Es war ein unscheinbares Zucken, das Paul Richter, hätte er nicht jede Bewegung Herrn Bachmanns beobachtet, niemals aufgefallen wäre. Doch die Platzwunde an der Stirn, für die es keine Erklärung gab, hatte für ihn die Aussage des Zeugen bestätigt: Hier hatte eine Auseinandersetzung stattgefunden und diese Wunde war ein Indiz für mindestens eine Körperverletzung, das diese Behauptung blutrot unterstrich. Ronny Bachmanns Zucken und das schmerzverzerrte Gesicht, dass nur für einen winzigen Sekundenbruchteil sichtbar gewesen war, als der Sanitäter seine Schulter versehentlich gestreift hatte, war das zweite Indiz.
»Hat Sie das Brett auch an der Schulter getroffen?«, fragte der Polizist trocken.
Der Blick des Hausherrn war potenziell tödlich und doch blieb er sitzen. »Was geht Sie das eigentlich an?!«, fauchte er.
Bevor Paul etwas dazu sagen konnte, mischte sich seine Kollegin ein, die den Ausbruch des Ehemannes weniger entspannt hinnahm. »Jetzt reißen Sie sich aber mal zusammen! Sie wissen schon, dass Ihr Verhalten hier kein gutes Licht auf Sie wirft, oder?«
Eine verschüchterte Ehefrau, die immer noch einige Schritte hinter ihnen im Flur stand, einen Arm um die Körpermitte geschlungen, den Daumennagel der freien Hand mit den Zähnen bearbeitend, der man kaum zutraute, eine Kiste Wasser in die Wohnung zu hieven und ein Mann, der sich Lügen ausdachte, um das vorgefundene Szenario zu rechtfertigen, dessen Erscheinung jedoch einem Pitbull ähnlich war. Was sollte man da auch denken?
Wütend stand Herr Bachmann auf, woraufhin Franco sich geistesgegenwärtig einige Schritte entfernte. »Was für ein Verhalten denn?«, fuhr der Mann, dessen Gesicht eine ungesunde rote Färbung annahm, Ingrid Hall an.
Paul hatte seine Hand schon am Reizgas und gestikulierte beschwichtigend mit der freien Hand. »Setzen Sie sich!«, sagte er laut und deutlich. Das war diesmal keine Bitte. Bei den Ausbrüchen kam er sich langsam vor wie ein Raubtierdomptuer. Aber einer, der seinen Job augenscheinlich gut machte.
Immer noch mit funkelnden Augen kam der Mann der Aufforderung nach, aber er ließ Ingrid nicht aus den Augen. »Sagen Sie doch einfach, was Sie denken! Dass ich meiner Frau mal so richtig gezeigt habe, wo der Hammer hängt. Wie man das als Kerl von Format so macht.« Unverhohlener Hass schlug ihnen entgegen. »Aber ich schlage keine Frauen. Klar? Meine nicht und auch sonst keine. Erziehung gibt es auch im Osten.«
Das bestärkte den Kommissar in seiner Vermutung. »Herr Bachmann, verstehen Sie mich nicht falsch, aber kann es dafür sein, dass Ihre Frau Sie schlägt?«
Mit einem Mal war die Szene wie erstarrt. Herr Bachmann saß da und schaute mit großen Augen an Paul vorbei zu seiner Frau, die ebenfalls in ihrer Bewegung innegehalten hatte und wie festgefroren dastand, während ihr Mann um Worte rang, bis ihm ein schwaches »Quatsch« über die Lippen kam und er sich versuchte, zu berappeln. »Schauen Sie sich doch mal meine Frau an. Wie soll das denn gehen?«
»Dann zeigen Sie doch mal Ihre Schulter«, forderte Paul ihn auf.
Von unten herab schaute Herr Bachmann ihn wütend an. »Nur, weil Sie umsonst hier hin gefahren sind, müssen Sie sich jetzt nicht auf unsere Kosten was aus den Fingern saugen.« Trotzig öffnete er den Reißverschluss seines Sweatshirts und zerrte den Kragen des T-Shirts über seine linke Schulter, die ein dunkelrot verfärbtes Hämatom aufwies. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber Paul Richter bemerkte, dass er die Luft anhielt, um sich nicht durch einen verräterischen Laut zu verraten. »Damit Sie Ruhe geben. Das beweist gar nichts«, meinte er.
Als der Polizist zurückblickte, sah er Frau Bachmann, die bestürzt die Hand vor ihren Mund geschlagen hatte und mit schreckensweiten Augen ihren Mann anstarrte. Das war keine Überraschung allein. Ihr Schweigen war keine Angst, sondern Angst vor den Konsequenzen. Es war späte Reue.
»Wollen Sie sich zu der Sache äußern?«, fragte Ingrid die Dame, die jedoch nur den Kopf schüttelte.
Paul nickte. »Müssen'Se auch nicht.«
»Und überhaupt geht Sie das nicht an«, wiederholte Herr Bachmann mit fester Stimme. »Ich hab Sie ja schließlich nicht gerufen. Daher: Sie wissen ja, wo die Tür ist.« Er deutete von seinem Stuhl aus den Flur entlang.
Aber so lief das nicht. »Auch wenn das Ihre Frau ist und Sie an und für sich in Ihrer Wohnung machen können, was Sie wollen, gehen uns Straftaten sehr wohl etwas an«, hielt Paul ernst dagegen.
»Straftat«, wiederholte Herr Bachmann und lachte trocken auf. »Meine Güte, meine Frau hat halt etwas Temperament. Aber seh' ich aus, als würd' ich damit nicht fertig werden? Ich kann ganz gut auf mich selber aufpassen.«
Weder Paul noch Ingrid ließen sich von seiner augenscheinlich gelassenen Art täuschen oder gar mitreißen. »Herr Bachmann, wäre die Situation hier andersrum, würde ich Ihrer Frau genau dasselbe sagen, was Sie jetzt von mir zu hören kriegen. Nur, weil Sie in der Lage sind, sich zu wehren, heißt das nicht, dass Ihre Frau das Recht besitzt, Sie zu misshandeln.«
Bei dem Wort Misshandeln, schaute Herr Bachmann weg.
Der Kommissar konnte sich denken, wieso. »Ja, dat klingt jetzt vielleicht neu für Sie, aber nichts anderes ist das. Der Kollege hier vom Rettungsdienst ist auch größer als ich und trotzdem darf ich dem deshalb nicht vor's Schienenbein treten, weil's mir gerade passt«, verdeutlichte er sein Anliegen etwas bildhafter, ehe er ernster fortfuhr. »Was meinen Sie, wie oft ich das schon gehört habe?« Zugegebenermaßen von Männern seltener als von Frauen. »Ich will mich ja gar nicht einmischen, wie Sie das weiter handhaben sollten, aber so gelassen, wie Sie das jetzt nehmen, geh ich mal davon aus, dass das nicht das erste Mal war. Und auch, wenn es jetzt nur blaue Flecke sein sollten, ist das schon ordentlich.«
Als ob er die Realität damit ändern könnte, schüttelte Herr Bachmann während Pauls Worte den gesenkten Kopf. »Sie kann doch nichts dafür«, meinte er, als erkläre das alles. »Sie regt sich eben schnell auf. Ich hätte aufpassen müssen, was ich sage, dann wär das gar nicht passiert. Und wenn die scheiß Hanteln da nicht gelegen hätten, dann hätte Sie die gar nicht zu fassen ...« Er blickte auf und ein sorgenvoller Blick traf seine Lebensabschnittsgefährtin, die immer noch wie erstarrt im Flur stand.
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Blaulicht-Kurzgeschichten
Fiksi PenggemarEin paar kürzere Fanfictions, die ich hier in dem Buch sammle. Maximal fünf, sechs Kapitel lang. Querbeet von Verkehrsunfällen, Streitereien, Missverständnissen bis zu Großschadenslagen.