3. Kapitel

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Es war später Abend und ich war immer noch in meinem Büro und las mir zum hunderttausendsten Mal die Akte von Claire Roux durch. Es nützte nichts. Die Buchstaben schienen sich aus den Zeilen zu lösen und wild über das ganze Blatt zu verteilen. Erneut stiegen mir Tränen in die Augen bei dem Gedanken, was meine Tochter in diesem Moment gerade durchmachen musste. Ich sprang auf und tigerte durch das Zimmer. Immer wieder fuhr ich mir durch meine wilden Locken. Als ich einen Blick in den Spiegel meines Büros warf, sah ich, dass meine Augen bereits rot angeschwollen waren. So konnte ich den Ministeriumsmitarbeitern unmöglich vor die Augen treten. Wobei um diese Uhrzeit wahrscheinlich nicht mehr viele Mitarbeiter im Gebäude waren. Langsam öffnete ich den Wasserhahn des kleinen Waschbeckens unter dem Spiegel und bespritzte mein Gesicht mit kühlem Wasser. Der Effekt war minimal. Ich erschrak, als mein Handy klingelte. Hektisch rannte ich zu meinem Schreibtisch und griff nach dem Gerät. Hatten sie Rose gefunden? Ein Hoffnungsschimmer breitete sich in meiner Brust aus. Vielleicht war es nur ein simples Missverständnis gewesen und Rose verbrachte den Abend bei einer Freundin und hatte mir nicht Bescheid gegeben. Ich ließ den Bildschirm aufleuchten. Ginny. Sofort nahm ich den Anruf an. Am anderen Ende der Leitung erklang ein Schluchzen. In meiner Bauchgegend zog sich etwas zusammen.

„Ginny?", fragte ich besorgt.

„Mione", schluchzte sie. „Albus... er ist weg."

Mein Herz stockte. Das konnte... durfte nicht sein. „Was?", fragte ich, unfähig irgendetwas hilfreiches zu sagen.

„Er war-" Ginnys Stimme zitterte. „Er war auf einer Party mit einem Freund, Peter Anderson. Ein Freund aus der Muggelschule früher. Jedenfalls rief mich dieser Freund an und erzählte mir, dass Albus auf Toilette gehen wollte und nicht mehr wiederkam. Er erzählte mir auch, dass ihm ein Mann mit einem dunklen Gewand gefolgt wäre." Ihre Stimme brach endgültig und sie konnte sich nicht mehr zusammenreißen. Sie begann, zu weinen.

Meine Augen füllten sich ebenfalls mit Tränen. „Es tut mir so leid, Ginny", hauchte ich.

Einen Moment lang sagte keiner von uns etwas. Alles, was zu hören war, war das stetige Schluchzen von Ginny.

„Ginny", sagte ich irgendwann leise. „Du musst dich beruhigen. Das hilft jetzt niemandem weiter."

Ginny schien mich gar nicht richtig wahrzunehmen. Ihr Weinen klang herzzerreißend. Plötzlich wurde das Weinen leiser, als ob es nur noch ein Hintergrundgeräusch war.

„Hermine?", meldete sich jemand und ich erkannte die Stimme von James.

„Ach du bist es." Ich klang erleichtert.

„Mach dir keine Sorgen um sie. Ich kümmere mich.", sagte er beruhigend.

„Bist du dir sicher, dass ihr klarkommt?", erkundigte ich mich.

„Ja."

„Wie geht es dir?", fragte ich sicherheitshalber nach.

„Wie soll es mir schon gehen, wenn mein kleiner Bruder verschwunden ist?", antwortete er, doch seine Stimme war im Vergleich zu Ginnys eher ruhig und resigniert.

„Ich kümmere mich. Mach dir keine Sorgen.", wiederholte er leise.

„Danke", flüsterte ich. Entschlossen legte ich auf, griff hastig meine Tasche und verließ mein Büro. Das Problem meiner verweinten Augen war längst vergessen.

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Als Albus aufwachte, wusste ich nicht, wie viel Zeit vergangen war. Dieser Nathan stand immer noch an der Tür und warf mir in einigen Abständen prüfende Blicke zu. Ich hatte Albus die ganze Zeit zugesehen. Er sah friedlich aus, wenn er schlief. Seine entspannten Gesichtszüge beruhigten mich auf eine seltsame Art und Weise. Albus streckte sich, als hätte er gerade den erholsamsten Schlaf aller Zeiten gehabt.

Entführt und VerliebtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt