wenig später die Tür geöffnet. Unwillkürlich trat Pauls Kollegin unauffällig einen Schritt zurück.

Paul, der neben ihr stand, beschlich ebenso ein mulmiges Gefühl, das er sich nicht anmerken ließ. »Tach auch, Polizei Köln, Richter mein Name«, schoss er die unspezifische Vorstellung vorweg und ließ dem Herrn, der ihnen die Tür geöffnet hatte, kurz Zeit, das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten.

Der Herr zog sich gerade den Reißverschluss seines grauen Sweatshirts, das bis auf Brusthöhe geöffnet gewesen war, nach oben, verschränkte daraufhin die Arme und musterte die Versammlung vor seiner neuerworbenen Wohnung mit mäßiger Begeisterung. In Anbetracht der Tatsache, dass er einen Kopf größer als Paul Richter war und in etwa die Statur seines Kollegen, Michael Weber, aufwies, war eben jenes Begeisterungslevel eine Sache, die sowohl Paul, wie auch seine Kollegin, mit äußerstem Argwohn ihrerseits zur Kenntnis nahmen. Ebenso registrierten sie, dass der Mann eine leicht blutende Wunde an der linken Augenbraue aufwies. »Und was wollen Sie?«, fragte der Mieter und trat einen Schritt in den Türrahmen, so dass der Blick in die Wohnung weitgehend versperrt wurde.

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