"Der besagte Fels in der Brandung mag so manchen Sturm überstehen, aber kann bei einem Schlag zerbersten." - André Micheel
Ich fühle mich hundeelend.
Die ganze Nacht habe ich versucht zu schlafen. Habe mich gezwungen still zu liegen, die Augen geschlossen zu halten und Schäfchen zu zählen. Nichts davon hat geholfen. Immer wieder habe ich die ekelige Stimme im Ohr gehabt, die mich auffordert zu ihr zu kommen, mich "Kleine" nennt und habe mir eingebildet von schweißnassen Händen betatscht zu werden.
Mia war nicht in unser gemeinsames Wohnheimzimmer zurückgekommen, obwohl ich sie so sehr gebraucht hätte. Aus Erfahrung weiß ich, dass sie sicher irgendwo untergekommen ist. Ob bei Andrew oder irgendeinem anderen Typen weiß ich nicht. Aber Sorgen muss man sich um Mia nie machen, das hatte ich in unserer zehnjährigen Freundschaft gelernt. Egal worum es ging, Mia kam prima alleine klar. Sie war selbstbewusst und in gewisser Weise auch einschüchternd. Ihr wäre so etwas nie passiert, denke ich verbittert.
Irgendwann war ich aufgestanden und hatte mir im trüben Mondschein, der durch die Jalousien schien, den schwarzen Pulli von meiner Garderobe geschnappt. Den Pulli des Typen, den ich in meinen Gedanken "Retter" nannte, da ich weder seinen Namen kannte, noch wusste ob ich ihn jemals wiedersehen würde. Auch deshalb fühlte ich mich elend. Ich hatte das Gefühl ihm nicht ausreichend gedankt zu haben und wollte ihm wenigstens seinen Pullover zurückgeben - obwohl er so gut roch. Nachdem ich den Pulli von der Garderobe geangelt hatte drückte ich ihn mir an die Brust und atmete tief ein. Es war derselbe Geruch, den ich auch zuvor im Auto unbewusst wahrgenommen hatte. Es roch irgendwie düster, nach Holz und Tannennadeln, aber gleichzeitig hatte der Geruch eine extrem beruhigende Wirkung auf mich und ich schlief ein; eng an den Pulli gekuschelt als wäre er mein Anker. Mein Fels in der Brandung.
Seufzend rolle ich mich aus dem Bett und versuche durch meine verquollenen Augen genug zu sehen um all meine Sachen fürs Bad zusammenzusuchen. Der einzige Nachteil, den man hat wenn man sich ein Zimmer mit seiner besten Freundin teilt ist, dass der Raum immer einem Schlachtfeld gleicht. Mia und ich haben es schon lange aufgegeben unsere Kleidungsstücke und Schminkutensilien zu trennen. Wir teilen uns einfach alles und aus diesem Grund liegt auch alles irgendwie im Raum verteilt. Unter normalen Umständen hätte ich mich wieder einmal total darüber aufgeregt, aber heute fehlt mir dazu einfach die Energie. Ich gebe es auf ein sauberes T-Shirt zu finden und schlüpfe stattdessen in den schwarzen Kapuzenpullover, den ich die ganze Nacht über im Arm gehalten hatte und drücke die Tür zum Flur auf.
Wenn es eine Sache auf dieser Welt gibt, die ich noch mehr verabscheue als Unordnung, dann waren das Gemeinschaftsduschen. Auch wenn die einzelnen Kabinen mit Vorhängen voneinander getrennt sind fühle ich mich dennoch unwohl. Als das warme Wasser meine verspannten Muskeln berührt stöhne ich unwillkürlich auf. Ich wasche mich zwei Mal und fühle mich danach zumindest nicht mehr ganz so schmutzig wie zuvor. Die tatsächlichen Auswirkungen der vergangenen Nacht sehe ich jedoch erst, als ich beim Zähneputzen in den Spiegel schaue. Meine blonden Haare sind zerzaust und unter meinen Augen haben sich dunkle Ringe gebildet, die fast so blau sind wie meine Augen selbst. Ich seufze.
Als ich zurück in unserem Zimmer bin trage ich etwas Concealer und Tusche auf - mehr an Make-Up finde ich in dem Chaos nicht- und nehme mir vor bei nächster Gelegenheit eine Aufräumaktion mit Mia zu starten. Als ich danach wieder in den Spiegel schaue sehe ich einigermaßen vorzeigbar aus. Ich brauche nur einen Kaffee und muss eine Runde joggen, dann wird das schon wieder. Ich schnappe mir Mias Autoschlüssel vom Harken und schließe unsere Tür ab, bevor ich durch die Glastür auf den Parkplatz trete. Die Sonne geht gerade erst auf und schiebt sich langsam über die Hausdächer. Ich spüre schon jetzt die kalifornische Hitze und bin mir sicher, dass es in ein paar Stunden schon zu heiß sein wird um zu joggen. Im Laufschritt mache ich mich auf den Weg zum Auto und verfluche Mia dafür, dass sie die Gabe hat immer einen Parkplatz zu finden, der so weit von unserem Eingang entfernt ist wie nur irgend möglich.
Auf der kurzen Fahrt zum Coffeeshop höre ich irgendeinen Pop-Sender und singe so laut mit wie ich kann. Das habe ich schon immer gemacht. Wenn es mir aus irgendeinem Grund nicht gut geht setze ich mich ins Auto, fahre ohne ein Ziel durch die Gegend und singe. Das hat wirklich eine therapeutische Wirkung auf mich. Eine bessere Wirkung als all die Therapeuten, die ich in meinen zwanzig Lebensjahren tatsächlich schon hatte.
Bevor ich mir meinen Kaffee hole beschließe ich eine Runde um den Park zu laufen aus Angst, dass es nach meiner Kaffeepause schon zu heiß dafür sein könnte. Das feuchte Gras quietscht unter meinen Sohlen und meine Lungen brennen. Ein Schmerz, den ich zu lieben gelernt hatte. Der Schmerz gibt mir das Gefühl lebendig zu sein und mich unter Kontrolle zu haben. Mit den Händen stütze ich mich auf meine Oberschenkel und versuche wieder regelmäßig zu atmen. Ich schwitze und verfluche mich innerlich den dicken Pulli angezogen zu haben. Obwohl er so verdammt gut riecht.
Mit hochrotem Kopf drücke ich die Schwingtür des Coffeeshops auf und bestelle einen doppelten Expresso, wie jeden Morgen. Das Mädchen hinter dem Tresen, Maggi, lächelt mich an. "Lange Nacht gehabt?", fragt sie als sie mir den Becher überreicht. "Kann man wohl so sagen." Innerlich verdrehe ich die Augen. "Wie geht es deinem Bruder?" Ihre Augen verdunkeln sich und ich habe den Eindruck, als wäre ihre Stimme auf einmal eine Oktave höher. Natürlich, eine weitere Verehrerin. Abermals verdrehe ich innerlich die Augen und nehme mir vor ein ernstes Wort mit meinem Zwillingsbruder zu reden, der es sich anscheinend zum Sport gemacht hatte jedes Mädchen im Umkreis von zehn Kilometern flachzulegen. "Gut, denke ich. Soll ich ihm etwas ausrichten?" Armes Mädchen. Ich schenke ihr ein kleines Lächeln, weil sie mir wirklich leidtut. "Ähm nein... passt schon... ich äh... ist nicht so wichtig." Sie wird rot und verabschiedet sich mit einem kleinen Nicken.
Seufzend gehe ich zu meinem Stammplatz am Fenster und blinzle in die Sonne. Mit uns hat es keiner leicht. Ein ums andere Mal frage ich mich warum gerade meine Familie so verkorkst sein muss. Warum ich nicht einfach ein normales Leben führen kann und warum es gerade mir und meinem Bruder so schwer fallen muss jemanden an uns heranzulassen. In Gedanken versunken nippe ich an meinem Kaffee und verbrenne mir prompt die Lippen. Als sich hinter mir jemand räuspert läuft mir ein eiskalter Schauder über den Rücken und wie ein verschrecktes Reh suche ich nach dem schnellstmöglichen Weg ins Frei.
"Hey.", sagt er und lässt sich auf den Barhocker neben mir gleiten. Ich bleibe wie erstarrt sitzen, nicht im Stande auch nur den kleinsten Muskel meines Körpers zu bewegen.
Anmerkung: Vielen Dank, dass du meiner Geschichte eine Chance gibst und weiterliest, das bedeutet mir wirklich viel! Wenn Du kurz Zeit hast; gib mir doch bitte kurzes Feedback und schreib mir wie dir die Story bis jetzt gefällt. :) Danke schon mal im Voraus!
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Dark Love - mich kannst du nicht vergessen (pausiert)
Romance~ Badboy and (not so) good girl ~ Jace Archer ist ein Badboy wie er im Buche steht. Heiß, beliebt und er lässt niemanden an sich heran. Und obwohl Ashton weiß, dass Jace Archer niemals sein Herz verliert, verliebt sie sich Hals über Kopf in ihn. De...