Kapitel 19

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"Wenn man in seinen Gedanken versinkt, darf man sich nicht mit seichtem Wasser begnügen." - Ernst R. Heuschka

Ashton

Zwei Wochen sind vergangen. Zwei Wochen in denen ich ihn nicht gesehen habe. Zwei Wochen in denen ich ständig an ihn denken musste.

Das Geräusch, das meine Füße im Kies machen ist unglaublich beruhigend. Es ist ziemlich früh am Morgen aber ich kann einfach nicht mehr schlafen. Ich bin viel zu aufgewühlt. Heute vor zehn Jahren ist meine Mum gestorben. Ich laufe weiter und zwinge mich, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Die Erinnerungen dürfen mich nicht schon wieder übermannen. Meine letzte Panikattacke liegt ebenfalls zwei Wochen zurück. Wahrscheinlich hat das mit dem Alkohol zu tun. Ich könnte mich selbst erwürgen. Und Mia, die mich abgefüllt hat, gleich mit. Ich habe seither kein Wort mit ihr gesprochen. Sie weiß von meinen Attacken und trotzdem füllt sie mich ab. Und ich hab' es zugelassen. Irgendwie fällt im Moment meine ganze Welt auseinander. Zuerst die Sache mit Dan und dann Mia. Habe ich überhaupt Freunde, auf die ich mich verlassen kann?

Ich komme vor dem Coffeeshop zum stehen und stütze die Hände auf meine Oberschenkel. "Hier! Doppelter Espresso, genau wie du's magst." Andrew hält mir den Kaffeebecher entgegen und schieb sie die Sonnenbrille in die Haare. "Danke." Ich trinke zwei große Schlucke und versuche zu Atem zu kommen. "Woher weißt du, das ich hier bin?" Ich deute auf den Park um den ich gerade gejoggt bin. Andrew zuckt mit den Schultern. "Mia meinte, du musst dich abreagieren und das hat mich nicht gewundert, vor allem nicht heute." Ich seufze und weiß genau, warum Drew mit mir reden will. "Hast du mit ihm geredet?" Ich bringe den Namen meines Vaters nicht über die Lippen. Und ich weigere mich ihn Dad zu nennen und ihn so zu einem Teil meines Lebens zu machen. "Ja." Ich merke, wie mich Andrew vorsichtig von der Seite anschaut. "Er war letzte Woche bei mir." Unser Dad hat meine Mum in den Selbstmord getrieben und ich hasse ihn dafür. Er ist ein Säufer und kümmert sich einen feuchten Dreck um seine Kinder. Er kommt nur zu uns - oder besser gesagt zu Andrew - wenn er Geld braucht oder wieder Scheiße gebaut hat.

Andrew wohnt noch immer mit unserer Tante im Haus unserer Eltern. Nach dem Tod meiner Mum bekamen mein Bruder und ich das Haus und unsere Tante wurde zu unserem Vormund. In den letzten zehn Jahren war ich die meiste Zeit über nicht zu Hause. Ich habe bei Mia, oder anderen Freunden übernachtet und letztes Jahr konnte ich es mir endlich leisten auszuziehen. Auch, wenn es sich dabei nur um das Wohnheim handelt - es war alle mal besser als in diesem Haus zu wohnen, das voller Erinnerungen steckt. Erinnerungen die mich traurig machen.

"Und, was wollte er?" Ich weiß genau, was er wollte. Geld. Geld für seinen verdammten Alk. "Das übliche." Andrew starrt auf seine Füße. "Du hast es ihm aber nicht gegeben, oder?" Mein Bruder ist eindeutig der weicher von uns beiden und ich weiß ganz genau, dass er ihm das Geld gegeben hat - sein Schweigen ist Antwort genug. "Er wird sich nicht ändern, verdammt nochmal. Egal wieviel Geld du ihm auch gibt, er wird er versaufen." Von mir braucht er erst gar kein Geld zu erwarten und das wusste er genau. Deshalb kam er immer wieder bei meinem Bruder an. Dem Sonnenschein, der nur an das Gute in den Menschen glaubt. "Seine Bewährungshelferin sagt, er macht sich gut. Er hat einen Job." Immer noch weicht er meinen Blicken aus. "Na und, das ändert doch nichts! Er bleibt derselbe. Du bist ihm verdammt nochmal. Scheiß. Egal. Das Einzige, was er von dir will ist Geld." Ich marschiere an meinem Bruder vorbei zu Mias Auto. "Menschen können sich ändern. Und er will sich ändern, okay.", sagt er. "Ich habe jetzt keine Zeit für die Diskussion." Als ich mich zu ihm umdrehe, bevor ich in den Wagen steige, sehe ich wie Maggi aus dem Shop kommt. Ich lächle ihr freundlich zu, ignoriere meinen Bruder aber. "Liz will wissen, ob du heute kommst." Andrew hält die Autotür auf und hindert mich daran, sie zuzuschlagen. Unsere Tante veranstaltet jedes Jahr so eine Art Trauerfeier. Als Mums Schwester meint sie, das würde ihr helfen. Am Ende erinnert die 'Trauerfeier' aber eher einer Grillparty, was mir Mums Verlust nur noch deutlicher in Erinnerung ruft. "Nein, danke." Ich starte den Motor und fahre. Ich habe keine Ahnung wohin, aber es fühlt sich gut an.

Während ich fahre muss ich an nichts denken. Nicht an meine Freunde, die mich nacheinander im Stich lassen. Nicht an meine verkorkste Familie. Nicht an meine Probleme. Und nicht an einen ganz bestimmten Typen, der sich in meine Gedanken gebrannt hat.

Jace

Ich schlage auf den Boxsack ein und stelle mir dabei vor, es handelt sich bei dem Boxsack um mich selbst. Ich muss mir die dämlichen Gedanken aus dem Leib prügeln. Ich denke an nichts Anderes mehr als an Ashton.

Ich kann nicht in meinem Bett schlafen, weil ihr Geruch in meinen Kissen hängt, egal wie oft ich die Bezüge wasche. Peng. Und ich kann mich nicht auf den Unikram konzentrieren, weil ich ständig darüber nachdenke ob ich sie jemals wiedersehen werde. Es ist ein ganz seltsames Gefühl. Peng. So als würde ich sie schon ewig kennen und sie deshalb vermissen. Aber das ist Blödsinn. Schließlich kenne ich sie nicht und hab' im Grund genommen keine Ahnung wer sie ist. Peng.

Ich lasse die Fäuste sinken und schnappe mir meine Trinkflasche. "Hey. Scheint so, als müsstest du dich abreagieren." Ein Mädel steigt vom Stairmaster und schiebt sich zwischen mich und den Boxsack. "Äh... ja." Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und wickle die Bänder von meinen Handgelenken. Ich kenne sie. Ich glaube ich hatte letztes Jahr oder so mal was mit ihr. Aber ich hab' keine Ahnung, wie sie heißt. "Ich kenne da noch andere Methoden, die dabei gut helfen." Mit ihren langen Fingernägeln fährt sie mir über die Brust und die Haare in meinem Nacken stellen sich auf. Ihre Fingernägel sind eigenartig spitz und sehen unnatürlich aus. Ich mag es nicht, wie sie mich berührt, ganz und gar nicht. "Ach ja?" Ich gehe zur Umkleide und sie folgt mir. "Ja." Sie presst sich an mich und schiebt mich in eine kleine Umkleidekabine. Bevor ich protestieren kann drückt sie mich auf den Hocker in der Ecke und klettert auf meinen Schoß. Verdammte scheiße. "Ich denke nicht, dass..." Ich will sie nicht. Ganz und gar nicht. Aber bevor ich etwas sagen kann zieht sie sich das Shirt über den Kopf und presst ihre Lippen auf meine. Sie schmeckt nach Zahnpasta. Und ich mag es nicht, wie sie an meiner Lippe knabbert. Viel zu fest und unsere Münder bewegen sich nicht im Einklang, wie bei ihr. Es fühlt sich falsch an. Sie schmeckt nicht wie sie. Sie riecht nicht wie sie. Sie fühlt sich nicht an wie sie. Es fühlt sich einfach nur falsch an.

Dark Love - mich kannst du nicht vergessen (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt