1.4. Frauen schlägt Mann nicht

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Erfreut darüber, dass der bullige Wohnungsbesitzer umgänglicher war, als es zunächst den Anschein gehabt hatte, erlaubte der Kommissar sich eine dezent entspanntere Haltung ihm gegenüber. Ob das der guten Deeskalation zuzuschreiben hatte? Allerdings wäre Herr Bachmann nicht der erste Schläger, der beim Auftauchen der Polizei auf Knopfdruck der handzahme Pantoffelheld sein konnte, weswegen diese augenscheinliche Entspannung des Polizisten sich nicht auf seine Wachsamkeit niederschlug. »Und Ihre Kopfwunde?«

»Ach«, winkte der Herr ab, »ich hab dieses blöde Regal hier aufbauen wollen«, meinte er und deutete auf ein Regal, das seitlich an der Wand stand und dessen Rufnamen Paul überraschenderweise nicht kannte. »Da is' mir ein Brett von oben draufgefallen, als ich unten die Verstrebung nachgezogen hab. Keine Ahnung, ob ich dat nich' richtich festgemacht hab oder der Billigscheiß einfach nicht hält.« Er fuhr sich abermals durch die Haare und streifte erneut mit dem Handballen eben jene offene Stelle.

Das Augenrollen verkniff der Polizist sich. Auch, weil der Mann sich augenscheinlich nicht helfen lassen wollte. Aber noch wegen etwas anderem. »Hätten Se' dat vor fünf Minuten jesacht, wären wir wahrscheinlich schon wieder wech. Da brauchen Se' doch keinen solchen Terz drum veranstalten, ker!« So viel Zeit für etwas Erziehung hatte er. Zumal ein Restzweifel blieb. »Können'Se mir mal das Brett zeigen?«

Mit einem Schulterzucken deutete Herr Bachmann auf das zweite Regelbrett von oben. »Dat hängt da. Aber is' schon wieder sauber. War auch nicht viel dran. Wie gesacht, dat geht schon.«

»Naja, aber das ist schon 'ne beträchtliche Höhe«, bemerkte Franco, der sich das Elend offenbar nicht mehr schweigend begucken wollte. »Und Sie merken ja selbst, dass das von allein nicht wirklich aufhört zu bluten.« Das taten Kopfplatzwunden in der Tat selten schnell. Wenn man alle Nase reinlangte, wurde das davon meist nicht besser.

»Ja, Himmel, wenn'Se mir dann endlich glauben, schauen Se' sich dat an«, gab der Mann widerwillig nach und ließ sich auf einen der geparkten Stühle sinken, so dass Franco überhaupt erst eine Chance hatte, seinen Kopf zu erreichen, ohne sich auf Zehenspitzen stellen zu müssen.

Der Rettungsassistent warf Paul im Vorbeigehen einen angestrengten Blick zu. Patienten, die erst mühselig überredet werden mussten, sich behandeln zu lassen, waren ihm augenscheinlich nicht die liebste Klientel.

»Nicht erschrecken, ich drück da mal vorsichtig dran rum«, warnte Franco seinen Patienten vor, ehe der die Stabilität des Schädels prüfte, aber offensichtlich keinen Grund zur Besorgnis fand. »Schlecht oder schwindelig war Ihnen auch nicht?«, fragte er, weshalb Paul vorerst zurückhielt und den Mann seine Arbeit machen ließ. Wenn zwei Menschen über verschiedene Themen mit einem Dritten redeten, kam selten etwas Produktives dabei rum.

Der Mann schüttelte gelassen den Kopf. »Ne. Ich sach ja, da war nix.« Aber seine Gelassenheit, welche der Polizist ihm nicht abkaufte, täuschte nicht über die Anspannung hinweg, die in der Luft lag. Das passte vorne und hinten nicht. Unausgesprochenes lag in der Luft.

Zur Sicherheit leuchtete Franco dem Herrn in die Augen, schien aber auch da nichts feststellen zu können. »Ich hol eben was zum Abdecken für die Wunde«, entschuldigte er sich und verließ den Raum. Sein Kollege war derjenige, der den Rucksack und damit das Material hatte.

Paul Richter ging zu dem Regal und betrachtete das Brett, ohne es heraus zu nehmen. »Guter Mann, nehmen Se' mir das nich übel, aber dat is'en idiotensicheres Stecksystem. Wenn Ihnen da was runterfällt, dann mit der schmalen Seite voran und aus dem Pressspan bekommen Se' kein Blut raus. Es sei denn, Sie schleifen das ab.«

Entnervt schnaubte Herr Bachmann. »Ja, Himmel, dann bin ich eben nicht besonders geschickt. Dafür kann meine Frau nicht kochen. Und? Das ist doch nicht strafbar.«

Prüfend betrachtete Paul die Hände des Mannes, die er jetzt vor sich gefaltet hatte. Der Kerl hatte nicht nur ein Kreuz wie ein Bär, sondern auch Pranken wie einer. Das zeugte von körperlicher Arbeit. Oder sonderbaren Erbanlagen, aber davon verstand er zu wenig. »Herr Bachmann, was machen Sie von Beruf?«, fragte Paul daher geradeheraus und trat wieder an den Mann heran, um ihm seinen Ausweis zurückzugeben.

In den Augen seines Gegenübers blitzte Verärgerung auf. War es Verärgerung? Jedenfalls sah er zur Seite, schnaubte erneut und antwortete: »Zimmermann.«

»Seh'n Se, dat passt doch vorn und hinten nicht. Und ich und meine Kollegen können es nicht leiden, wenn man uns anlügt«, offenbarte Paul dem vermeintlichen Schussel. Er trat beiseite, da Franco zurück war.

Polizeilich war Paul Richter mit Herrn Bachmann jedoch noch nicht durch. »Wenn ich jetzt Ihre Frau fragen, was sagt die dann, was passiert ist?«, näherte er sich ihrem Ursprungsverdacht und der Plauderton verschwand aus seiner Stimme, die dem Ernst der Sache wieder gerecht wurde.

»Ja, wat weiß denn ich? Ich wollt mir selber gerade ein Pflaster holen, als sie mit dem blöden Tisch anfing! Da hab ich ihr nicht auch noch davon erzählt. Das war nicht wichtig.« Auch Herr Bachmanns Tonfall nahm wieder härtere Züge an und Paul spürte die Gereiztheit, die von ihm ausging. Stimme, Mimik und Körpersprache machten die innere Anspannung des Mannes deutlich. Eine Erklärung wäre, dass er mit seiner Beherrschung zu kämpfen hatte. Und zu ihrem Verdacht der häuslichen Gewalt passte diese Erklärung wie die Faust auf's Auge - wenngleich der Vergleich unpassend treffend den Umstand beschrieb. Aber für Paul passte etwas nicht, der jedoch zunächst Franco seine Arbeit machen ließ.

Der Rettungsassistent desinfizierte die Haut um die Wunde, legte eine gefaltete Kompresse vorsichtig darauf und klebte sie mit einem Streifen Pflaster fest. Als er die Hände vom Kopf seines Patienten nahm, blieb er dabei mit einer Hand an dessen Schulter hängen. Es war kaum mehr als eine leichte Berührung, aber die Reaktion des Hausherrn, sprach nicht für dessen Version des Geschehenen.

Mit ernster Miene erschien in dem Augenblick seine Kollegin Ingrid Hall in der Tür. »Ich krieg aus der Frau keinen Ton raus. Die ist total verstört«, raunte sie ihrem Kollegen zu, der den Blick nicht von Herrn Bachmann nahm.

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