»Wir würden uns gern mal mit Ihnen unterhalten. Wir wurden angerufen, weil es hier wohl etwas laut geworden ist«, tastete sich der Polizist möglichst diskret an die Thematik heran, um keinen Grund zur Eskalation zu liefern. »Können wir kurz reinkommen? Muss ja nicht gleich die ganze Nachbarschaft mitkriegen, was wir hier zu bereden haben. Dürfte ich zuerst einmal Ihren Namen erfahren?«
Zunächst schlug ihm nichts weiter als zweifelndes Schweigen entgegen, ehe der Mann den Kopf schüttelte. »Bachmann. Hier ist alles in Ordnung«, meinte er kühl und mit einer Gelassenheit, bei der Paul sich nicht sicher war, ob sie gespielt war oder der Wirklichkeit entsprach. »Kleine Schwierigkeiten beim Möbelaufbau, mehr nicht.«
Das würde sich ja zeigen. Aber blind vertraute Paul auf diese Aussage nicht. So sehr er auch den Unmut gegenüber Aufbaumobiliar nachvollziehen konnte. »Herr Bachmann, dann können wir das ja kurz drinnen klären und dann sind wir auch schon wieder weg.«
Aber der Wohnungsbewohner blieb wie angewurzelt stehen. Man konnte nicht sagen, dass er einen sonderlich friedfertigen Eindruck machte. »Muss ich Sie reinlassen?«
»Wir können das auch gerne hier auf dem Flur klären«, meinte Paul Richter. Er legte eine ähnliche Gelassenheit an den Tag, wenngleich diese nur aufgesetzt war. »Mir ist das relativ egal, wer das mitkriegt.«
Und tatsächlich wirkte das. Herr Bachmann warf ihm zwar einen verächtlichen Blick zu, doch er trat beiseite und ließ sich sogar zu einer einladenden Geste herab, indem er neben der Tür stehend in den Flur wies.
»Gehen Sie ruhig vor«, verpackte Paul die dringende Bitte in einen Vorschlag und bedeutete ihm, vorzugehen. Ganz sicher wollte er diesen Bären nicht im Rücken haben, sondern sehen, was er tat. »Was ham'Se denn am Kopf gemacht, sagen Se' mal?«, kam er, nachdem Herr Bachmann seiner Anweisung Folge geleistet hatte und vor ihnen den Gang entlang lief, auf die Verletzung des Mannes zu sprechen. Auch, wenn der Polizist einen vermeintlichen Plauderton anschlug, täuschte das nur über seine innere Anspannung hinweg, mit der er jede noch so kleine Bewegung des Mieters verfolgte. Er war mental darauf vorbereitet, beim kleinsten Fehltritt zum Reizgas zu greifen und es anzuwenden. Hier in dem engen, dunklen Flur, hatten sie keinen großen Handlungsspielraum.
Hinter ihm hörte er, wie auch Franco und Fabian hinter Ingrid die Wohnung betraten und sich, wie besprochen, im Hintergrund hielten. Er hätte auch nichts dagegen gehabt, hätten die beiden Sanitäter vor der Tür gewartet. Andererseits wusste er, dass Franco schnell reagieren konnte, sollte die Situation brenzlig werden und Paul gab zu, dass er über Unterstützung bei der Präsenz nicht unglücklich war. So waren sie zumindest symbolisch in der Überzahl und das ohne dabei über die Maße bedrohlich zu wirken.
»Das ist beim Zusammenbauen passiert«, wehrte der Herr die Nachfrage lapidar ab und führte sie ins offensichtliche Wohnzimmer, welches als solches nur schwerlich zu erkennen war.
Überall lagen Kartons und Verpackungsmaterial herum, ein umgedrehter, halb fertig aufgebauter Tisch lag in der Mitte, eine Anleitung daneben, samt diversem Handwerkszeug wie Schraubendreher und Hammer. Das Sofa war unter diversen Kartons sprichwörtlich begraben und auf dem Tapeziertisch, der davor stand, lagen Pizzakartons, zwei Kulturbeutel und zwei kleine Fitnesshanteln in damenhaftem Pastellblau. Mit Tapezieren war man aber offensichtlich bereits fertig, auch wenn am Rand noch ein Eimer mit einer Masse stand, die Paul Richter im Vorbeigehen als Tapetenkleister identifizierte. Und so roch es auch. Alles in Allem ganz normales Umzugschaos.
Neben den Gegenständen gab es aber im Wohnzimmer noch etwas, das Paul beinahe übersehen hätte. Direkt neben dem Durchgang zum Flur, in dessen Rahmen Franco und Fabian stehen geblieben waren, stand eine junge Dame, die das genaue Gegenteil von ihrem Wohngefährten darstellte. Sie war einen halben Kopf kleiner, zierlich und schaute die Truppe aus Fremden von unten heraus aus braunen, scheuen Rehaugen an, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Den Kopf hatte sie tief zwischen die Schultern gezogen, einen Arm um den Oberkörper geschlungen, mit der anderen Hand nestelte sie nervös an ihrer Unterlippe herum. Was der Polizist aber erleichtert zur Kenntnis nahm, war, dass sie keine sichtbaren Verletzungen zu haben schien. Das Top bedeckte wenigstens ihre Arme nicht, die, ebenso wie ihr Gesicht, keine Hämatome aufwiesen. Nichtsdestotrotz machte sie nicht den Eindruck, als fühle sie sich in dieser Situation sonderlich wohl. Die möglichen Ursachen dafür waren vielfältig. Es war an der Zeit, zu klären, was hier vorgefallen war.
»Richter, meine Kollegin Hall«, stellte Paul sich und Ingrid auch der jungen Dame vor. »Wir bräuchten einmal Ihre Personalien, bitte. In der Zwischenzeit kann mir einer von Ihnen gerne mal erzählen, was denn hier vorgefallen ist. Ein Nachbar hat uns gerufen, wegen einem lauten Streit.«
Ohne Widerworte begannen die beiden Parteien, die gewünschten Dokumente hervorzuholen. Während Herr Bachmann nur in seine Hosentasche griff, schlich die Dame zum Sofa und kramte zwischen dem Verpackungsmüll ihre Handtasche hervor, in der sie zu suchen begann. Aber eine Erklärung lieferte niemand.
Ingrid nutzte die Möglichkeit und ging zu ihr. Auch, wenn sie ihre Stimme gedämpft hatte, hörte Paul, der Herrn Bachmann nicht aus den Augen ließ, sie sagen: »Alles in Ordnung bei Ihnen?«
Die Stimmung war angespannt. Aber endlich meldete sich der Herr des Hauses zu Wort. »Wie schon gesagt, ein Missverständnis«, murrte er und reichte dem Polizisten vor sich seinen Personalausweis.
»Herr Bachmann, erklären Sie doch noch einmal, was genau passiert ist. Missverständnisse kann man doch auch leise klären, oder?« Dabei warf er einen kurzen Blick auf den Personalausweis. Ronny Bachmann, geboren in Thüringen, vierunddreißig Jahre jung.
Doch statt zu ihm zu sehen, schaute Herr Bachmann zu seiner Freundin - oder Frau, das hatte sich noch nicht geklärt - und zuckte unschlüssig mit den Schultern.
So kamen sie hier nicht weiter.
Auffordernd sah Paul zwischen Mann und Frau hin und her, doch auch so war ihnen kein Ton zu entlocken.
Wenigstens hatte Ingrid inzwischen die Papiere der Frau und nahm ihre Personalien auf.
Als sein Blick auf die Rettungskräfte fiel, die ihn ihrerseits fragend ansahen, entschied er sich, das Pferd von einer anderen Richtung aufzuzäumen. »Muss jemand von Ihnen beiden medizinisch versorgt werden?« Wieder glitt sein Blick dabei von Herr zu - mutmaßlich - Frau Bachmann, die einvernehmlich den Kopf schüttelten.
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Blaulicht-Kurzgeschichten
FanficEin paar kürzere Fanfictions, die ich hier in dem Buch sammle. Maximal fünf, sechs Kapitel lang. Querbeet von Verkehrsunfällen, Streitereien, Missverständnissen bis zu Großschadenslagen.